Die neuen Vampire als Ikonen einer postmodernen TrivialtheologieBis(s) in alle Ewigkeit?

Sie bevölkern derzeit die Kinoleinwände, Fernsehbildschirme und Regale der Buchhandlungen: Vampire. Bemerkenswert sind dabei die Wandlungen des Vampirs in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem seiner religiösen Implikationen.

Die Epidemie des Vampirismus, die Bram Stoker in seinem „Dracula“ (1897) durch die tapferen Vampirjäger rund um Professor Van Helsing gerade noch zu verhindern wusste, hat nun, mit mehr als einem Jahrhundert Verspätung, die westliche Welt und insbesondere die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfasst. Vor allem an dem engelsgleich schönen Vampir Edward, männliche Hauptfigur der vierbändigen Twilight-Saga der US-amerikanischen Autorin Stephenie Meyer, kommt man derzeit nicht vorbei. Warum steigt ausgerechnet die Gestalt des Vampirs aus dem reichen Fundus der westlichen Trivialmythologie zur medialen Ikone des frühen 21. Jahrhunderts auf?

Auslöser für die massenmediale Wiedergeburt des Vampirs sind sicher die Romane Meyers, beginnend mit „Twilight“ (2003), die den Vampir endgültig aus der Ecke des Horrorgenres befreien und ihn zum Helden einer Teenager-Lovestory machen. In vier Romanen mit großem Seitenumfang lässt die Autorin ihre Protagonistin Bella Swan, ein 17-jähriges Mädchen in einer Kleinstadt im Nordwesten der USA, im Vampir Edward Cullen ihre große Liebe und schließlich durch ihn ewiges Leben als Vampirin finden. Vor allem die intensive Beschreibung aller Stadien akuten Verliebtseins sowie die, durch das Vampirthema metaphorisch überhöhte Frage von Begierde und Selbstbeherrschung sind in der Teenie-Literatur der letzten 30 Jahre einzigartig.

Einen noch gewagteren Genremix, der gerade aber in Bezug auf die zentrale Vampirgestalt nach einem ganz ähnlichen Muster wie „Twilight“ funktioniert, bietet die TV-Serie „True Blood“ (USA, seit 2008). In beiden Fällen ist der Vampir ein höflicher, attraktiver Gentleman, der sich durch extreme Selbstbeherrschung und einen ausgeprägten Beschützerinstinkt gegenüber den als schwach, dumm oder gar moralisch verkommen gezeichneten menschlichen Männern positiv hervorhebt. Aus dem Ladykiller (im buchstäblichen Sinn) mit sadistisch grundierter Erotik ist in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts ein dunkler Schutzengel geworden, aus dem Sohn des Teufels, wie ihn noch Bram Stoker nennt, ein skrupulöses Wesen, das über seine Rolle in der Schöpfungsordnung reflektiert und sich nach einer Seele sehnt.

Der neue Vampir scheint die ideale Projektionsfläche für jene Fragen zu sein, die in der Postmoderne nicht mehr ironiefrei gestellt werden können, die aber nach wie vor da sind. Allein seine Existenz als Untoter bringt zur Sprache, was sonst Sprachlosigkeit hervorruft: Die Grenzen von Leben und Tod und die Sehnsucht nach ewigem Leben. In seiner Unsterblichkeit ist er immer eine ungleichzeitige Gestalt zur jeweiligen Gegenwart und damit die ideale Verkörperung unzeitgemäßer, aber insgeheim ersehnter Verhaltensweisen. Und schließlich eröffnet der Vampir als eine Personifikation des Bösen, die zum Ideal des mühsamen Strebens nach dem Guten geworden ist, die Möglichkeit zu einem der Postmoderne angemessenen Diskurs über Gut und Böse, in dem es keine einfachen Zuordnungen, wohl aber überraschend klare Werte gibt.

