Auch in der Kirche Hörverluste

Am Youtuber Rezo hat sich zuletzt die Debatte darüber entzündet, inwieweit die Politik junge Menschen ernst genug nimmt. Auch innerhalb der Kirche stellt sich die Frage, ob es hier nicht trotz aller Anstrengungen zu einer Entfremdung gekommen ist.

Natürlich ist der Youtuber Rezo nicht einfach der unbedarfte Heranwachsende, der es den Politikern und Politikerinnen mit seinem millionenfach geklickten Video einmal so richtig gezeigt hat. Hier war durchaus auch Berechnung im Spiel. Dennoch haben seine Politikschelte und die hilflosen Reaktionen darauf Diskussionen ausgelöst, inwieweit die Anliegen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von der Gesellschaft wirklich gehört werden.

Spricht nicht tatsächlich vieles dafür, dass das Ergebnis der Europawahlen sich nicht zuletzt den Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung verdankt, die die Interessen der heutigen Schülergeneration an einer lebenswerten Umwelt zu wenig ernst genommen sehen? Insbesondere die ehemaligen großen Volksparteien haben offenkundig massive Probleme damit, das Ohr nahe genug an jüngeren Bevölkerungsschichten zu haben.

Aber auch innerhalb der Kirchen gibt es diese Hörverluste. Zwar hat sich im vergangenen Herbst die Bischofssynode dem Thema Jugend gewidmet. Es sollte allerdings schon zu denken geben, dass weder die Veranstaltung noch das päpstliche Schreiben im Anschluss daran auch nur annähernd die Beachtung gefunden hat wie beispielsweise die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Kommunionempfang wiederverheirateter Geschiedener mit „Amoris Laetitia“.

Geradezu ein Heer von Jugendlichen hat jetzt im Mai zum wiederholten Male mit der 72-Stunden-Aktion des BDKJ unter Beweis gestellt, wie lebendig die kirchliche Jugendarbeit weiterhin ist. Gerade angesichts der großen Anstrengungen in der Kinder- und Jugendarbeit bleibt da der länger schon beobachtete Bruch schmerzhaft: Jugendliche und junge Erwachsene erleben in ihren Gruppen und Verbänden Kirche durchaus positiv, finden dann aber ihre Anliegen in vielen Gemeinden, von der verfassten Kirche einmal ganz abgesehen, zu wenig wieder. Sie haben feste Vorstellungen davon, wie die Behauptung von gleicher Würde und Gleichberechtigung aller Menschen als zentrale Werte auch in der Kirche gelebt werden sollte – und stoßen sich dann an der Realität. Und während früher ethische Vorgaben als Ideale, die man nicht leben kann, angesehen wurden, sehen heute viele Jugendliche kirchliche Forderungen auf dem Gebiet der Sexualethik geradezu als unmoralisch an (Beispiel: Homosexualität).

Was darf man auch als Jugendlicher von einer Institution erwarten, in der man erst ab der Kategorie 50 plus Bischof wird und längere Zeit nur als junger Hoffnungsträger gilt? Mit Blick auf die Prognose, 2060 gerade noch die Hälfte der Kirchenmitglieder zählen zu können, wird viel davon abhängen, ob der drohenden weiteren Entfremdung mit Nachdruck entgegengewirkt werden kann.

orth@herder.de

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