Der Krebs und der Glaube

Lasst mich mit eurem Krebs in Ruhe. Ich kann es nicht mehr hören. Und lesen“, lamentierte vor einigen Jahren der Literaturkritiker Richard Kämmerlings in der „Frankfurter Allgemeinen“ über die Inflation schwerer Kost an Büchern über Krankheiten und das Sterben. In der entflammten Debatte forderte der Journalist Michael Angele in der Wochenzeitung „Freitag“ gar ultimativ: „Wenn die eigene Krankheit schon öffentlich gemacht werden muss, dann bitte mit dem Anspruch, es nicht unter dem Rang von Kunst zu machen.“ Besser in schonungsloser Ehrlichkeit, ließe sich erwidern.

Kämmerlings und Angele übersehen den tieferen Grund für das Mitteilungsbedürfnis. Zwar stirbt jeder früher oder später für sich allein, wir teilen aber dieses Schicksal mit allen Menschen. Deshalb ist das kommunikative Bedürfnis unstillbar. Ja, wir meinen zu „wissen“, wie die gefürchtete K-Krankheit verläuft, welche Prozeduren und Leiden mit ihr verbunden sind. Aber am eigenen Leib „erfahren“ – nein, das haben wir noch nicht. Das „Tagwerk eines Krebskriegers“ ist uns fremd, wie der große Lyriker und Satiriker Robert Gernhardt in seinem Gedichtzyklus „Die K-Gedichte“ über die eigene schwere Krebserkrankung schrieb, der er 2006 erlag. Und auch der Regisseur, Aktionskünstler und Autor Christoph Schlingensief verwahrte sich damals vehement gegen jede Form eines Schweigegebots: „Sollen wir diese schreienden Gesundheitsbilder im TV nicht stören?“

Es ist ein „Glücksfall“, wenn jemand wie der österreichische Theologe und Jesuit Andreas Batlogg über seine Darmkrebs-Erkrankung eine Art Tagebuch schreibt. Ein Priester wechselt die Seite: Aus dem Sakramentenspender wird ein Sakramentenempfänger.

Der ehemalige Chefredakteur der „Stimmen der Zeit“ stellt sich dem mit großer Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit, ohne Ängste und Zweifel zu verleugnen. Batlogg nimmt seine Leser mit, lässt sie teilhaben an quälender Ungewissheit, seinen Rationalisierungen – Warum ich? Warum dieser Krebs? –, seinem strapazierten Schamgefühl durch demütigende Inkontinenzerlebnisse…

Er ist dankbar für einen befreundeten Arzt und für das Klinikpersonal an seiner Seite, für die jesuitischen Mitbrüder in der Kommunität, die sich nicht zu schade sind, in der Nacht hinter ihm herzuputzen. Diese radikale Zäsur überspielt Andreas Batlogg nicht mit Plattitüden-Spiritualität, vielmehr wird der Leser im Verlauf der Behandlung in das Kraftfeld eines neuen Anfangs gezogen. Nicht etwa, weil sich die Krankheit als Fata Morgana herausgestellt hätte – alles vergessen und vorbei. Im Gegenteil. Im scheinbaren Ende wird ein neuer Weg sichtbar. Ein Weg, den Er mitgeht, den Er vorangegangen ist. Sein und Zeit gesegnet durch Seine Gegenwart.

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Batlogg, Andreas R.

DurchkreuztMein Leben mit der Diagnose Krebs

Tyrolia-Verlag, Innsbruck / Wien 2019, 192 S., 19,90 €

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