Ein ideales Mythologem postmoderner Sehnsüchte und Ängste

Der Vampir ist ein Geschöpf der Nachtseite der Moderne. Bereits die ersten Berichte über sein angebliches Auftreten in der soeben erst von den Osmanen zurückeroberten Wojwodina 1725 erweisen den Vampir als Grenzgänger zwischen Tradition und Moderne, Wissenschaft und Aberglaube. Die Abwesenheit einer starken religiösen Deutungsmacht und die politischen Unsicherheiten bringen ein Wesen hervor, dass das Fehlen klarer Grenzen zwischen Leben und Tod verkörpert: den Vampir. Der aufgeklärte Westen, konkret die Militärärzte des habsburgischen Kaiserhauses, haben dem eine andere, neue Deutungsmacht, nämlich jene der Wissenschaft, entgegenzusetzen.

Doch es ist bezeichnend, dass nicht dieser Kampf der Aufklärung gegen den Aberglauben Eingang fand in die Literatur und in der Folge in den Mythenfundus der Moderne, sondern vielmehr die Faszination des unerklärlichen, die Grenze von Leben und Tod überschreitenden Bösen, das sich jeder rationalen Erklärung entzieht und gerade die Bannerträger der Vernunft, Männer von hoher Bildung und Wissenschaft wie Van Helsing, zu Kruzifixen und Weihwasser greifen lässt. Der Vampir ist keine historische Realität, sondern eine kulturelle Konstruktion, eines der ersten mythischen Wesen der Moderne und ihr langlebigstes.

Bereits in seinen ersten rezeptionsgeschichtlich bedeutsamen Anfängen werden jene Grundzüge des Vampirs festgelegt, die ihn bis heute begleiten: In John Polidoris Romanfragment „The Vampyre“ (1819) tritt der Vampir als Lord Ruthven auf, ein englischer Aristokrat und Libertin, unverkennbar am historischen Vorbild Lord Byrons angelehnt, der mit seiner bleichen Schönheit und dunklen Erotik junge Frauen in seinen tödlichen Bann zieht. Diese Charakteristik trifft im Wesentlichen auch auf Bram Stokers „Dracula“ zu. In diesem Vampir fokussieren sich die Ängste und geheimen Sehnsüchte des Fin de Siècle beziehungsweise des späten Vikorianismus: Er überschreitet die engen Grenzen der puritanischen Moral und bringt junge Frauen dazu, die animalische, gewalttätige Erotik, mittels derer sich der Vampir ihrer bemächtigt, zu genießen.

Insbesondere diese Metaphorik der moralischen Grenzüberschreitung und der aggressiven, allen gesellschaftlichen Normen zuwiderlaufenden Sexualität hat lange Zeit die Darstellung und Deutung des Vampirs geprägt. Gleichzeitig spiegelt der Vampir überdeutlich das Unbehagen der Moderne an einer reinen Vernunftreligion wider: Wenn der aufgeklärte Jonathan Harker im Schloss Dracula den Glauben an das Kruzifix um seinen Hals lernt und schließlich zwei Ärzte und ein Rechtsanwalt mit Weihwasser und Hostien bewaffnet den Vampir jagen, dann hat der Fortschrittsglaube vor der Faszination magischer Religiosität kapituliert.

Als Aristokrat im schwarzen Umhang, mit hypnotisierendem, begehrlichen Blick lernten ihn Generationen von Kinobesuchern zunächst in den dreißiger Jahren in der Darstellung durch Bela Lugosi und in den sechziger Jahren in der Gestalt Christopher Lees kennen. Insbesondere in den letztgenannten Dracula-Filmen spiegelt sich der anbrechende Diskurs über sexuelle Freiheiten und weibliche Autonomie überdeutlich (vgl. auch Nina Auerbach, Our vampires. Ourselves, Chicago 1995). Die Zugehörigkeit des Vampirs zur Sphäre des metaphysischen Bösen hingegen nimmt immer mehr ab, die Mittel der Religion verkommen zu bloßen Requisiten, die sich spätestens mit Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ (USA 1967) als ebenso veraltetet erweisen wie das Bild des Vampirs als aristokratischem Blutsauger, an dessen Kostüm Staub und Spinnweben haften.

