Gisbert Greshake zur KirchenreformWelche Kirche Zukunft hat

Diese Kirche von morgen stehe „unter den Bedingungen der Individualisierung“ und werde ihnen (endlich) gerecht.

Dass die Kirche und mit ihr der christliche Glaube sich in einem grundsätzlichen Wandel befinden, wird wohl niemand leugnen.“ Gisbert Greshake erkennt darin die Chance „radikal neuer Antworten“. Aus dem, was sich heute abzeichnet, entwirft er die Real-Utopie einer Kirche von morgen, „die geprägt ist von der Überwindung des Klerikalismus, Autoritarismus und Zentralismus sowie vom Miteinander aller Instanzen und ihrer gegenseitigen Vernetzung“.

Diese Kirche von morgen stehe „unter den Bedingungen der Individualisierung“ und werde ihnen (endlich) gerecht. Statt den Glauben institutionell gleichförmig zu machen, öffne sie Freiraum für vielfältige Glaubenserfahrungen. Sie werde maßgeblich von „Laien“ gestaltet und getragen. Statt als Großkonzern Kräfte zu binden, konzentriere sie sich auf die geistliche Mitte. Der Glaube werde einfach sein und wenig Doktrin benötigen, die Liturgie ihre „spirituelle Leere“ überwinden. Die Kleriker würden aus „einer abgesonderten, von den Lebenssorgen und -ängsten der übrigen Menschen separaten Kaste“ heraus- und ins wirkliche Leben hineinfinden. Statt Moralapostel, Vermögensverwalter und Personalmanager werden sie Spirituale der Gläubigen – was für ein Bild!

Solch erneuerte Sozialgestalt der Kirche nimmt Maß an dem, was das Konzil ihre Sakramentalität genannt hat – nicht durch Sakralisierung alter Strukturen, sondern indem man überprüft, ob diese wirklich Zeichen und Werkzeug der Gottverbundenheit und Gemeinschaft sind. Greshake zeichnet ein attraktives Bild einer erneuerten Kirchengestalt. Einige Einschätzungen jedoch irritieren. Etwa, wenn er schreibt: Der Missbrauchsskandal, auf eine Fußnote reduziert, werde „kaum die Zukunft der Kirche bestimmen“. Die kirchliche Entfremdung hochaffiner Kirchenmitglieder kommt gar nicht in den Blick, stattdessen stellt Greshake litaneimäßig die Bedeutung der angeblich „von pressure groups…litaneimäßig vorgetragen[en]“ Themen: „Abschaffung des Zölibats, Frauenordination, Erneuerung der Sexualmoral u.ä.“ in Abrede. Dass der Massenexodus aus den Kirchen nicht mehr nur mit synkretistischer „Wohlfühlreligiosität“ erklärt werden kann, belegen die jüngsten Austrittszahlen. Ob man nach Ende der Volkskirche in der Sakramentenspendung wirklich wählerischer werden sollte, „damit ‚das Heilige nicht den Hunden preisgegeben wird‘ (Mt 7,6)“, kann man ebenfalls fragen. Dass die Fürsprecherinnen und Fürsprecher der Weihe von Frauen von ihrem Engagement abließen, wenn Priester weniger „Machtarroganz“ an den Tag legten, dürfte unrealistisch-utopisch sein – und unterstellt den Frauen jenen Klerikalismus, der bei männlichen Amtsträgern beklagt wird. Die römische Absage an die Frauenordination als „letztes Bollwerk“ (Hans Urs von Balthasar) zur Würdigung der Geschlechterdifferenz zu loben, karikiert die menschheitliche Errungenschaft, Sexualität nicht mehr biologistisch einzuengen, sondern als personale Größe wertzuschätzen und grundrechtlich zu sichern. Das haben genau jene Gesellschaften hervorgebracht, denen Greshake den „oberflächlichsten Begriff von Sexualität“ attestiert, „den die Menschheit je kannte“.

So wenig man ihm also in allem zustimmen wird, so anregend ist es, nach all den nötigen Krisendiagnosen unserer Tage auch einmal frohgemut nach vorn zu schauen und eine Kirche vorauszudenken, die „ohne Angst und Furcht vor dem Unbekannten und im Vertrauen auf Gottes Treue die Wüste hinter sich lässt und den Aufbruch ins Neue wagt“.

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Greshake, Gisbert

Kirche wohin?Ein real-utopischer Blick in die Zukunft

Verlag Herder, Freiburg 2020, 256 S., 24 €

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