Alles nur schöne Geschichten?

Der Altertumswissenschaftler Robin Lane Fox von der Universität Oxford begibt sich auf die Suche nach Tatsachen und Fiktionen in der Heiligen Schrift. Um deren wahren Charakter ans Licht zu heben, stellt er die Texte der Bibel auf den geschichtswissenschaftlichen Prüfstand. Das Ergebnis der Recherche ist ernüchternd: Wo historisches Wissen verloren gegangen ist, habe man einfach schöne Geschichten ers(p)onnen. Die Schwierigkeiten, vor die der wahrheitssuchende Bibelleser gestellt werde, „beginnen an einem kleinen Punkt, aber sie breiten sich aus wie Trockenfäule“. Am Ende bliebe der ratlose Blick auf eine schräge Story, die vorne und hinten nicht stimmt.

Fox beschreibt Strategien, die angesichts des verstörenden Befundes entwickelt worden seien, um die biblische Botschaft zu retten. Allegorische Deutungen weist er ebenso zurück wie gesamtbiblische Ansätze. Das alles sei Sache von Fundamentalisten. Stattdessen verlangt er Redlichkeit, sich der Wahrheit zu stellen: Den biblischen Autoren gelang es nicht, die behaupteten Geschehnisse korrekt wiederzugeben. „Die Bibel ist nicht unfehlbar.“ Sie sei erst recht „nicht Gottes Wort“. Doch immerhin ein Spiegel dessen, woran ihre Macher einst geglaubt hätten.

Das Buch will wissenschaftlich unaufgeregt sein. Hier war aber der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Thesenfreudigkeit des Verfassers ist atemberaubend, und ein Hang zur Polemik ist nicht von der Hand zu weisen: Christliche Schriftauslegung habe jahrhundertelang den Heiligen Geist beschworen, der in Wahrheit „ein unheiliger Geist“ gewesen sei, der unter anderem verantwortlich sei für die intellektuelle Zumutung, an einen inneren Zusammenhang von Altem und Neuem Testament zu glauben.

Mit dem Band hält man ein kenntnisreiches Kompendium zahlreicher biblischer Ungereimtheiten und der sie umrankenden bibelwissenschaftlichen Debatten in Händen. Fox selbst beschreibt es als das „leistungsstarke Werk eines Außenseiters“. Die Selbsteinschätzung hat ihre Berechtigung. Nicht deshalb, weil das Buch aus der ermüdenden Perspektive eines seitenweise bekennenden Atheisten geschrieben ist, sondern weil es vom Forschungsstand her gesehen am Ende des vergangenen Jahrtausends hängen bleibt. Das belegt zum einen die fehlende Berücksichtigung des gegenwärtig betriebenen geschichtstheoretischen Diskurses, zum anderen die Literaturliste, die neueste Studien zur Frage historischer Referenz biblischer Erzählungen blindlings auslässt.

„Die andere Geschichte der Bibel“ beginnt und endet nachdenklich. Zu dieser Nachdenklichkeit will die Taktung der von Fox gegebenen Antworten nicht recht passen. Es gibt offene Fragen, die man einstweilen aushalten und, um es mit Rilke zu sagen, liebgewinnen muss, um langsam in Antworten hineinzuwachsen. Gottes Wort kehrt nicht leer zu ihm zurück. Immerhin für den Grund solcher Hoffnung ist dieses Buch ein historischer Beweis. Robert Vorholt

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Lane Fox, Robin

Die andere Geschichte der BibelFakt und Fiktion in der Heiligen Schrift

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019, 624 S., 32 €

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