Aus dem fremden Anderen, das in die westliche Zivilisation eindringt und deren Normen durchbricht, wird mit den siebziger Jahren ein selbstreflexives Subjekt der eigenen, nun US-amerikanischen Gesellschaft, das den Leser und Zuseher direkt anspricht. Der Vampir Louis in Anne Rice’ Roman „Interview mit einem Vampir“ (1976) ist der medial bedeutsamste Vorgänger der „neuen“ Vampire: Im ständigen Kampf gegen seine destruktive Begierde nach Blut ernährt er sich von Tierblut, leidet unter dem nächtlichen Einzelgängertum seiner Existenz und sucht verzweifelt nach einem Gott, in dessen Schöpfungsordnung ein Platz für ihn wäre. Der Vampir wird hier zum Prototyp des identitätssuchenden Subjekts der Postmoderne, das sich in keiner der ihm möglichen Welten zuhause fühlt und seinen Platz in einer immer schwerer definierbaren Ordnung sucht, in der Gut und Böse zunehmend vom Blickwinkel des Betrachters abhängen.

Auch die letzte große Dracula-Verfilmung durch Francis Ford Coppola (Bram Stokers Dracula, USA 1992) bestätigt die veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Parameter, unter denen der Vampir neu gelesen und vom Regisseur codiert und vom Rezipienten decodiert werden muss. Bereits der Untertitel des Filmplakates ist für einen Dracula-Film höchst ungewöhnlich: „Love never dies“ suggeriert eine Lovestory, wie sie in den neunziger Jahren im Kino sonst nur mehr mit ironischem Augenzwinkern möglich war. Dracula unterläuft als maßlos Liebender, der für seine Liebe brutal tötet und dennoch erst nach ausdrücklicher Aufforderung der Geliebten den als Orgasmus inszenierten Biss tätigt, jede political correctness und deutet zugleich ein neues Männlichkeitsbild jenseits patriarchaler Männerbünde, wie sie die Vampirjäger repräsentieren, an.

Trotz aller Grausamkeit erscheint am Ende nicht mehr der Vampir als der Böse, sondern seine Gegner; Van Helsing wird überdeutlich als religiöser Fanatiker gezeichnet, der auf Kosten der individuellen Liebe eine schwarz-weiße Weltordnung aufrechterhalten will. Aus dem Vertreter von Vernunft und Moral ist ein rücksichtsloser Exekutor überkommener Normen geworden, demgegenüber der böse Vampir als Individuum erscheint, das Bewunderung und Mitgefühl des Zusehers verdient. Der Vampir am Ende des 20. Jahrhunderts erweist sich als ideales Mythologem für die Sehnsucht nach jenen romantischen Idealen von unsterblicher Liebe, gegen die Stoker seinen Dracula antreten lässt und zugleich als eine glaubhafte Personifikation für die Ambivalenz von Gut und Böse, mit der die institutionalisierte Religion überfordert ist. Mit Coppolas Dracula endet die Geschichte des Vampirs als Agent des Bösen endgültig und beginnt seine Gegenwart.

Die neuen Vampire: Die Faszination der Ungleichzeitigkeit

Der Hype um die Twilight-Romane und -Filme hat wie wenige massenmediale Produkte der vergangenen zehn Jahre die feministische Kritik auf den Plan gerufen. In der Tat wird hier ein Geschlechterrollenbild vermittelt, dass man nach den 68er-Jahren entsorgt zu haben glaubte: Der einzige sehnsüchtige Wunsch der weiblichen Protagonistin ist es, für immer und ewig mit ihrem angebeteten Vampir zusammen zu sein. Dafür nimmt sie eine Heirat mit 18 ebenso in Kauf wie den Verzicht auf vorehelichen Sex und auf ihr menschliches Leben. Ihr Vampir-Freund Edward erweist sich als obsessiver Beschützer, der jede Nacht ungefragt vor Bellas Fenster wacht oder gar in ihrem Zimmer verweilt und ihr beim Schlafen zusieht.

Eine junge Frau ist ein zerbrechliches Wesen, das vor der bösen Welt und ihren Gefahren durch einen Mann beschützt werden muss, notfalls auch vor den eigenen Trieben; ein Mann ist dann begehrenswert, wenn er eben dazu in der Lage ist und vor allem, wenn er sich als perfekter Gentleman erweist, der einer Frau einen Verlobungsring an den Finger steckt, bevor er sie wirklich küsst – wie Edward in der vor kurzem erschienenen Verfilmung des dritten Teils der Saga, „Eclipse“, anmerkt.

