Rezension zu Guido Fuchs: Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche.Mit Jogginghose im Gottesdienst?

Das schlechte Benehmen im Gotteshaus scheint eine Konstante der Kirchengeschichte zu sein.

Den größten Teil der Predigt schlief ich jedoch, bis zum Schlußsegen weckte mich niemand, was mir noch nie passiert ist“, notierte der englische Marinesekretär Samuel Pepys am 17. November 1661 in seinem Tagebuch. Eine leise Empörung schwingt mit – den Segen hätte er wohl doch gerne wach in Empfang genommen. Dass sein Verhalten nicht der guten Ordnung entsprach, wusste der durchaus fromme Pepys ohne Zweifel.

Unpassendes Benehmen im Gotteshaus scheint eine Grundkonstante der Kirchengeschichte bis heute zu sein – in früheren Zeiten, als auch der soziale Druck die Kirchen füllte, verständlicher als heutzutage, wo die allermeisten Kirchenbesucher aus freien Stücken einem Gottesdienst beiwohnen. Der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs unternimmt in seinem Buch „Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche“ einen Streifzug durch die Facetten des Themas. Er differenziert dabei unterschiedliche Kategorien: „Falsches Benehmen – oder besser: Verhalten – kann man da antreffen, wo Kirchenbesucher oder Gottesdienstteilnehmer nicht wissen, wie man sich zu bestimmten Gelegenheiten verhält.“ Zum schlechten Benehmen gehören „Dinge, die man macht, obwohl man weiß, dass sie sich nicht gehören“. Die Überlegungen speisen sich aus ganz unterschiedlichen Quellen nicht nur geschichtlicher Art, auch Zuschriften zu einem Forschungsprojekt des Instituts für Liturgie und Alltag sowie Passagen aus jüngeren Romanen zieht Fuchs heran.

Störer ohne böse Absicht

Fuchs beginnt seinen Rundgang mit dem Verhalten von Besuchern vor und während des Gottesdienstes. Gerade an der Sitzhaltung lässt sich besonders gut eine Bandbreite unpassenden Benehmens zeigen: Mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Bank zu lümmeln, ist das eine, an einer liturgisch erforderlichen Stelle sitzen zu bleiben, etwas anderes. Beide Verhaltensweisen, und dieser Aspekt kommt bei Fuchs manchmal zu kurz, lassen aber keinen Schluss darauf zu, dass es einem solchen „Übeltäter“ zwingend an tiefempfundenem Glauben fehlt.

Bei den Ursachen des schlechten Benehmens geht es letztendlich um Gedankenlosigkeit oder um fehlenden Respekt vor dem, was anderen heilig ist. In vielen Fällen spielt auch schlicht fehlendes Wissen eine Rolle. Guido Fuchs bietet einen reichen und unterhaltsamen Fundus von Beispielen, die vom Tabakgenuss über Kaugummi bis zum Betteln in Kirchen reichen. Ein eigenes Kapitel behandelt Weihnachtsgottesdienste, die in früheren Zeiten manchmal durch alkoholgeschwängerte Feierfreudigkeit des Kirchenvolkes erschwert wurden und heute oftmals durch undisziplinierte und eher kirchenferne „Seltengeher“ wenig Andacht aufkommen lassen.

Doch auch mutwillige Störungen des weihnachtlichen Gottesdienstgeschehens sind zu nennen, bis hin zu politisch motivierten Aktionen um 1968 bei Weihnachtsgottesdiensten. Letztere laden den Autor zu einem einigermaßen abseitigen Vergleich ein: „Der Familienfrieden, zu dem auch die Kinder mit ihrem dankbaren Wohlverhalten beitragen sollen, kann durch entsprechendes ‚Fehlverhalten‘ empfindlich gestört werden: etwa durch das Coming-out Homosexueller, die sich an diesem Tag familiärer Gemeinschaft mit ihrem Zwang zur Normalität schwertun, zugleich aber die Vollzähligkeit der versammelten Familie nutzen, um diese mit ihrer sexuellen Neigung bekannt zu machen – und damit das Fest gleichzeitig zu sprengen…“ Ist hier ein weihnachtlicher Familienfriede gewünscht, der, einer Liturgie im schlechtesten Sinne ähnelnd, aus purer Oberfläche besteht und keine Abweichungen duldet?

Müssen Hunde draußen bleiben?

Die meisten der von Guido Fuchs kurzweilig beschriebenen Phänomene unserer Zeit, wie unpassendes und unsensibles Verhalten oder fehlender Respekt, sind keine kirchenspezifischen Probleme, sondern in der gesamten Gesellschaft deutlich wahrnehmbar. Disziplinierung wäre ein Weg, etwa die von Fuchs angeregte zeitweilige Schließung touristisch viel frequentierter Kirchen: „Manches muss man rar machen, um es als heilig und kostbar zu erhalten.“

Dass aber die Geschichte derartiger Kirchen etwas ganz anderes erzählt, darf man nicht vergessen: So berichtet Johann Pezzl in seiner „Reise durch den Baierischen Kreis“ (1784), dass im Augsburger Dom öffentlicher Durchgangsverkehr herrschte und man „ganz ungeniert und unter vertraulichem Geplauder unaufhörlich quer durch die katholische Kathedralkirche“ ging, weil ein städtisches Wegerecht bestand und die Menschen einen Umweg von einigen fünfzig Schritten scheuten. Solche Kirchenbauten waren immer schon ein Teil der Welt, keine abgeschotteten Weihestätten. Ein Umstand, der viele Zeitgenossen genauso gestört haben dürfte wie die von Fuchs erwähnten Hunde in Kirchen, die man aus zahlreichen niederländischen Gemälden von Kircheninterieurs aus dem 17. Jahrhundert kennt.

Heute bleiben die Hunde zuhause, seit gut einem Jahr aber auch oft die Menschen. So ergeben sich ganz neue Fragen, etwa diese: Darf man einen Online-Gottesdienst, wie jüngst beim Ökumenischen Kirchentag, über den heimischen Laptop am unaufgeräumten Schreibtisch verfolgen und dabei eine Jogginghose tragen?

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Fuchs, Guido

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche

(Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2021, 184 S., 19,95 €)

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