Früherer PEN-Präsident Der deutsch-iranische Dichter SAID ist gestorben

Es gibt nicht viele Mystiker einer schwebenden Gottesferne unserer Zeit, die zugleich Dichter sind. Einer der Großen ist von uns gegangen: CIG-Herausgeber Johannes Röser über SAID, der 74-jährig verstorben ist.

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Wie können die Menschen leben, wenn die Götter schweigen? Indem sie selber schweigen. Besser: hören. Noch besser: schreiben. Das war SAIDs Berufung. So schrieb er von Göttern und Menschen. Immer wieder auch über Tiere, jene seltsamen Wesen mit ihrer dem Homo sapiens unverständlichen Sprache, die in einem eigenartigen Dazwischen dem Himmel näherstehen als dem Irdischen.

SAID, der kurz vor seinem 74. Geburtstag in München gestorben ist, hat als „Agnostiker“ – aber was sagen solche Etikettierungen schon! – das Religiöse gebrochen, aufgebrochen. Als Dichter war er ein Mystiker einer neuen Zeit und für eine neue Zeit, die nicht mehr versteht und auch nicht mehr verstehen kann, was einmal war, die vielleicht aber, ohne es zu wissen, auf dem Sprung ist, zu erahnen, was sein könnte, diesseits und jenseits dessen, was meistens allzu platt vor unseren Augen liegt. SAID ging mit seiner ihm eigenen Hermetik vor allem in kurzen Gedichten, aber auch in Erzählungen in jene Zwischenwelten, die mehr Welt sind, als uns zugänglich erscheint. Er bewegte sich auch lebensgeschichtlich als ein dauerhaft Fremder unbehaust zwischen fremden und trotz aller Bekanntheit fremdbleibenden Welten, zwischen seinem Geburtsland Iran und seinem Wahlort Deutschland, zwischen seiner Muttersprache Farsi und seiner literarischen Wahlsprache Deutsch, zwischen Islam und Christentum und Gottverlassenheit.

Nacht des Göttlichen

SAID stammt aus Teheran. Mitte der sechziger Jahre ging er zum Studium nach München, unterstützte dort Proteste gegen das Schah-Regime. Doch die Hoffnung auf Freiheit durch die Revolution Khomeinis, nach der er kurz in den Iran zurückkehrte, wurde enttäuscht. SAID zog endgültig nach München und begann zu schreiben. Im christlich geprägten Kulturkreis setzte er sich immer stärker religiösen Erfahrungen der Nacht des Göttlichen aus. Dem Revolutionär der Befreiung Jesus widmete er ein längeres Prosagedicht: „ich, jesus von nazareth“. In dessen Ur-Entfremdung von Gott – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen – sah er die vielfältigen Entfremdungen des Menschen von Gott und vom Menschen gespiegelt, die Herrschaft von Gewalt und Unterdrückung, die mit Liebe, Vernunft, Humanität und interreligiöser Verständigung zu überwinden ist. Entsprechend schöpften seine „Psalmen“ aus der Gebrochenheit des Menschen und der Gebrochenheit des Göttlichen, aus dem Schrei nach Gerechtigkeit, aus dem stummen Schrei der Angst, aus der Sehnsucht nach einer Rettung, auf die man nicht zu hoffen wagt, insgeheim aber verzweifelt hofft. Ein Gebet SAIDs ist ins katholische Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ aufgenommen worden (Nr. 15,3).

SAIDs Heimat war die Heimatlosigkeit. Gast auf Erden, die einzig wahre Existenz des Menschen. Unruhig ist unser Herz bis … Als Melancholiker des Daseins suchte er in der Verlorenheit der unzugänglichen Orte so etwas wie eine Pilgerkarte zu entwerfen dorthin, wo das Unmögliche eventuell möglich werden könnte. Er wurde so auf paradoxe Weise zu einem „Evangelisten“ eines Evangeliums der anderen Art, gottfern gottnah zugleich, unfromm fromm. Daher so menschlich, bescheiden, aufrichtig, skeptisch gegenüber allen, die meinen, die Wahrheit zu besitzen, gerade auch die göttliche. Um des Menschlichen und Göttlichen willen war dieses am stärksten zu schützen.

Ein geflüsterter Name

Scheu, fast schüchtern kam SAID dabei einem biblischen Evangelisten nah: In dieser Zeitschrift, in der er seit vielen Jahren publizierte, in der er vor allem Kurzgedichte veröffentlichte, erschienen 2002 seine „kairiner miniaturen“, Aufzeichnungen einer Reise nach Ägypten. Genauer war es, wie er sagte, ein Pilgern, unter anderem zu Stätten der Dichtkunst in Alexandria und zu Orten religiöser Ergriffenheit.

 

„direkt gegenüber der synagoge die markuskirche – für alexandriner kein widerspruch, hier liegt der kopf des heiligen markusgründer der koptischen kirche. die innenwände sind mit arabischer schrift verziert. für mich ein novum, hier der normalfall. die schlichte gruft: wenig frische blumen, viele wunschzettel. ich zögere, ob auch ich einen hineinwerfe. was aber, wenn der diener, der mich begleitet, fragt, ob ich christ bin. ich verzichte. dafür zünde ich eine kerze an; für den heiligen markus, für diese kirche, für die kopten, die immer mehr unter druck geraten.“

Beim Dresdener Kongress zum siebzigjährigen Bestehen des CIG 2018 las SAID aus seiner Jesus-Erzählung. Dem Verfasser dieser Zeilen übergab er als Geschenk „dankbar und herzlich“, wie er unterschrieb, Worte jenes Daseins, in denen, mit denen und aus denen er lebte – flüsternd am Verstummen, fast schweigend:

pappeln verschlucken den himmel
werfen keinen schatten mehr und
flüstern deinen namen
behausungen nehmen abstand von der straße
kehren in sich ein und
flüstern deinen namen
liebespaare verstummen
durch den blick der neider und
flüstern deinen namen

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