Der Vampir des neuen Jahrtausends spiegelt – auch wenn viele Feministinnen dies nicht wahrhaben wollen – die Sehnsüchte und Wünsche insbesondere der jungen Generation nach einer Welt wider, die sie selbst nicht mehr kennen, nach einer Welt, in der junge Frauen noch nicht alles selbst und perfekt tun mussten und in der sie von einem jungen Mann verehrt, statt zum Sex à la YouPorn gezwungen wurden. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet jene Gestalt der Trivialmythologie, die für die Verunsicherung dieser Zeit der scheinbaren Sicherheit des Viktorianismus stand, nun zur Personifikation eben jener „alten Werte“ wird. Der Vampir, verdichtetes Symbol des im Dunkeln der Moderne lauernden Triebes von Eros und Thanatos, wird zum Beschützer vor den profanierten Gefahren der schlecht ausgeleuchteten Ecken der Postmoderne: Es sind „ganz normale Männer“, die Bella Swan in „Twilight“ in den Seitenstraßen von Port Angeles vergewaltigen wollen, und es ist der Vampir Edward, der sie vor diesen rettet.

Der Vampir ist für diese Rolle des dunklen Schutzengels in den Unübersichtlichkeiten der Postmoderne prädestiniert. Er entstammt genau jener Epoche, in der unser heutiges Bild von Romantik und den damit einhergehenden Geschlechterrollen geprägt wurde und er ist − aufgrund seiner Unsterblichkeit − von Anfang an Repräsentant des Vergangenen, der Aristokratie, charakterisiert durch eine gewisse Melancholie und Umgangsformen, die an andere Zeiten erinnern. Doch während der Vampir in Bram Stokers Roman und noch in seinen Verfilmungen bis zum Ende der sechziger Jahre einen Einbruch von adeliger Dekadenz und vorviktorianischer Freizügigkeit darstellt, verändert sich das kulturelle Paradigma: Der Vampir wird in einer Gegenwart, welche die Enge und repressive Moral des Fin de Siècle hinter sich gelassen hat, erneut zum Repräsentanten vergangener Werte, nur dass es nun die Werte des Viktorianismus sind.

Es ist kein Zufall, dass die „neuen Vampire“ keine dekadenten Adeligen des 17. oder 18. Jahrhunderts sind, wie Dracula, sondern vorbildliche Gentlemen des frühen 20. Jahrhunderts (Edward) oder Helden der Sezessionskriege (Bill Compton in „True Blood“). Die Faszination des Vampirs liegt in seiner Ungleichzeitigkeit zur jeweiligen Gegenwart, an seiner Gestalt kann ein Diskurs über aktuelle Werte und Normen stattfinden, wie er sonst zum Scheitern an der Ironie wie der political correctness verurteilt wäre. Diese Faszination der Ungleichzeitigkeit gilt sowohl für den Geschlechterrollendiskurs – und dieser steht gerade in der Diskussion um „Twilight“ im Mittelpunkt – als auch für das Ringen um moralische Werte und Normen überhaupt, oder, theologisch gesprochen, um die Frage nach Gut und Böse und der Versuchung, letzteres zu wollen und zu tun.

So etwa beim Verhalten des Vampirs Edward gegenüber seiner Freundin: Die erotische Spannung, die immerhin über die ersten drei Romane hinweg aufrechterhalten wird, resultiert daraus, dass der Vampir, seiner Natur entsprechend, nichts mehr begehrt, als das Blut der jungen Frau zu trinken und sie so zu töten. Umso näher er ihr kommt, desto heftiger ist dieses Verlangen. Gleichwohl beherrscht er sein Begehren. Die Doppeldeutigkeit des Begehrens, wie sie dem Mythologem des Vampirs von Anfang an immanent ist, wird hier überdeutlich – allerdings nicht als Aufforderung zum Libertinismus, sondern im Gegenteil als Appell an die Tugend der Selbstbeherrschung, des Triebverzichts und der Askese.

