Die Kirche neu erfinden?

Wenn Claudia Mönius von einer „Religion ohne Kirche“ spricht, so bezieht sie den Begriff auf die verfasste und organisierte Kirche in ihren konfessionellen Gestalten. Ihre Schilderungen der offiziellen römisch-katholischen Kirche mit ihren patriarchalen, frauenverachtenden, hierarchischen, doktrinären, traditionalistischen, klerikalistischen und exklusiven Strukturen wie auch ihre Darstellung der reformierten Kirchen mit ihrer je eigenen, streckenweise ähnlichen Problematik in Bezug auf Gewalt und Missbrauch mögen höchst pessimistisch scheinen. Und gerade auch an den vielen eigentlich Hoffnung weckenden Reformationsbestrebungen, ganz aktuell dem „synodalen Weg“, zeigt sich ja, wie versteinert diese Petruskirche ist. Lohnt sich der Kampf gegen die Windmühlen, oder ist es Zeit, alle Energie und Hoffnung, Herz und Verstand in die Neuerfindung einer lebendigen Gemeinschaft zu stecken?

Mönius versucht mit ihren „9,5 Thesen für ein erneuertes Christentum“ die Grundlagen für eine solche Gemeinschaft zu schaffen. Wie sich diese gestaltet, welche Form, Größe, Organisation, Liturgie, konfessionelle Ausrichtung usw. ihr zugrunde gelegt wird, scheint ihr dabei nicht ausschlaggebend, sondern ein Zeichen der lebendigen Vielfalt zu sein.

Wesentlich sei hingegen die Rückbesinnung auf das Leben und Wirken Jesu, auf sein Wort, das mit Hilfe und nicht in Opposition zu wissenschaftlicher Forschung neu entdeckt werden darf. Aus dem Evangelium heraus, so hofft Mönius, werden die Achtung vor dem Menschen und vor der Mündigkeit eines jeden in seinem Glauben, echte Geschlechtergerechtigkeit, das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Lebensformen, das Ineinander von Vernunft, sinnlicher Erfahrung und Glaube die lebensfeindlichen Strukturen ablösen.

Ihr Buch ist ein sehr persönliches. Die eigenen schmerzhaften Erfahrungen mit der verfassten Kirche und ihren Vertretern, gleichzeitig auch die positiven, spirituellen Begegnungen mit Anderen innerhalb und außerhalb religiöser Praxis bilden den Ausgangspunkt. Entsprechend subjektiv sind denn auch die Gewichtungen und Vorlieben in der Auswahl von Themen und Quellen. Dass hier keine Theologin spricht, zeigt sich auch an Unschärfen im Text, gerade was zum Beispiel „Kirche“ in soziologischer und theologischer Reflexion wie auch in religiöser Praxis bedeutet. Dennoch schreien die neuneinhalb Thesen der Autorin, die sie in der letzten „halben“ These als Diskussionsgrundlage und gerade nicht „in Stein gemeißelt“ verstanden wissen will, nach ebenso höchst persönlicher Auseinandersetzung. Sie sind aber mehr noch eine Aufforderung zum Handeln, und hier wird es nun sehr unbequem. Denn wir verlieren dabei die vermeintliche Sicherheit der langjährigen Traditionen, der Dogmatik, des klerikalen Priestertums, der Kirchenräume und der Rituale. Wir müssen erwachsen werden und die eigene Position beziehen. Das Buch ist in seiner Widerspenstigkeit dafür ein guter Anfang.

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Mönius, Claudia

Religion ohne Kirche9,5 Thesen für ein erneuertes Christentum

Claudius Verlag, München 2020, 207 S., 18 €

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