BibelwissenschaftErinnerter, historischer Jesus

Wer war der Mann aus Nazaret tatsächlich? Einblicke in die Forschunggeschichte

Die Frage nach dem historischen Jesus geht davon aus, dass es einen erheblichen Unterschied gibt zwischen den Jesusdarstellungen der Evangelien und dem Jesus der Geschichte. Welches Bild von Jesus ergibt sich, wenn man historische Methoden auf die zur Verfügung stehenden Quellen anwendet? Seit ihrem Aufbrechen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist diese Frage nicht mehr zur Ruhe gekommen. Jüngster Beleg dafür ist das „Jesus Handbuch“.

Der erste Teil bietet einen Einblick in die Stationen der Geschichte der historisch-kritischen Jesusforschung bis hin zu den gegenwärtigen Debatten über die angemessenen Methoden der Rückfrage. Die letzte erkennbare Forschungsphase, als „dritte Runde“ oder „third quest“ bezeichnet – etwa ab Mitte der achtziger Jahre – bleibt trotz mancher Verfeinerung grundsätzlich bei einem Modell, das mit Hilfe von Echtheitskriterien historisch belastbare Jesusüberlieferungen aus den Texten herausschält. Dem wird seit einigen Jahren das Konzept der Erinnerung gegenübergestellt. Im „Jesus Handbuch“ tritt der „erinnerte Jesus“ allerdings nicht in Konkurrenz zum „historischen Jesus“, sondern es bedenkt den Wesenszug geschichtlicher Erkenntnis: Die historische Rückfrage führt nicht zum „wirklichen Jesus“ hinter den Texten, sondern zu einer Darstellung, die Wirken und Geschick Jesu für die eigene Gegenwart zur Geltung bringen will. Unter den Bedingungen des neuzeitlichen Geschichtsbewusstseins erfordert dies den Einsatz der historischen Kritik. Ein neues Paradigma der Jesusforschung zeichnet sich nicht ab.

Im zweiten Teil werden die Quellen diskutiert, die für die historische Rückfrage nach Jesus herangezogen werden können. Im Hinblick auf literarische Zeugnisse bleiben die synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) beziehungsweise deren älteste Schichten am ergiebigsten. Das Johannesevangelium lässt sich teilweise historisch auswerten, tritt aber deutlich hinter die anderen Evangelien zurück. In noch stärkerem Maß gilt dies für außerneutestamentliche Evangelien und nichtchristliche Texte. Hier hat sich trotz abweichender Versuche im Hauptfeld der Forschung wenig verändert. Deutlicher haben sich in den letzten Jahren Verschiebungen durch die stärkere Berücksichtigung nichtliterarischer Zeugnisse ergeben. Dies ist in der Tendenz der neueren Forschung begründet, Jesus in sein historisches Umfeld einzuordnen. Archäologische Erkenntnisse sowie Funde von Inschriften und Münzen richten sich nicht unmittelbar auf die Person Jesu und ihre Geschichte, können aber die Lebenswelt erhellen, in der Jesus gewirkt hat.

Der forschungsgeschichtlichen und methodischen Grundlegung folgt im dritten und umfangreichsten Teil die Anwendung auf Leben und Wirken Jesu, wie es sich von heute aus erhellen lässt. Erhoben wird dessen historischer Rahmen: sowohl in einem weiten Sinn – bezogen auf die politischen Verhältnisse und die religiöse Situation – als auch mit Blick auf den Wirkungskreis Jesu in Galiläa und Judäa samt Jerusalem. Lebensgeschichtliche Aspekte werden freilich auch mit unmittelbarem Bezug auf die Person Jesu erörtert (etwa im Hinblick auf Herkunft und Familie oder Bildung und Sprache). Den Schwerpunkt bildet gleichwohl die Darstellung des öffentlichen Wirkens: die verschiedenen Gesichtspunkte, wie Jesus handelte, etwa sein Auftreten als Wanderprediger, die Bildung einer Nachfolgegemeinschaft, seine Machttaten. Hinzu kommen seine Verkündigung in Gottesbild, Gleichnissen, Beten und Ethik und schließlich die Passionsereignisse.

Der vierte Teil ist frühen Spuren von Wirkungen und Rezeptionen Jesu gewidmet. Zur Sprache kommen die Entstehung des Osterglaubens, die Bekenntnisbildung und frühe Gemeindeorganisation sowie literarische und ikonografische Nachwirkungen.

Das äußerst gelungene Konzept des Buches eröffnet einerseits ein weites Gesamtpanorama der Jesusforschung, erlaubt es andererseits aber auch, je nach Interessenlage einzelne thematisch geschlossene Abschnitte auszuwählen. Wer zuverlässige und detaillierte Informationen über den gegenwärtigen Stand der historischen Rückfrage nach Jesus sucht, wird in diesem ausgezeichneten Handbuch fündig.

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Schröter, Jens; Jacobi, Christine (Hg.)

Jesus HandbuchUnter Mitarbeit von Lena Nogossek

Mohr Siebeck, Tübingen 2017, 685 S., 49 €

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