Die neuen Vampire stehen allesamt unter dem Paradigma der immer währenden Selbstkontrolle und Entsagung: Sie ernähren sich von Tierblut (Twilight), synthetischem Blut (True Blood), sie hungern (The Vampire Diaries, USA seit 2009), oder trinken Blutkonserven (Buffy the Vampyre Slayer, USA 1997–2003). Im Vampir spiegelt sich eine Anthropologie, wie sie der Theologie vertraut ist: Der Mensch (hier der Vampir) ist in seiner aktuellen, postlapsarischen Existenz (nach der Verwandlung zum Vampir) geneigt zum Bösen, getrieben von ständiger Begierde und durch sie geneigt, Böses zu tun (Menschen das Blut auszusaugen). Doch der Mensch (der Vampir) kann diese Begierde überwinden, er kann sich in Enthaltsamkeit üben und seine Triebe beherrschen, er kann statt sich der eigenen Leidenschaft hinzugeben, sich der Liebe und der Rettung anderer zuwenden (indem er sie etwa vor dem Bösen beschützt) und so zumindest in der Hoffnung leben, dereinst zu den Guten zu gehören, anstatt zu den Verdammten.

Dieses Modell der augustinischen Anthropologie, wenngleich in der Theologie der letzten Jahrzehnte abgelehnt, trifft offenbar die Bedürfnisse in einer postmodernen Auseinandersetzung um Gut und Böse, medial gebrochen durch die fiktionale Gestalt des Vampirs. Mit der Subjektwerdung des Vampirs in den siebziger Jahren eröffnet sich an ihm die Möglichkeit des überhöhten, teils plakativen Diskurses über das Monster im Menschen, das doch gerne ein Superheld wäre, und über die Frage nach einer Erlösung von den eigenen, destruktiven Trieben. Die Rolle, die dem Vampir lange Zeit zugewiesen wurde, nämlich jene der Verkörperung der verdrängten Aggression und Sexualität, ist obsolet geworden, seit beide, Aggression wie Sexualität, in einem Ausmaß im gesellschaftlichen Mainstream angekommen sind, das keinen Raum lässt für Mehrdeutigkeiten und verschämte Metaphern.

Seiner trivialmythologischen Herkunft nach gehört der Vampir klar in den Kontext der Teufelsgestalten der so genannten „Schwarzen Romantik“ des 19. Jahrhunderts. Bram Stoker bringt seinen Dracula mit dem Teufel in Verbindung und zeichnet ihn als dämonisches Wesen. Als solches hat der Vampir übernatürliche Fähigkeiten, die ihn religionswissenschaftlich betrachtet klar in den Kontext der Zwischenwesen, eben der Geister und Dämonen, verweisen, wie die Affinität zu bestimmten unheimlichen Tieren oder die Beherrschung von Sturm und Nebel – lauter Attribute, die seine animalische wie dämonische Natur verdeutlichen sollen.

Doch der Vampir ist noch in anderer Hinsicht das Zwischenwesen der Moderne: Er steht zwischen Leben und Tod und ist keines von beiden oder beides zugleich. Der Vampir ist buchstäblich die Verkörperung eines in der Säkularisierung auf Abwege geratenen Auferstehungsglaubens, eine Art groteske Parodie des ewigen Lebens, das sich die Gebildeten am Ende des 19. Jahrhunderts wenn überhaupt, nur mehr als Weiterexistenz der Seele ohne Körper vorstellen mochten. Der Vampir hingegen ist ein ewiger Körper ohne Seele. Mit der Beseitigung Draculas lässt Stoker seinen frommen Professor Van Helsing auch diese naturwissenschaftliche wie theologische Provokation beseitigen – freilich nur, um ihm zu dauerhaftem Leben im medialen Mythenkanon zu verhelfen.

Die Seelenlosigkeit des Vampirs dient bereits bei Stoker dazu, seine Grausamkeit zu erklären, die Fähigkeit zum moralischen Empfinden, ja zur Menschlichkeit überhaupt wird an die Existenz der Seele geknüpft. Mit der Wandlung des Vampirs in den siebziger Jahren zum selbstreflexiven Subjekt erhält die Frage nach der Seele als zentralem Moment der Identitätsstiftung plötzlich eine Relevanz, wie sie ihr in der philosophischen Anthropologie mit Michel Foucault und anderen bereits abhandengekommen war. Können die Erkenntnis der eigenen Monstrosität und der Wunsch, dieser zu entkommen oder sie zumindest zu beherrschen, überhaupt ohne Seele möglich sein? Und wenn nein, was ist es dann, was zuerst den Vampir Louis und nach ihm alle „guten“ Vampire bis hin zu Edward Cullen antreibt, ihr Begehren nach Menschenblut zu unterdrücken?

