Der göttliche Gott

Karl Barths Lebensgeschichte als Weg zu einer radikalen Theologie: Glauben im Wort und durch das Wort.

Theologen werden gemeinhin als Gottesgelehrte bezeichnet. Das ist richtig – und doch nur ein Teil der Wahrheit. Denn es sind meistens nicht zuerst Denkkraft, Wissen, Belesenheit, Forschung, Spekulations- und Durchdringungskraft, die eine bestimmte Theologie einer bestimmten Person hervorbringen, sondern es ist das Leben selbst. Theologie ist Biografie – oft das Ergebnis der individuellen Glaubenserfahrungen und Glaubens-nicht-Erfahrungen. Das erklärt auch manche extremen Wandlungen in Leben und Werk bedeutender Theologen, teilweise Kehrtwenden um 180 Grad, so dass zwischen der „frühen“ und der „späten“ Persönlichkeit unterschieden wird. Darf man den „Frühen“ dann gegen den „Späten“ ausspielen? Oder ist es nicht das gute Recht auch von Gottdenkern, die eigene Meinung zu ändern, frühere Ansichten zu verwerfen? Selbst in einem Theologenleben gibt es häufig nicht nur eine „Hermeneutik der Kontinuität“, sondern genauso eine „Hermeneutik des Bruchs“.

So bei Karl Barth, einem der wohl bedeutendsten und einflussreichsten evangelischen – reformierten – Theologen des 20. Jahrhunderts. Das vorliegende Werk geht seinem „Leben im Widerspruch“ nach, im Widerspruch der Person manchmal zu sich selbst, oft aber im Widerspruch zu dem, was theologisch kommod und gesellschaftlich-politisch im akademischen wie alltäglichen Umfeld erwünscht war. Die Züricher Theologin Christiane Tietz zeichnet anhand zum Teil neueren Quellenmaterials bis in Einzelheiten hinein zunächst die Verwandtschaftsverhältnisse in der Ahnenreihe nach. Genauestens behandelt wird die Studienzeit, die frühe Beeinflussung durch die liberale, am Kulturellen orientierte Theologie in der Folge Schleiermachers, was den Vater zu Einlassungen bewegte, mehr evangelische Orthodoxie bei seinem Sohn einzufordern. Erst allmählich entdeckte Barth die soziale Frage, die ihn in Verbindung, dann aber auch in manche Kontroverse mit wichtigen Vertretern des religiösen Sozialismus brachte. Ausführlich behandelt werden die akademischen Gehversuche als Lehrender, dann vor allem die Entwicklung der beiden Fassungen der Römerbrief-Kommentare, die in klarer Abwendung von der liberalen Theologie eine strikt „offenbarungspositivistische“ Auslegung des Wortes Gottes verlangen. Über diesen Gott kann – und muss – nach Barth als vom ganz Anderen geredet werden, wofür dialektisch dann aber doch nur menschliche Aussagen zur Verfügung stehen im Bewusstsein der entsprechenden Unvollkommenheit.

Er verweigerte den Hitlergruß

Das Theologische wie auch Politische Barths wird stets in die erzählerische Beschreibung der beruflichen Laufbahn eingebettet, die Barth nach Deutschland führte, unter anderem nach Göttingen, Münster, Bonn, ihn aber mit dem Aufstreben des Nationalsozialismus in immer heftigeren Widerspruch zu dieser totalitären Ideologie brachte, zur Verweigerung des Amtseids wie des Hitlergrußes mit der Konsequenz des Lehrverbots und der Rückkehr in die Schweiz, nach Basel.

Aber auch dort, bei den eigenen Eidgenossen, fanden Barths anhaltende politische Interventionen und Appelle Richtung Deutschland und benachbartes Ausland, sich Hitler zu verweigern, alles andere als Wohlwollen. Sie provozierten die Furcht, die eigene Neutralität zu verletzen und sich den Zorn des Diktators, womöglich einen Angriff auf die Schweiz zuzuziehen. Gerade die Kapitel über den sozialen Barth und sein Engagement in der Bekennenden Kirche – bis hin zu seinem Einfluss auf die kirchlichen Schulderklärungen nach Kriegsende – machen deutlich, wie sehr die Rede von einem göttlichen Gott, der sich nicht zugunsten kultureller oder politischer Bedürfnisse „zeitgemäß“ harmonisch zurechtbiegen lässt, Kraft hat, sich totalitären Ideologien zu widersetzen. Allerdings war Barth in anderer Hinsicht selbst naiv, was seine Einschätzung von „Gottes geliebter Ostzone“ und seine zeitweilige Polemik gegen den westlichen „Antikommunismus“ betrifft.

Woher weiß ein Theologe genau, was Gott will – und was er nicht will? Wie sicher ist, was die Bibel sagt – für ganz andere Zeiten? Und was meint Trinität in einem strikt rechtgläubigen Sinn gegen jedweden Versuch, das durch Analogien zu verstehen? Wie ist der Absolutheitsanspruch Christi aufrechtzuerhalten? Was meint Auferstehung? Barth hat mit den Kernfragen in seinem epochalen, aber unvollendet gebliebenen Standardwerk einer „Kirchlichen Dogmatik“ immer wieder in neuen Anläufen gerungen.

Mit Frau und Geliebter

Interessant ist auch, wie der Barth, der im Kontext der Ökumenischen Bewegung innerhalb des Protestantismus den Katholizismus als hoffnungslos abseitig ansah, insbesondere durch Hans Küngs Doktorarbeit über Barths Rechtfertigungsverständnis selber ein leicht gewandeltes Verständnis des Katholischen gewann.

Nicht verschwiegen wird in dieser Lebensbeschreibung der schwierige, impulsive Charakter Barths. Auch wird die eigentümliche Beziehung zu seiner Geliebten und Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum behandelt, die über Jahrzehnte im Haushalt der Familie mitlebte; eine Dreiecksbeziehung zulasten der Ehefrau, was alle Beteiligten in seelisch hochkonfliktive Zustände versetzte. Doch scheiden lassen wollte sich Karl Barth nicht, weil er nicht Verrat begehen wollte an der kirchlichen Grundkonstitution und der damit verbundenen Loyalitätspflicht.

Interessant, weil streitbar

Wer sich an einer streitbaren Theologie erfreut, wer verstehen will, wie ein hochberühmter Gelehrter sich äußerst schwer damit tat, allein schon die Vorlesungen zu erarbeiten, und wie er seine Unvollkommenheit spürte, ja wie menschlich und trivial das „Geschäft“ dieser hochgelehrten Wissenschaft ist samt den schlichten Bedürfnissen ihrer Protagonisten, kann anhand dieses Buches Einsicht nehmen. Das Göttliche ist eben selber oft nur ein menschlich Ding. Karl Barth würde dagegen heftigst protestieren. Aber so ist es halt in allen dialektischen Dingen: Sie werfen ein Licht auch auf die Wahrheiten ihres Gegenteils. Gerade das Absurde macht Theologie spannend, den Glauben allzumal. Und erst recht ist es eine Lust, solch eine Lebensgeschichte, die Theologiegeschichte wurde, in Wendungen und Wirrungen bis in feinste Verästelungen hinein nachzuverfolgen. Heilig ist eben nicht der Theologe, sondern nur: ER.

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Tietz, Christiane

Karl BarthEin Leben im Widerspruch

Verlag C.H. Beck, München 2018, 538 S., mit 50 Abb., 29,95€

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