Ein Gespräch mit der Lyrikerin Nora Gomringer über Demut„Ich habe immer gedacht, dass ich Nonne werde“

Die Lyrikerin Nora Gomringer leitet das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. Sie hofft auf Erlösung – und auf eine religiöse Revolution in der Literatur. Die Fragen stellte Benjamin Leven.

Nora Gomringer
© Judith Kinitz

Gibt es Menschen, die Ihren Glauben geprägt haben, Ihre Eltern zum Beispiel?

Nora Gomringer: Mein Vater wurde 1925 im Urwald geboren, als Sohn einer Mestizin und eines Schweizers, der eine Kautschukplantage führte, und scheint nicht mal getauft zu sein. Meine Mutter ist ganz klassisch römisch-katholisch und hat dafür gesorgt, dass ich getauft werde. Dann hat es in meiner Kindheit und Jugend einen tollen Pfarrer gegeben: Hans Pfister. Ich bin in Rehau in Oberfranken aufgewachsen, wo eigentlich kein Mensch katholisch ist. Der Pfarrer Pfister hat mein Leben begleitet, auch als es kompliziert war und sich aufzulösen drohte. Eine Großtante war außerdem Nonne. Die hat mich unheimlich begeistert. Ich habe eigentlich immer gedacht, dass ich Nonne werde.

Was kam dazwischen?

Gomringer: Ich wollte Medizin studieren, in die USA gehen, ich habe bei Musicals mitgespielt. Irgendwann hat meine Mutter gesagt: Die tanzende Nonne kannst Du nicht werden. Das konnte ich erst gar nicht verstehen. Aber letztlich bin ich nicht gerufen worden. Ich hatte keine Berufungserfahrung, sondern ich habe ein ganz ruhiges, stilles Glaubensgefühl und viel inneren Monolog mit einer Stimme, von der ich annehme, dass sie die Stimme Gottes ist.

Was ist das für eine Stimme?

Gomringer: Eine Stimme, die mich sowohl tröstet als auch beruhigt und sich mit mir freut.

Sie waren auch Ministrantin.

Gomringer: Ja, aber keine gute. Ich hatte das Gefühl, dass mir das niemand jemals richtig beigebracht hatte. Dabei war die Sakristeischwester sehr streng mit uns. Sie gab darauf acht, dass man sich ordentlich anzieht, dass unter den Schuhen keine Aufkleber sind, die man beim Knien sehen kann, dass die Kutte genau den Rand des Schuhs bedeckt. Und wenn du dann aufstehst, dass du nicht hinten auf die Kutte trittst.

Gab es etwas in der Messe, das Sie besonders berührt hat?

Gomringer: Ich war immer entzündet ab dem Satz: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Das ist genau der Satz, um den sich bei mir alles dreht.

Was bedeutet dieser Satz?

Gomringer: Er steht für die Hilfe und Erlösung, die ich brauche. Das ist eine tiefe Sehnsucht. Wer ist dieses Wort, was ist dieses Wort? Ich komme mir auch blöd vor, wenn ich Ihnen jetzt sage, das könnte mit dieser Stimme zusammenhängen, mit der ich rede.

Wie wird die Seele gesund?

Gomringer: Einen Zustand von Gesundheit kann es ja nur geben, wenn wirklich nichts mehr fehlt, wenn alles gut ist. Wenn du nichts mehr an Schmerz wahrnimmst. Ich weiß natürlich nicht, was in mir wächst, aber im Moment scheint mir, ich wäre gesund, körperlich. Seelisch gibt es anderen Schmerz, andere Unzulänglichkeiten und Fehlstellen. Und gesund hieße wohl: Ausgleich all dieser Fehlstellen. Aber das ist in der Lebenszeit nicht erfahrbar. Ich hoffe, dass wir, wenn der Lauf des Lebens an sein Ende kommt, die Chance auf eine Heilung erhalten.

Sie interessieren sich für Krankheiten, haben einen Gedichtband mit dem Titel „Morbus“ geschrieben. Wie kommt das?

