Religiöse Trends in der LiteraturVorzeichenwechsel: wieder religiös?

Der neue religiöse Trend in der Literatur der Gegenwart.

Die „Probebohrungen“ versammeln Beiträge, die der Literaturwissenschaftler und Publizist Michael Braun zum religiösen Trend in Werken der Gegenwart verfasst hat. Enthalten sind perspektivenreiche Arbeiten über Martin Walser, Christoph Hein, Ralf Rothmann, Thomas Hürlimann, Ulrike Draesner, Dieter Wellershoff, Petra Morsbach, Patrick Roth und Martin Mosebach. Gleich eingangs rückt Braun Georg Büchner neu als religiösen Dichter in den Brennpunkt. Inwieweit auch Günter Grass zu den „religiös musikalischen“ Schriftstellern gehört, müsste eingehender herausgearbeitet werden.

Kürzere Überblicksartikel nehmen Bezug auf die Bibel und widmen sich Themen wie „Mutterfiguren“ (Maria und Medea), „Religion und Gewalt“, „Was ist tabu?“ sowie Reibungen zwischen „Deutschen Schriftstellern und dem Papst“ beziehungsweise „Gott, Geld und Medien“ (gezeigt an Atom Egoyans Katastrophenfilm „Das süße Jenseits“). Behandelt werden zudem Romane von Rafik Schami, Arno Geiger und Louis Begley sowie Exil, Flucht und Vertreibung bei Hilde Domin.

Eine reiche Fundgrube also. Der Buchtitel geht auf den Büchner-Preisträger des Jahres 2017, Jan Wagner, zurück, dessen Gedichte, so Braun, auf dezente Weise mit religiösen Begriffen operieren, aber nicht die Metaphysik ins Schaufenster stellen. „Jan Wagners Lyrik ist eines der vielen Beispiele für den religiösen Trend, den wir in den letzten 25 Jahren in der Gegenwartsliteratur beobachten können.“ Wenn auch kein Massenphänomen, ist in der Gegenwartskultur ein bemerkenswerter Vorzeichenwechsel gegenüber Religiös-Spirituellem festzustellen, eine neue Aufmerksam- und Nachdenklichkeit hinsichtlich der Gottesfrage, ja ein postsäkularer Bewusstseinswandel in der Wahrnehmung von Religion(en). Der Leiter des Referats Literatur der „Konrad-Adenauer-Stiftung“ spricht von einer „religiös musikalische(re)n Literatur“.

Dieser mehrfach wiederholte Kernbegriff des Buchs ist allerdings reichlich unscharf. Weitaus differenzierter sieht Braun die Bibelrezeption, das „wohl auffälligste Phänomen von Religiosität in der Gegenwartsliteratur“, existenziell oder ästhetisch motiviert. Neben der selektiven Wahrnehmung einschlägiger Fachliteratur fällt in Brauns Einführung das Fehlen einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen auf. Aufs Ganze bietet sein Buch, dem Titel entsprechend, anregende Erkundungen, kein einordnendes Panorama.

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