Martin Mosebach bei den Kopten„Ich bin Christ“

Märtyrer sind ein Überbleibsel aus der Frühzeit der Kirchengeschichte? Weit gefehlt. Das Bekenntnis von 21 Wanderarbeitern aus ärmlichsten Verhältnissen bewegt nicht nur die koptische Kirche in Ägypten.

Anfang 2015 wurden in Libyen zwanzig koptische Wanderarbeiter aus Oberägypten und ein weiterer, der vermutlich aus Ghana stammt, von Dschihadisten entführt und nach mehrwöchiger Gefangenschaft am Strand bei Sirte auf grausame Weise abgeschlachtet. Mit Messern säbelten die Mörder ihnen den Kopf ab und ließen das Blut ins Meer fließen, das sich rot färbte. Vom Verbrechen gibt es ein Video, das zur Abschreckung und Verängstigung der „westlichen“ Welt verbreitet wurde. Es ist nach einer geradezu „filmästhetischen“ Dramaturgie inszeniert und zeigt bis in grausamste Einzelheiten hinein, wie radikal„gläubige“ Muslime mit „Ungläubigen“, also Christen, umzugehen hätten.

Bis zum gewaltsamen Tod

„Botschaft an die Nation des Kreuzes, geschrieben mit Blut“ lautet der Titel des Films, in dem der Anführer der „Gotteskrieger“, verborgen hinter Masken, den „barmherzigen Gott“ anruft, bevor die Christen, anscheinend mit einem Gebet auf den Lippen, sterben. Der Kopf eines dieser Umgebrachten war auf einer Zeitschrift abgebildet, was den Schriftsteller Martin Mosebach bewegte, ein berührendes Buch über die 21 zu schreiben. Er begab sich zwei Monate lang auf eine Reise in die Heimat jener Ägypter, die aus sehr armseligen Verhältnissen stammten, zum Teil Kleinbauern waren und auf eher schlichte Weise ihren Glauben lebten, teilweise als Sänger in der Göttlichen Liturgie, und die am Christusbekenntnis festhielten bis zum gewaltsamen Tod.

Mosebach beschreibt eingangs die grauenhafte Szenerie des Videos, dann aber seine Spurensuche in der koptischen Geisteswelt, die dem Westen, auch der westlichen Christenheit, so fremd ist, obwohl die eigenen religiösen Ursprünge im Orient liegen. Besuche des zuständigen Bischofs, der Familien der Opfer, der Priester, welche die Wanderarbeiter im Ausland seelsorglich betreuten, von Wallfahrtsorten und vor allem Gottesdiensten bringen dem Leser eine Glaubenstradition nahe, die sehr unmittelbar, direkt – bis ins Legendarische – das Biblische aufgenommen hat und das Heiligmäßige feiert in einer volkstümlichen Schlichtheit und Ehrfürchtigkeit, die ergreift.

Mosebach versteht sich nicht als Reporter, der – noch dazu des Arabischen nicht mächtig – Einzelheiten erkundet und ermittelt. Ihm geht es darum, im Anschauen und Verweilen das Atmosphärische aufzunehmen, in dem die ermordeten Menschen mit ihren Familien gelebt, geglaubt, gehofft und geliebt haben. Die politischen Verhältnisse und ideologischen Facetten etwa des Islamismus interessieren den Autor nicht, dagegen das Menschliche, die Gottesbeziehung, die Glaubenswelt – und das auf eindringlichste Weise. Allerdings streift Mosebach dabei durchaus gesellschaftliche Verhältnisse, wenn er etwa den Kontrast zeichnet zwischen dem Müll, dem Chaos, der Unansehnlichkeit von Stadt- und Dorfbildern und der Reinlichkeit, Perfektion sowie Ordnung in den streng bewachten, ummauerten Kirchenbezirken, unter anderem mit bischöflichem Gymnasium, modernster Klinik, Gästehaus, Cafeteria, Schwimmbad und Residenz des autoritätsbewusst, klassisch patriarchalisch Audienz gewährenden Metropoliten. Allen Kapiteln ist das Foto eines Ermordeten vorangestellt. Mosebach versucht trotz der Verständigungsschwierigkeiten, den Geist der Gläubigkeit der betroffenen koptischen Familien zu ergründen, eher: nachzufühlen. Und er stellt fest, dass diese das Martyrium ihrer Lieben anscheinend nicht als Tragödie begreifen, sondern als Vervollkommnung dessen, was christliches Leben überhaupt sein kann, erhöht in einem einzigen, entscheidenden Moment.

Das eher unspektakuläre religiöse Leben wird getränkt und genährt von Heiligenverehrung, Liturgie und Wunderglauben. In Verbindung mit dem Martertod des Verwandten entstehen Wundererzählungen, die recht stilisiert und typisiert wirken, aber eine „Echtheit“ eigener Art ausstrahlen, die aus der Seele kommt. „Das war das Gemeinsame in allen Häusern: Ich betrat kein Trauerhaus, Beileids- und Mitleidsbekundungen waren fehl am Platz. Die Bewohner schienen auf eine andere Ebene gehoben.“ Die Familien besaßen nun verwandte Heilige, denn die koptische Kirche hatte die Märtyrer sofort nach dem schrecklichen Geschehen als Blutzeugen in ihr Martyrologium aufgenommen.

„Sie trugen Kronen, obwohl sie doch nur getan hatten, was von ihnen erwartet werden durfte und worauf auch alle ihre Brüder vorbereitet waren. Unversehens war diese selbstverständliche Pflichterfüllung von höchstem Glanz umgeben, doch das bewies nichts anderes, als dass das Leben auf Erden nur wie durch ein Eihäutchen von der himmlischen Sphäre geschieden war. Immerfort durfte man gewärtig sein, dass dieses Eihäutchen einriss und ein goldener Lichtstrahl in den Alltag fiel. Durch die Hinnahme eines grausamen Todes waren die Ehemänner, Söhne und Brüder erhöht worden. Die Verwandten maßten sich nicht an, an dieser Erhöhung teilzuhaben, aber sie blickten mit ruhigem Stolz auf die Getöteten.“

Eucharistie der Märtyrerkirche

In längeren Passagen befasst sich Mosebach mit der koptischen Kirche, mit ihrer altehrwürdigen Tradition, ihrer Spiritualität. Ausführlich beschreibt er den Ablauf einer eucharistischen Feier, die im Lauf der Geschichte kaum Veränderungen erfahren hat. Der Autor, ein entschiedener Liebhaber und Verfechter der tridentinischen Liturgie, findet darin eine Geistesverwandtschaft, was er zwischendurch auch zu Spitzen gegen westliche Glaubensentwicklungen nutzt, die aufklärerische Impulse aufnehmen und beherzigen.

Die unterschwellige Polemik nimmt dem Buch allerdings nicht seine stille Eindringlichkeit, seine leise Ehrfurcht vor denen, die als „ganz normale“, redliche Männer, als wahre Märtyrer für Christus gestorben sind, weil sie am Bekenntnis festhielten: „Ich bin Christ.“ So hinterlässt Mosebachs literarische Pilgerreise neben der Rührung über jene Heiligen auch eine große bedrängende Frage: Was eigentlich haben wir in unserer wohlhabenden Kultur und Gesellschaft aus dem großartigen Erbe Christentum, aus dem eigenen Christsein gemacht?

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Mosebach, Martin

Die 21Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer

Rowohlt Verlag, Reinbek 2018, 270 S., 20 €

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