Soziologe Philip GorskiMit der Religion zur Wahl

An seiner Abneigung gegen Trump lässt der Autor keinen Zweifel.

Biden oder Trump – gibt Religion den Ausschlag? Der Soziologe Philip Gorski beleuchtet das wechselvolle Verhältnis von Christentum und Demokratie. Er geht über die amerikanischen Verhältnisse hinaus weit in die europäische Geschichte zurück. Denn heutiges Demokratisches hat eine Vorgeschichte von der Antike an über standesrepräsentative Formen im mittelalterlichen Feudalismus, liberale Ausprägungen der Neuzeit bis hin zu den sozialstaatlich-institutionellen Ausprägungen.

Sind Christen gar geborene Demokraten? Wenn Gorski Vorformen der Gewaltenteilung etwa bei Augustinus in der Unterscheidung zwischen Gottesstaat und irdischem Staat bedenkt oder auf das innerdemokratische Zusammenspiel der Dreifaltigkeit anspielt, die Antagonismen zwischen Kaisertum und Papsttum benennt, scheinen die Voraussetzungen nicht ungünstig zu sein. Das gilt ebenso für Calvins reformierte Kirchenordnung mit Räten und sogar für die tridentinische Reform, die neben der monarchischen Stärkung des Papsttums die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Mönchsorden sicherte, Laiengemeinschaften aufwertete, kollegiale Verwaltungssysteme begünstigte. Andererseits zeigen katholische Denker wie der restaurative Joseph de Maistre und der progressive Jacques Maritain, wie aus ein und demselben Glauben gegensätzliche Schlussfolgerungen gezogen werden.

Der zweite Teil beschäftigt sich vor allem mit dem weißen evangelikalen Protestantismus Amerikas, der seit dem Niedergang des klassischen Hauptströmungs-Protestantismus religiöses und politisches Gewicht erhält und einen nationalkonservativen Populismus mit autokratischen Elementen nährt, was Donald Trump ergiebig nutzt: starke Gefühle amerikanischen Auserwähltseins, apokalyptische Vorstellungen vom Endzeitkampf zwischen Gut und Böse, verbunden mit einem liberalistischen Wohlstandsevangelium, das den Tüchtigen und Erfolgreichen noch mehr Heil verheißt als nur das irdische.

Zugleich wirft der Autor die Erklärmuster durcheinander, weil – zum Beispiel – progressives Gerechtigkeitsdenken mit militaristischen, aggressiven, ja rassistischen Gefühlslagen zusammengehen kann. Gegen Abtreibung – aber für die Todesstrafe usw. Und umgekehrt. Sind die wachsenden, von autokratischen Führerfiguren als Unternehmen gelenkte Mega-Churches womöglich mit schuld am Bedürfnis nach ebensolchen Autokraten im Politischen? Und wie können auf strikte Moral bedachte Evangelikale einem „unmoralischen“ Präsidenten ihr Ja geben?

An seiner Abneigung gegen Trump lässt der Autor keinen Zweifel. Sein narrativer Durchgang mit Lücken, Sprüngen und grobflächigen Zeichnungen löst das Rätsel der Stimmungsschwankungen im Wahlverhalten nicht. Der Katholizismus, die größte Konfession Amerikas, fehlt, bis auf Andeutungen. Ein schwerer Mangel. Amerika wird entscheiden und weiter groß sein, keineswegs am Scheideweg. Und vieles, was gesagt wurde, wird Makulatur sein. Wie immer. Schade nur, dass wir weiterhin keine Erklärung dafür haben, warum es Demokratien – bis auf wenige Ausnahmen – nur in christlichen Zivilisationen gibt.

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