Gomringer: Eine große Rolle hat mein Großvater gespielt, der Arzt war, aber auch ein hochrangiger SS-Offizier. Er ist eigentlich bis zum Ende ein Nazi geblieben, aber für mich als Kind war er ein ganz toller Typ. Dann hatte ich den Wunsch, Medizin zu studieren, fühlte mich aber nicht fähig dazu. Außerdem bin ich seit 2001 selbst Patientin mit einer chronischen Krankheit. Nichts Schweres, aber man muss aufpassen. Ich bin früh medizinisch vor vollendete Tatsachen gestellt worden, weil ich mit einem großen Chromosomen-Schaden auf die Welt kam. Meiner Mutter wurde gesagt: Dieses Kind wird schwerst behindert sein. Und sie, die Tapfere, hat sich entschieden, das Kind zu behalten, auch wenn klar war, dass mein Vater eine Frau verlassen würde, die ein behindertes Kind bekommt. Nun kam ich dann munter und nicht mickrig heraus. Es ist aber wohl so, dass die nächste Generation wirklich betroffen wäre. Was ich da habe, das macht einen wirklich zum Gemüse. Deshalb kann und will ich keine Kinder bekommen. Als Autor hat mich das Thema dann immer angezogen: Krankheiten, Monstrositäten, Deformationen, Ausgrenzung.

Wir haben vor einigen Wochen Ostern gefeiert. Am Karfreitag in der Kirche hört man immer diese Lesung aus dem Jesajabuch, wo vom Gottesknecht die Rede ist. Da heißt es: „Er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen.“ „Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Können Sie damit etwas anfangen?

Gomringer: Absolut. Ich bin für Demut und Opfer. Wenn man es von außen betrachtet, ist es eine kannibalistische Religion, da stecken Elemente der totalen Selbstaufgabe drin, die sind überhaupt nicht produktiv, humanistisch, positiv. Und trotzdem, wenn man für sich eine Interpretation dessen erfühlen kann und danach lebt, können das sehr wertvolle Aspekte sein in einer Welt, in der man sich offensichtlich völlig freigemacht hat von irgendwelchen Schuldkomplexen. Ich kann mich heute zehntausendmal scheiden lassen und zehntausendmal heiraten. Ich kann alles haben, jedenfalls in meiner Welt hier. Ich beschäftige mich viel damit, wer mein Pendant in anderen Teilen der Welt wäre. Alles, was ich an Glück und Leichtigkeit erfahren darf, ist jemand anderes Schmerz und Last.

Sie meinen, man hat sich frei gemacht von allen Schuldkomplexen. Auch manche Katholiken sagen, dass ihnen das „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“ in der Messe unangenehm ist.

Gomringer: Ich habe manchmal das Gefühl, die Sprache ist vollkommen entleert. Wie soll man Kindern und Jugendlichen so etwas noch beibringen, wenn doch zuhause nie von Sünde, von Schuld, von irgendwas die Rede ist? Es sind fremde Wörter, die wie archaische Monster auf die Bühne kommen.

Sie scheuen sich aber in Ihrer Lyrik nicht vor solchen Begriffen, sondern scheinen sie eher für sich reklamieren zu wollen.

Gomringer: Ja, es ist wichtig, dass man diese Wörter hört und versucht, für sich zu verstehen. Ich lerne immer mehr Menschen kennen, die nicht getauft sind. Damit komme ich nicht klar; ich weiß gar nicht, wie die leben. Dann wird gesagt: Der Glaube ist Privatsache. Das sehe ich überhaupt nicht so. Eigentlich müsste hier auch ein Kruzifix hängen. Die Villa Concordia ist eine Dienststelle des Freistaats Bayern. Und in allen Dienststellen sollten Kruzifixe hängen, würde ich denken.

Ist das Kruzifix eine Zumutung? Das wird ja immer wieder diskutiert.

Gomringer: Nein. Es erzählt unsere Geschichte. Ich halte das für wichtig, auch wenn wir über Integration reden. Das ist doch eine hilfreiche Information für jeden, der einer anderen Religion angehört: Ach ja, ich bin jetzt in einem kulturellen Gebiet, das davon geprägt ist. Damit muss ich mich auseinandersetzen.

Sie haben einmal für eine Zeitschrift einen Text darüber geschrieben, was Sie tun würden, wenn Sie noch 24 Stunden zu leben hätten. Da sagen Sie, Sie würden erst einmal Abschiedsbriefe an alle schreiben und dann beichten gehen. Warum?