Anne Rice lässt ihren Vampir Louis auf der Suche nach seiner metaphysischen Letztbegründung jedenfalls ungetröstet zurück (Interview mit einem Vampir, München 2008, 210). Das Monster ist zum Menschen geworden nur um mit ihm seine existenzielle Verzweiflung über die religiöse Antwortlosigkeit zu teilen. Das ewige Leben des Vampirs ist nun weniger eine Parodie des christlichen Auferstehungsglaubens als vielmehr eine Art Sartre’sche Hölle auf Erden.

Weit optimistischer und vor allem religiöser präsentieren sich die Vampire des 21. Jahrhunderts. Zum einen vermitteln sie nun den Eindruck, als wäre eine ewige Existenz in einem immer gleich bleibenden Körper durchaus erstrebenswert – Wissen, Erfahrung, Kunstfertigkeit, Reichtum lassen sich so weit besser anhäufen als in einem kurzen Menschenleben. Der Vampir wird von der Verkörperung einer missglückten Auferstehung zum Idealmodell eines himmlischen Körpers auf Erden, wie ihn insbesondere Stephenie Meyer für ihre Vampire in aller leuchtenden, marmorweißen Herrlichkeit imaginiert: „eine Statue der Vollkommenheit, gemeißelt aus einem unbekannten Stein, der glatt wie Marmor war und glänzend wie ein Kristall“.

Vor allem aber sehen sich die neuen Vampire als Teil einer von Gott gewollten Schöpfungsordnung, in der es, wie es Edward ausdrückt, „Babyrobben und Killerwale“ gibt, und eben Menschen und Vampire. Das Problem der Seelenlosigkeit ist in „Twilight“ – anders als noch in „Buffy“ in den neunziger Jahren – letztlich eines der Tradition. Nicht das Fehlen oder Vorhandensein einer Seele bestimmt die moralische Qualität des Vampirs, sondern vielmehr muss jemand, der so gut handelt, wie es Edward und seine Vampir-Familie tun, eine schöne Seele haben. Die metaphysische Qualität von Gut und Böse erweist sich im 21. Jahrhundert an den Handlungen und an der persönlichen Entscheidung, trotz aller destruktiven Begierden zu den Guten gehören zu wollen.

Die Faszination, die der Vampir in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts auslöst, ist vielschichtig, wie die Gestalt des Vampirs selbst. Der Vampir verkörpert seit jeher unsere geheimen Sehnsüchte und Ängste, und diese sind heute geprägt von einer Suche nach tragfähigen Werten bei gleichzeitigem Wissen um die Untiefen und Gefahren jeder einfachen moralischen Unterteilung in Gut und Böse. In der Ungleichzeitigkeit des Vampirs, die sich aus seiner Unsterblichkeit ergibt, lassen sich Diskurse um neue und alte Werte und Rollenbilder führen, wie sie sonst in dieser ideologiefreien und massentauglichen Form kaum möglich wären. Die Rede von der ewigen, einen, und wahren Liebe, die zuletzt nur noch Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Deus Caritas est“ zu führen wagte, wird, gebrochen durch das Mythologem des Vampirs, wieder möglich.

Im Vampir bricht schließlich in verspielt postmoderner Verkleidung die Frage nach der Fortdauer unserer Existenz über den hinfälligen Körper hinaus in die Wirklichkeit sogar von Teenagern herein und bietet auch die unserer Gesellschaft erwünschte Antwort: Ein ewiges Leben im perfekten, engelsgleichen Körper kann es geben, allerdings um den Preis der immer währenden, absoluten Selbstbeherrschung.

Die neuen Vampire sind nicht nur ein wichtiges Stück moderner Trivialmythologie, sie stehen auch für eine gar nicht so postmoderne, neue Trivialtheologie.

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