Papst: „Ich war nicht still“

In Rumänien stehen Katholiken unter Proselytismus-Verdacht und dürfen nicht mit Orthodoxen beten. Franziskus setzte bei seinem Besuch trotzdem Zeichen.

Menschen jubeln Papst Franziskus bei seiner Rumänienreise zu.
© KNA

Wenn man den Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch fragt, wie viele Gesten eines Papstes auf einer Auslandsreise eigentlich improvisiert sind und wie viele wohlüberlegt, verweist der Kardinal gerne auf den Besuch von Papst Franziskus beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios in Konstantinopel vor einigen Jahren. Damals überraschte Franziskus seinen Gastgeber und die Weltöffentlichkeit damit, dass er, abweichend vom Redemanuskript, sagte: „Ich bitte Sie um einen Gefallen. Segnen Sie mich und die Kirche von Rom!“ Es wurde später als einer der Schlüsselmomente der Reise aufgefasst. „Ich denke“, sagt Kardinal Koch, „dass Papst Franziskus sich diese Geste vorher gut überlegt hat“.

Vor wenigen Wochen war Papst Franziskus wieder in einem orthodox geprägten Land unterwegs, in Rumänien. Und wieder war es eine Reise voller ökumenischer Gesten, etwa der Moment, als Franziskus seinem Gastgeber, dem Patriarchen Daniel, in Bukarest die Ikone küsste, die Daniel um den Hals trug. Kardinal Koch war auch wieder dabei. Ob Franziskus sich das Küssen der Ikone vorher auch überlegt hatte? „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht“, sagt Koch. „Der Papst ist schon ein sehr spontaner Mensch.“ So oder so galt für Rumänien, was schon für die Türkeireise 2014 und überhaupt für alle Kontakte des Papstes mit der Orthodoxie galt und gilt: Jedem Zeichen, jeder Nuance und jedem Zwischenton von Franziskus wird derzeit eine besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht, denn die Beziehung zwischen Katholiken und Orthodoxen befindet sich in einer entscheidenden Phase. Die Einheit, so sehen es zumindest die Katholiken, ist mittlerweile ein realistisches Szenario, auch wenn ein Zeitpunkt noch nicht absehbar ist. Gerade deshalb darf der Papst jetzt bloß keine Fehler machen, die bereits erreichte Fortschritte wieder infrage stellen könnten.

Mit Franziskus reiste zum zweiten Mal ein Papst nach Rumänien, fast auf den Tag genau zwanzig Jahre nach Johannes Pauls II. Besuch im Mai 1999. In Rumänien sind rund 87 Prozent der Bevölkerung orthodox. Katholiken bilden eine Minderheit von 7 Prozent. Diese Minderheit wiederum ist gespalten in zwei Riten. In Rumänien leben rund 1,4 Millionen Ungarn, die meisten von ihnen sind Katholiken, die ihre Messen nach dem römischen Ritus feiern. Ihr Zentrum liegt in Siebenbürgen, vor allem im Szeklerland. Viele rumänischstämmige Katholiken hingegen gehören zur griechisch-katholischen Kirche Rumäniens, einer mit Rom unierten Kirche, die sich im Jahr 1700 von der Orthodoxie abspaltete, ihre Liturgie aber beibehielt. Anders als sein Vorvorgänger, der sich nur in Bukarest aufhielt, reiste Franziskus in den drei Tagen seines Aufenthalts quer durchs ganze Land. Die Themen, die er dabei ansprach, bildeten eine Art Essenz seiner Amtszeit: Von den Kernbotschaften dieses Pontifikats fehlte in Rumänien eigentlich nur der Klimaschutz, der sich allerdings als überzeugendes Predigtthema auch nicht unbedingt aufdrängt bei einem Programm von sechs Flügen innerhalb von drei Tagen – die Helikoptertransfers nicht eingerechnet.