Gomringer: Weil ich mir wünschen würde, dass mir das die Seele erleichtert. Ich habe auch Angst. Ich kann nicht in die andere Welt hinübertreten mit dem Gefühl von offenen Armen. Ich bin voller Sünde. Es ist gut, dass es so etwas gibt. Die Beichte ist ein intimes Gespräch über die Seele. Wo gibt es so etwas sonst? Ein so köstlicher Zustand. So habe ich es immer empfunden.

Können Sie sich an Ihre erste Beichte erinnern?

Gomringer: Das war komisch, weil es ja der Pfarrer war, der mich als kleines Kind schon gut kannte. Ich finde das extrem intim. Man wird so ehrlich vor jemandem und fürchtet dann auch, dass das Gegenüber nicht in seiner Rolle bleibt, sonden einen verurteilt. Die Lüge hilft ja, sich als der Mensch zu projizieren, der man sein möchte, der man sein könnte. Und auf einmal ist man all das nicht mehr. Es braucht einen starken Geist, der auch einem neunjährigen Kind dann einfach vergibt. Ich bin den Priestern sehr dankbar, dass sie diese schwere Aufgabe auf sich nehmen.

Sie sind katholisch. Ist das nicht manchmal auch peinlich?

Gomringer: Nein, gar nicht. Ich trage es mit viel Stolz. Das Peinliche sind die Vorurteile der Menschen. Da frage ich: Wie könnt ihr denn nicht christlich sein? Ein Beispiel: So viele Leute gucken Superheldenverfilmungen. Für mich sind das einfach Weitererzählungen der Heiligengeschichten, berührende und schöne Geschichten, die aber darauf fußen, dass jemand für etwas Transzendentes einsteht. Für die Macht zum Beispiel. Da denke ich immer: Welche Macht denn, was meint ihr damit?

Welche Rolle spielen die Heiligengeschichten für Sie?

Gomringer: Meine Mutter musste mir all diese Bücher vorlesen. Die heilige Agnes zum Beispiel hat mich als Kind unheimlich beeindruckt. Ich habe gedacht: Könnte ich mit zwölf Jahren jemandem sagen: Nein, ich will dich nicht heiraten, ich bin schon verheiratet, und mein Bräutigam ist im Himmel? Diese Geschichten haben bei mir so eingeschlagen wie bei einem mittelalterlichen Menschen, der die Bilder in der Kirche anschaut und sagt: Ah, das sieht irre aus. Unsere Religion funktioniert eben ganz stark über Narrationen.

Viele Menschen werden als Kinder getauft und überlegen sich im Laufe ihres Lebens, ob sie katholisch bleiben wollen. Gab es so etwas bei Ihnen auch?

Gomringer: Mit 15 wollte ich Jüdin werden. Ich habe später auch Hebräisch an der Uni gelernt. Mitten in der Pubertät aber, da war die Zeit, in der ich mit meiner Mutter in die Archive gegangen bin, um herauszubekommen, wie das mit meinem Opa war. Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe mich gefragt: Muss ich denn aus dem Haus meines Vaters gehen? Schickt mich jemand fort? Nein. Ich darf bleiben. Das habe ich dann dem Rabbiner erzählt, bei dem ich Rat gesucht hatte, und damit war der Fall klar. Das war sehr gut, das hat mich sehr befreit.

Und wie war das mit Jesus?

Gomringer: Zu dem habe ich nicht so ein tiefes Gefühl. Man hat mir zu wenig über Jesus erzählt, als ich klein war. Ich weiß nicht viel von ihm. Ich bin ihm dankbar. Er ist das Opferlamm.

Sie schreiben ja nicht nur Gedichte, sondern lesen sie auch vor. Einer Ihrer Texte handelt von der Messe und heißt „Man sieht’s“. Wie reagieren denn eher säkulare Hörer, wenn Sie den vortragen?

Gomringer: Es sind immer alle überrascht. Ich scheine so weltlich zu sein, dass man wohl denkt: Die kann keine Christin sein.

