Rezension zu Jörg Ernesti: Deutsche Spuren in Rom. Spaziergänge durch die Ewige Stadt.Sich von der Ewigen Stadt finden lassen

Im besten Fall besucht man Rom nicht, sondern wird eins mit diesem Kosmos. Eine Anleitung.

Wie ein Flaneur durch Rom zu spazieren, ist zweifellos die schönste Art und Weise, sich mit dieser Hauptstadt der Welt vertraut zu machen. Jedes Viertel, jede Kirche, jeder Park und jede Piazza lässt Neues und Anderes aus mindestens zweieinhalb Jahrtausenden Stadtgeschichte entdecken, die meistens auch Weltgeschichte war – jedenfalls bis ins 19. Jahrhundert, als Paris der Stadt am Tiber den Rang der Hauptstadt des Jahrhunderts abspenstig machte und als Rom in eine Art Dornröschenschlaf versank.

Zu den zahlreichen Büchern, die sich als Begleiter auf solchen Spaziergängen anbieten, ist jetzt ein neues hinzugekommen: Jörg Ernesti lässt darin den Rom-Reisenden deutsche Spuren in der Stadt entdecken und nimmt ihn mit zu nahezu allen Orten links und rechts des Tibers, an denen sich deutschsprachige Reisende aufgehalten und die sie geprägt haben. Die ersten vier Kapitel kreisen um den Petersdom und führen zu eher abseits der Touristenströme liegenden Orten wie dem Camposanto Teutonico oder zu entlegenen Abteilungen der Vatikanischen Museen.

Jenseits der Mauern des Vatikan nimmt uns Ernesti mit auf die Tiberinsel und erinnert an den Rom-Aufenthalt Kaiser Ottos III., zeigt uns die deutsche Nationalkirche Santa Maria dell’Anima und führt zur Casa di Goethe, wo sich fast alle deutsche Spuren kreuzen. Schade, dass Goethes Inkognito nicht in Zusammenhang mit Roberto Zapperis gleichnamiger Studie über den Aufenthalt des Dichters geschildert wird, handelt es sich doch bei diesem Buch und seinem Autor um ein wunderbares Beispiel dafür, wie deutsche Spuren in Rom auf eine ebensolche italienisch-deutsche Symbiose verweisen.

Luther in der katholischen Stadt

Jörg Ernesti lässt uns deutsche Maler, Buchdrucker, Verleger und Literaten entdecken, zeigt uns den Einfluss Christoph Unterbergers, eines Schülers des großen Raphael Mengs, auf die Gestaltung der Villa Borghese, und erläutert die Grablege von Nikolaus Cusanus in San Pietro in Vincoli, wo sich ebenfalls Michelangelos Moses befindet. Was wäre nicht alles zu sagen zur Entstehungsgeschichte dieser Skulptur und vor allem zu ihrer Rezeption durch Sigmund Freud! Klug versteht es Ernesti, in wenigen Andeutungen die Bedeutung der Skulptur für Freuds Kulturtheorie zu skizzieren – wie überhaupt zu den Stärken dieses Buches gehört, dass der Autor seinen Leser zum Weiterforschen und -lesen anregt.

Vom „deutschen Kapitol“ zu sprechen ist indes kühn und würde bei italienischen Leserinnen und Lesern Stirnrunzeln auslösen: Natürlich war der Palazzo Caffarelli als Ort der preußischen Gesandtschaft unter Leitung eines Wilhelm von Humboldt ein wichtiger Ort – allerdings doch eher für die deutsche Kulturnation als für Rom, wo man mit dem Kapitol anderes assoziiert. Zurecht allerdings erinnert Ernesti in diesem Zusammenhang an die deutschen Forschungsinstitutionen wie das Historische oder das Archäologische Institut, deren Gründung letztlich auf die Initiative der preußischen Gesandten zurückgeht. Und ebenso erwähnt er hier, auf dem Kapitol, die ersten regelmäßigen und „legalen“ protestantischen Gottesdienste in der Hauptstadt des Katholizismus – die zu einer Zeit stattfanden, als Nichtkatholiken lediglich fernab vom Zentrum bestattet werden durften. Auch dem Cimitero acattolico an der Cestiuspyramide widmet Ernesti ein eigenes Kapitel, ebenso wie der Präsenz protestantischer Gemeindearbeit in Rom, die für ihn Anlass zu einem Exkurs über Luthers Romreise ist.

Der Blick auch auf Blutspuren

Schließlich darf in einem Buch über deutsche Spuren in Rom auch nicht das Schreckensregime der Deutschen von Herbst 1943 bis Sommer 1944 fehlen: Jörg Ernesti begleitet seine Leser zur Gedenkstätte der Fosse Ardeatine, wo 335 italienische Geiseln erschossen wurden und die Blutspur von Wehrmacht und SS noch ebenso deutlich zu sehen ist wie an so vielen anderen Orten Italiens. Wäre nicht hier Gelegenheit gewesen, Roberto Rossellinis Film „Rom – Offene Stadt“ zu erwähnen, nicht nur wegen seiner fragwürdigen Rezeption in der jungen Bundesrepublik, sondern weil sein Thema der Mythos der Resistenza im Nachkriegsitalien ist – mithin eine bis heute unübersehbare und letztlich deutsche „Spur“.

Viele deutsche Rom-Reisende kommen zu Wort, denen die Stadt am Tiber zum Bildungsgenuss wurde und zum Erlebnis glücklicher Selbsterkenntnis. Andere, denen dies nicht beschieden war, bleiben ungenannt: Wilhelm Waiblinger etwa oder Karl Philipp Moritz, der Goethes Inkognito maßgeblich beeinflusste. Und Rolf Dieter Brinkmann hat zwar keine direkten Spuren in Rom hinterlassen, dafür aber um so mehr im deutschen Bewusstsein von den verlorenen Illusionen derer, die sich so viel, ja zu viel von dieser Stadt versprechen. Waiblingers, Moritz’ und Brinkmanns Scheitern an Rom liegt wohl darin begründet, dass sie nicht mit dieser Stadt eins werden konnten – das Glück derer, denen dies gelang, lag indes darin, dass sie nicht mehr Deutsche waren, sondern Deutsch-Römer. Das macht wohl das Gelingen einer Romreise aus: nicht mehr in nationalen Kategorien zu denken, sondern den Universalismus dieser Hauptstadt der Welt zu erleben und zu verinnerlichen.

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Ernesti, Jörg

Deutsche Spuren in RomSpaziergänge durch die Ewige Stadt

(Verlag Herder, Freiburg 2021, 224 S., 30 €)

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