Minderheiten, Migration, Maria

So traf Franziskus in der Stadt Blaj in Siebenbürgen mit Vertretern der dortigen Roma-Community zusammen, um sich einmal mehr gegen die Benachteiligung von Minderheiten auszusprechen. „Im Namen der Kirche bitte ich den Herrn und euch um Verzeihung für die Momente der Geschichte, in denen wir Katholiken euch diskriminiert, schlecht behandelt oder in falscher Weise betrachtet haben.“ Im ungarisch geprägten Wallfahrtsort Sumuleu Ciuc, ebenfalls Siebenbürgen, legte Franziskus, einer seit Paul VI. bestehenden Tradition folgend, eine Goldene Rose am Marienschrein nieder. Das unterstrich die tiefe marianische Prägung dieses Papstes, die oft unterschätzt wird. Und schließlich bot der Aufenthalt in einem Land, das so stark unter der Abwanderung junger, gut gebildeter Arbeitskräfte leidet wie Rumänien, dem Papst eine neue Gelegenheit, über Chancen und Risiken von Migration zu sprechen.

Das kirchenpolitisch wichtigste Thema der Reise aber war der Dialogprozess mit der Orthodoxie. In dieser Disziplin hat Franziskus bisher unterschiedliche Erfahrungen gemacht. 2016 gelang ihm als erstem Papst in der Geschichte eine Begegnung mit dem Patriarchen von Moskau: Er traf Kirill I. auf dem Flughafen von Havanna. Anfang Mai dieses Jahres dagegen, auf seiner Reise nach Bulgarien, blieb dem Papst ein Gebet in der orthodoxen Kathedrale verwehrt, und parallel wetterten orthodoxe Priester vor einer angeblichen katholischen Missionsoffensive. Auch in Rumänien erheben orthodoxe Theologen immer wieder diesen Vorwurf des Proselytismus; er gilt dort vor allem der erwähnten griechisch-katholischen Kirche, deren Mitglieder von manchen Orthodoxen als Verräter betrachtet werden. Wie kühl die Beziehungen zwischen den Konfessionen sind, lässt sich auch daran ablesen, dass der Bukarester Patriarch, Seine Seligkeit Daniel, in seinem Land gemeinsame Gebete von Orthodoxen mit Nicht-Orthodoxen verboten hat. Die Regelung betrifft keinesfalls nur Katholiken des griechischen Ritus, sondern auch römische Katholiken. Päpste zum Beispiel.

Gemessen an diesen Vorzeichen zeigt sich der Ökumene-Kardinal Kurt Koch „sehr zufrieden“ mit dem Papstbesuch in Rumänien. „Sie spüren so etwas ja gleich am Ende der Reise, wenn der Papst in den Flieger zurück nach Rom einsteigt. Ich habe in seinem Gesicht gesehen, wie glücklich er war.“ Dem Papst sei es mit seiner „Ökumene der ausgestreckten Hand, einer Ökumene ohne Vorbedingungen“ gelungen, die Beziehungen zur rumänisch-orthodoxen Kirche „deutlich zu vertiefen“. Für ihn selbst, Koch, und die anderen Mitglieder der päpstlichen Delegation sei es auf solchen Reisen aus zeitlichen und protokollarischen Gründen zwar schwer, inoffizielle Kontakte zu knüpfen und sich mit den Ansprechpartnern des Gastlandes auszutauschen. Für den Papst sei das aber anders; er könne in den persönlichen Gesprächen viel bewirken. „Auf einer Papstreise geschieht so viel Atmosphärisches und Zwischenmenschliches, das man in dem jeweiligen Moment vielleicht gar nicht sofort bemerkt, das sich aber im Nachhinein positiv auswirkt“, so Kardinal Koch.