In dem Gedicht schreiben Sie über Jesus mit seiner Seitenwunde: „Ein Mann wie ein Briefkasten dadurch / Kummerkasten aus Holz mit Schlitz“. Und gleich danach: „Gut, dass hier alles gewandelt wird / Werden Sorgen Gesänge“. Was wandelt sich da?

Gomringer: Das ist so ein typischer Twist bei mir, dass ich die Frechheit, die ich anwende, anschließend wieder aufhebe. Im Gottesdienst sind die Menschen mit all ihren Problemen, mit all ihrer Kleinheit da. Und das alles wird dann auch noch von vielen verlacht. Und wir lachen auch, wenn sich der Ministrant dumm anstellt. Und trotzdem wird alles gewandelt. Wir gehören ganz intensiv dazu, wenn sich dieses Wunder immer und immer wieder ereignet.

Wunder ist auch so ein Wort, mit dem viele Leute heute Probleme haben.

Gomringer: Schade. Es ist ein tolles, ganz starkes Wort. Diese ganzen mittelalterlichen Kästchen-Wörter: Wunder, Herz, Sühne, sind tolle Dinger.

Manchmal heißt es: Das kann man so heute nicht mehr sagen.

Gomringer: Wer legt das fest, was man nicht mehr sagen kann? Und hat es nicht etwas mit einer Ermüdungserscheinung zu tun, dass wir im Grunde nicht mehr gewillt sind, die Geschichten zu erzählen, die zu diesen Begriffen gehören, und sie auch neu zu interpretieren? Wir müssen auch neue Geschichten schreiben, wie zum Beispiel Michael Köhlmeier in seiner Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“ über den heiligen Antonius von Padua.

Erstaunlich, dass ein zeitgenössischer Schriftsteller eine Heiligenlegende schreibt?

Nein, denn das ist ja etwas, das uns richtig anfixt. Wenn man das in seinem Repertoire hat, als Geschichte, als Festigkeit im Geiste und im Sinn, dann lebt man auch anders, dann ist man behüteter. Ich verstehe wirklich nicht, wie viele jetzt ohne diese Geschichten leben können.

Eines Ihrer Gedichte heißt „Wie sag ich Wunder“, und darin gibt es auch die Zeile „stotterwunderstotter“. Warum dieses Stottern?

Gomringer: Vor dem Wunder versagt die Stimme. Ich reagiere menschlich. Und das Menschliche ist eben das Versagen der Stimme und ein geistiges Stolpern. Ich mag alles Unzulängliche, nicht ganz Perfekte. Ich habe hier in einer perfekten Umgebung etwas Desolates aufgebaut.

Das Künstlerhaus Concordia hier in Bamberg ist ein Barockpalast, und Sie wohnen drin.

Gomringer: Ich bin die letzte Person, die da hereinpasst. Ich hoffe, man merkt das aber auch – dadurch, dass hier nichts adäquat ist. Ich kann es niemals zu meinem Prunk ausnutzen, zu meinem Stolz, es macht mich nur noch demütiger, noch unaufgehobener. Ich bin nie ganz komplett.

Wenn man sich die kirchlichen Statistiken anschaut, sieht es ziemlich düster aus. Gleichzeitig scheint es in der Literatur gerade so eine Art religiöse Welle zu geben. Sie haben eben Köhlmeier erwähnt ...

Gomringer: Man könnte auch Nora Bossong nennen. Es wird ja auch bemerkt, dass einige von uns auf der Suche nach einer Sprachrevolution für sich selbst sind und die Religion nutzen als großen Fundus. Ich erhoffe mir wirklich davon, dass die Geschichten neu erzählt werden. Köhlmeier macht das, auch Felicitas Hoppe macht es. Aber wir sind noch zu zahm. Das ist in der Masse noch keine ausreichend gute Literatur, die wir da im Moment abliefern. Auf eine Revolution schreiben wir noch zu.

Ist der religiöse Fundus heute etwas Exotisches?

Gomringer: Ja. Und dieser Exotismus nutzt uns Schriftstellern doch stark. Wir sagen: Wie, das kennen Sie nicht? Das gibt es doch schon ganz lange in unserer Kultur. Das Problem ist, dass man damit eigentlich denen in die Hände spielt, die vom Untergang des Abendlandes sprechen und die sagen: Der Muselmann hat doch keine Ahnung von Kultur. Da antworte ich: Hast Du sie denn? Du hast gar keine Ahnung und schreist hier rum! Die Nächstenliebe ist ja doch zentral für das Christentum und gleichzeitig bei diesen Leuten das Verschrienste, was es gibt.

