Vom Alten zum Ersten Testament

Erich Zenger (1939–2010) gehörte zu den prägenden Gestalten der katholischen Bibelwissenschaft. Sein leidenschaftliches Engagement für die bleibende „Gotteswahrheit des Ersten Testaments“ in der Kirche hat Generationen von Theologinnen und Theologen geprägt und bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gewirkt. Zenger war regelmäßig Autor des CIG, in vielen Reihen, insbesondere zu den Psalmen. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative von Paul Deselaers und Christoph Dohmen, eine stattliche Anzahl von klassischen, aber auch einigen unveröffentlichten Aufsätzen Zengers herauszugeben, eine wunderbare Gelegenheit, sich der exegetischen Kompetenz und theologischen Leidenschaft des allzu früh verstorbenen Wissenschaftlers zu erinnern und sich von ihm inspirieren zu lassen.

Der ansprechend aufgemachte Band ist eingeleitet mit einer persönlich gehaltenen und sensiblen Hinführung. In Zengers Person und seiner exegetischen Arbeit spiegeln sich Theologie- und Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Zenger selbst bezeichnete sich als Angehörigen der Achtundsechziger-Generation. Sozialisiert in einem Knabenseminar der Diözese Eichstätt, wurde der begabte Abiturient mit einem kirchlichen Stipendium an die päpstliche Universität Gregoriana in Rom geschickt, in der Hoffnung, dass aus dieser „Kaderschmiede“ die wissenschaftliche und bischöfliche Elite des deutschen Katholizismus hervorgehe. Doch die Dogmatik, die er dort hörte, wirkte auf den jungen Studenten abgestanden und weltfremd. Inspiration fand der Priesteramtskandidat in der biblischen Exegese, die damals zur Zeit des Konzils in der katholischen Kirche im Aufbruch begriffen war. Sein Heimatbischof machte sich bald Sorgen, da der junge Student heimlich die exegetischen Vorlesungen des päpstlichen Bibelinstituts besuchte, das durch einen „garstig breiten Graben“ von der Gregoriana auf der anderen Seite der Piazza della Pilotta getrennt war. Eine der großen Leistungen Zengers war es dann, die Exegese in der katholischen Theologie auf den Stand zu heben, den sie nach allgemeiner Ansicht evangelischerseits bereits besaß.

Während eines Studienaufenthalts in Jerusalem 1966 wurde dem jungen Priester mit einem Schlag klar, dass die Aufarbeitung einer langen Geschichte antijudaistischer Exegese und Theologie zu den dringendsten Aufgaben einer zukünftigen Theologie gehörte. Zenger wurde zu einem der Pioniere des christlich-jüdischen Dialogs. Im Jahr 2009 erhielt er für seine Bemühungen die Buber-Rosenzweig-Medaille. Über die jüdische Exegese fand Zenger in seinen späten Jahren einen neuen Zugang zur Exegese der Kirchenväter.

Damit schließt sich ein Leben in wachsenden Ringen, dessen letzten Kreis zu vollbringen dem bedeutenden Lehrer des Ersten Testaments nicht vergönnt war: den Abschluss des großen, von ihm angestoßenen „Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament“. Doch durfte er wie Mose das Gelobte Land aus der Ferne erblicken. So bleibt zu hoffen, dass sein Werk von der nachfolgenden Generation zu einem guten Abschluss gebracht wird und dass sich sein Geist unter den Bedingungen einer neuen Zeit weiter ent- faltet.

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Zenger, Erich / Deselaers, Paul / Dohmen, Christoph (Hg.)

Mit Gott ums Leben kämpfenDas Erste Testament als Lern- und Lebensbuch

Verlag Herder, Freiburg 2020, 552 S., 45 €

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