Für die Begegnungen von Franziskus und Daniel hatten die Diplomaten mehrere Schauplätze vorgesehen. Zunächst verfolgte der Patriarch von der ersten Reihe aus eine Ansprache des Papstes vor Vertretern der rumänischen Regierung im Präsidentenplast von Bukarest ‒ das war der Termin, an dessen Ende Franziskus die Ikone seines Gastgebers küsste. Danach traf der Papst den Patriarchen zum Vieraugengespräch und kam mit dem Ständigen Synod zusammen. Als Höhepunkt war der gemeinsame Besuch der neuen „Kathedrale der Erlösung des Volkes“ gedacht, eines der größten Kirchenbauten der Orthodoxie, unweit des früheren Palasts Nicolae Ceaușescus gelegen. Die Kathedrale wurde 2018 eingeweiht. Sie ist noch nicht vollendet und von gigantischen Baukränen umzingelt, kann aber selbst im provisorischen Zustand eine eindrucksvolle Kulisse für geschichtsträchtige Gipfeltreffen abgeben.

Vaterunser mit Fußnoten

Um einen möglichst feierlichen gemeinsamen Auftritt zu ermöglichen und zugleich das besagte Verbot gemeinsamer Gebete zu umgehen, hatten sich die Unterhändler beider Seiten auf eine Art Vaterunser mit Fußnoten geeinigt: Sowohl Papst Franziskus als auch Patriarch Daniel würden das Gebet des Herrn sprechen, allerdings nacheinander und in unterschiedlichen Sprachen: erst der Papst auf Latein, dann der Patriarch auf Rumänisch. Beide Autoritäten erinnerten zuvor in ihren Grußworten an die Apostel Petrus und Andreas; Petrus als Patron des Papsttums, Andreas als den Apostel, den die Tradition als Missionar Rumäniens verehrt. Wobei die Tonalität sich merklich unterschied. Patriarch Daniel vergaß nicht, sich auf Andreas als „den Erstberufenen“ zu beziehen – im Johannesevangelium ist es Andreas, der seinen Bruder Petrus überhaupt erst mit Jesus bekannt macht (Joh 1,40 f.). Auch legte Daniel Wert auf die Feststellung, dass Rom und nicht Bukarest um das Vaterunser in der Kathedrale gebeten habe, und Bukarest habe diese Bitte lediglich gewährt als Gegenleistung dafür, dass die katholische Kirche in vielen anderen Ländern rumänisch-orthodoxen Gläubigen ihre Gotteshäuser zur Verfügung gestellt habe.

Franziskus gab sich zutraulicher. „Jesus rief die Brüder Andreas und Petrus auf, ihre Netze zu verlassen, um gemeinsam zu Menschenfischern zu werden“, sagte der Papst. „Die eigene Berufung ist ohne die des Bruders unvollständig.“ Später, auf dem Rückflug von Sibiu zurück nach Rom, ging Franziskus sogar noch einen Schritt weiter: Bei der traditionellen fliegenden Pressekonferenz vor den mitgereisten Vatikanjournalisten sagte er, er habe sich dann doch gar nicht an das vereinbarte Vaterunser-Prozedere in der Erlöserkathedrale gehalten, als Patriarch Daniel mit dem Gebet an der Reihe war. „Ich bin nicht still geblieben. Ich habe auch gebetet, beide Male. Daniel habe ich nicht beobachtet, aber ich glaube, er hat das Gleiche getan.“ Ökumene-Kardinal Kurt Koch kommentiert das heute so: „Wenn wir im Nachhinein hören, dass vielleicht sogar noch mehr möglich gewesen wäre, als stattgefunden hat, können wir uns doch darüber freuen.“

Am Ende der besagten Pressekonferenz kam Papst Franziskus übrigens noch auf seine persönlichen Lesegewohnheiten zu sprechen. Der Papst, der auch Deutsch spricht, gab sich als Freund der „Herder Korrespondenz“ zu erkennen. „Diese Zeitschrift habe ich in Buenos Aires gelesen“, so Franziskus. Es hat seinem weiteren Werdegang offensichtlich nicht im Wege gestanden.

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