Sie haben einmal gesagt, heute sei eine gute Zeit für Märtyrer. Was meinen Sie damit?

Gomringer: Wir leben in einer Zeit der Bekenntnisse, zum Beispiel in den sozialen Medien. Den Lyrikern kommt das entgegen. Die gesamte Lyrik ist Bekennerliteratur. Die meisten bekennen sich zu sich selbst, aber das ist mir zu uninteressant, weil ich ja auch so ein Wechselwesen bin. Ich wüsste nicht, zu was man sich da bekennen sollte. Aber eine ganz große Konstante ist eben, dass ich Christin bin. Deshalb ist alles durchzogen von einem Gefühl von Aufgehobensein, davon, im Haus des Vaters wohnen zu dürfen.

Und dazu kann man sich bekennen.

Ja, es macht mir auch geradezu kindliche Freude und Vergnügen, die Leute damit vor den Kopf zu stoßen. Die Menschen reagieren, wenn man das macht, fühlen sich entweder angegriffen oder werden ganz brav, ganz still.

Sie schreiben Gedichte. Wofür sind die eigentlich gut, was macht man damit?

Gomringer: Zur Fortifizierung, zur Selbststärkung, zur Erbauung. Gedichte sind ein Kräftigungsmitel, ein Vademecum für ganz vieles. Ein Gedicht kann die Temperatur und die Stimmung in einem Raum völlig verändern.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren ist in der Kirche viel getextet worden, zahlreiche neue Lieder entstanden ...

Gomringer: Das war die Katastrophe, die durch das Neue Geistliche Lied hereinkam. Was damals kam, war geschmacksverwirrt ohne Ende, auch die Bauten zum Teil. Da kann man nichts machen. Das hat leider große Wellen geschlagen und mindestens zwei Generationen tief geprägt – allerdings auch dafür gesorgt, dass diese Generationen jetzt die sind, die die Kirche noch am Laufen halten. Danach kam ja auch nichts mehr. Es gab ja keine Gegenrevolution oder so.

Es gab schon Ansätze für eine Reaktion, allerdings auch großen Widerstand dagegen.

Gomringer: Ich habe schon gut gefunden, dass einige gesagt haben: Wir gehen jetzt wieder ganz zurück, wir machen wieder richtig katholische Messe. Ich habe das verstanden als eine Art Notwehr. Aber das machen die meisten Leute halt nicht mit. Schwierig ...

Was wäre denn jetzt zu tun?

Gomringer: Man muss eben, wie immer in einer Krise, zunächst innehalten, Innenschau halten, und dann wieder langsam Luftwurzeln ausschlagen und von woanders her wieder alles zusammenfügen. Ob daraus eine große Bewegung oder Welle werden kann, weiß ich nicht. Ich weiß eh nicht, wie man in der Kirche etwas bewegen könnte.

Bei katholischen Großveranstaltungen wie den Katholikentagen spielt das, was in den Achtzigern entstanden ist, immer noch eine große Rolle ...

Gomringer: Das ist dieses Image von einem Christen, der ich nie sein wollte – genau das Image, auf das die Leute so krass reagieren, wenn ich sage, dass ich Christin bin. Die denken dann, ich bin so eine. Aber so eine bin ich halt nicht. Natürlich finde ich an diesen Menschen auch keine Fehler, aber es sind eben auch keine Leute, mit denen ich Kontakte pflege. Das kam mir immer vor wie eine Bewegung, die aus den USA kam, um Religion light zu produzieren. Verdaubar. Es ist mehr yours. Make it your own. So bin ich nicht aufgezogen worden, dass ich das irgendwie auch nur denken dürfte, dass Gott so liebevoll ist, dass alles okay ist. Ich kenne auch keine einzige Vaterfigur, die so ist. Es muss nicht leicht sein. Die Religion darf genau das spiegeln, was das Leben ausmacht – plus Erlösung.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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