Für die Grundsicherung

Auch in Zukunft braucht es eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung. Wir sollten sie weiterentwickeln, statt sie pauschal abzuwerten.

Hände, die eine kleine Summe Geld in Münzen und Scheinen abzählen.
© Pixabay

Die Grundsicherung hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Es beschäme Men-schen, „sich nackig zu machen“, gemeint ist, offenlegen zu müssen, dass ihr Einkommen nicht zum Leben reicht und sie nur wenig auf der hohen Kante haben. Das müssen sie, denn die Grundsicherung ist bedarfsgeprüft.

Als sie 1962 unter dem Namen Sozialhilfe eingeführt wurde, galt sie zu Recht als große soziale Errungenschaft. Der Gesetzestext nahm unmittelbar Bezug auf Artikel 1 des Grundgesetzes: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.“ Hilfebedürftige haben ein einklagbares Recht auf Hilfe. Sie muss, wie das Bundesverfassungsgericht in wünschenswerter Klarheit festgestellt hat, nicht nur die physische Existenz sichern, sondern auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglichen. Die genaue Höhe der Hilfe kann keine Verfassung vorgeben. Sie ist umstritten; wie sollte es auch anders sein.

Bedarfsprüfung sei ein Bürokratenwort. Ja, das ist es. Aber ein Rechtsstaat kann Hilfen nur nach Recht und Gesetz gewähren. Wenn der Gesetzgeber Hilfen an Voraussetzungen bindet, dann darf man nicht auf die Bürokratie einschlagen, deren Aufgabe es ist, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen.

Also alles bedingungslos? Der Traum eines bedingungslosen Grundeinkommens ist weit verbreitet. Er ist aber nur finanzierbar, wenn wir auf den Sozialstaat, so wie wir ihn kennen, verzichten. Also Grundeinkommen statt Rente, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und so weiter. Genau das propagiert der Ökonom Thomas Straubhaar. Und trotzdem brauchen wir dann hohe Steuern, und zwar vom ersten Euro an, und eine Bürokratie, um sie durchzusetzen. In das ersehnte Reich der Freiheit führt das bedingungslose Grundeinkommen nicht.

Bleiben wir im Hier und Jetzt unseres sozialstaatlichen Systems, dann werden wir weiterhin eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung brauchen. Also sollten wir vermehrt darüber reden, wie wir sie weiterentwickeln, statt sie pauschal abzuwerten. Denn dies kann Menschen sogar davon abhalten, die ihnen zustehenden Hilfen zu beantragen. Der Reformbedarf ist nicht zu leugnen. Bezieher kleiner Renten, die auf er-gänzende Grundsicherung im Alter angewiesen sind, haben Nullkommanull von ihren erarbeiteten Rentenansprüchen; diese werden bei der Berechnung ihrer Ansprüche in voller Höhe angerechnet, also abgezogen. Sie erhalten also keinen Euro mehr, als wenn sie nie in die Rentenversicherung eingezahlt hätten. Das Prinzip, dass Arbeit sich lohnen muss, ist eklatant verletzt.

Aber wie handeln? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will für Rentner mit 35 Versicherungsjahren eine Aufstockung der Rente, die nicht an eine Bedürftigkeitsprüfung gebunden ist. Dies ist in der Koalition höchst umstritten. Das Konzept der SPD hilft langjährig Versicherten, erreicht aber sehr viele im Alter bedürftige Personen, die erwerbstätig waren, nicht. Denn viele erreichen keine Versicherungszeit von 35 Jahren, unter ihnen viele Frauen. Sie sind weiterhin auf eine faire Grundsicherung angewiesen. Wie immer der Streit zwischen den Koalitionspartnern ausgehen wird: Der Reformbedarf in der Grundsicherung wird also bleiben.

Eine Lösung ist, Grundsicherung und Rente klug zu kombinieren. Wenn ein Anteil der erarbeiteten Rentenansprüche, zum Beispiel 20 Prozent, bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter nicht angerechnet wird, dann gälte für jeden, der Rentenansprüche erworben hat, dass sich Arbeit auch im Alter gelohnt haben wird. Ideal wäre es, wenn Renten- und Grundsicherungsansprüche gemeinsam geprüft würden, etwa in einem Bürgerbüro vor Ort. Eine solche Freibetragsregelung muss mit einer Bedürftigkeitsprüfung verbunden sein, denn sonst würden auch Kleinrenten von Beamten oder Selbstständigen aufgestockt, die nur zeitweise sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und anderweitig abgesichert sind. Das will niemand. Wie immer die Sicherungssysteme weiterentwickelt werden, die bedarfsgeprüfte Grundsicherung im Alter als zielgenaues Instrument der Armutsbekämpfung ist unverzichtbar. Knauserig ist der Vermögensfreibetrag, derzeit nur 5000 Euro. Hier könnte der Sozialstaat großzügiger sein. Und: Es sollte Anspruch sein, dass alle, die Anspruch auf Hilfe haben, sie auch erhalten. Mehr Information tut Not, denn immer noch glauben viele alte Menschen, ihre Kinder würden regresspflichtig, wenn sie Grundsicherung beantragen.

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