Leben mit spirituellen Krisen

Geistliche Trockenheit ist keineswegs so trocken, wie der Begriff vermuten lässt. Dahinter steht ein oft dramatisches, immer aber bedrückendes Erleben. Mit dem Phänomen beschäftigte sich 2018 ein Symposium des Kompetenzzentrums für christliche Spiritualität in Münster. Darauf beruhen die vierzehn Aufsätze. Das auf den ersten Blick abgehoben scheinende Thema entpuppt sich als ungemein aktuell.

Beschrieben werden einfühlsam die steinigen Wege bekannter und weniger bekannter Mystiker zu Gott und ihre Praxis, Dürreperioden zu überwinden. Mystiker reden von der „dunklen Nacht“ (Johannes vom Kreuz). Die Dunkelheit kann kurz währen (wie bei Teresa von Ávila) oder lebensbegleitend sein (wie bei Therese von Lisieux). Solche Trockenheit ist nicht allein Sache der großen Gottsucher, sondern „etwas, mit dem in jedem Leben zu rechnen ist“ (Thomas Dienberg), handelt es sich doch um eine Form von Lebenskrise. Man kann sie nach dem Beispiel der Mystiker als Transformationsweg deuten und versuchen, in Geduld und in beharrlichem Gebet eine Stufe näher zu dem sich verbergenden Gott zu gelangen und schließlich das Paradox „Er gewährt sich im Entziehen“ zu begreifen. Wer Glück hat, findet eine erfahrene spirituelle Begleitung, die in der Lage ist, ihr eigenes „Leben als ein geistliches“ zu verstehen (M. Paulin Link). Dabei geistliche Weggefährten zu bekommen, scheint freilich nicht leicht zu sein, wie ein Ordensmann vermerkt: Er habe „noch keinen Konvent erlebt, wo Verunsicherung auf dem geistlichen Weg Thema gewesen wäre“ (Heribert Leibold).

Eine großer, völlig anders gearteter Teil des Buches stellt Ergebnisse der deutschen Seelsorgestudie vor, einer Erhebung unter fast 9000 (katholischen) Priestern und nicht-ordinierten Seelsorgern sowie weiblichen und männlichen Ordensangehörigen. Gefragt wurde darin auch nach „Spiritual Dryness“. Sie ist häufig und hängt wesentlich von der Fähigkeit ab, Einsamkeit aushalten zu können. Dies wiederum gilt als Zeichen menschlicher Reife. Starke Persönlichkeiten erleben „Spiritual Dryness“ relativ selten, schwache hingegen leiden oder flüchten sich in Aktionismus. In ihrer Auswertung kommen die Autoren (Klaus Baumann, Arndt Büssing, zum Teil Christoph Jacobs und Michael Utsch) somit zwangsläufig auf psychotherapeutische Interventionen zu sprechen.

Diese dürften allerdings nur dann angezeigt sein, wenn es gelingt, geistliche Trockenheit von Depression oder charakterlicher Fehlentwicklung zu unterscheiden. Falls das überhaupt möglich ist. Oder in aller Schärfe gesagt: Hätte man Therese von Lisieux einer Langzeitpsychotherapie unterzogen, hätte sie vielleicht nicht lebenslang unter geistlicher Trockenheit gelitten. Sie wäre aber auch nicht zur Heiligen geworden. Norbert Jachertz

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Büssing, Arndt / Dienberg, Thomas (Hg.)

Geistliche TrockenheitEmpirisch, theologisch, in der Begleitung

Aschendorff, Münster 2019, 257 S., 36 €

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