Die Kirche von Griechenland und die KriseMahnende Worte

Erst relativ spät reagierte die orthodoxe Kirche in Griechenland, der fast die gesamte Bevölkerung angehört, auf die dramatische Krise des Landes. Die gegenwärtige Situation hat zu einer neuen Diskussion über das Verhältnis von Kirche und Staat geführt. Inzwischen engagiert sich die Kirche vor allem mit karitativen Hilfsangeboten.

Die Diözesen des Ökumenischen Patriarchats, die sich innerhalb des 1830 gegründeten neugriechischen Staates befanden, erlangten 1850 die formale Unabhängigkeit und bildeten die autokephale (selbstständige) orthodoxe „Kirche von Griechenland“. Der anfängliche Staat umfasste nur einen Teil des heutigen Griechenlands, der sich mit der Eingliederung neuer Territorien im 19. und 20. Jahrhundert vergrößerte, und mit ihm bis zu einem gewissen Punkt auch die Kirche. Heute umfasst sie aber nicht das ganze griechische Territorium, denn es gibt Regionen, deren Diözesen bis heute zum Teil oder ganz dem Ökumenischen Patriarchat unterstehen.

Nur so kann man verstehen, dass die orthodoxe Kirche in Griechenland nicht identisch mit der (autokephalen) „Kirche von Griechenland“ ist, die die mitgliederreichste und deshalb im Erscheinungsbild die stärkste ist. Gewiss gibt es in Griechenland noch römisch-katholische und unierte (so genannte griechisch-katholische) Diözesen, evangelische und pfingstlerische Gemeinden und eine Zahl von orthodoxen Splittergruppierungen, die man sämtlich „Altkalendarier“ nennt. Alle diese kleinen kirchlichen Formationen haben aber eine sehr geringe Zahl von Mitgliedern (vielleicht weniger als 2 Prozent der Bevölkerung) und werden deshalb in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.

Die finanzielle Krise, die in den letzten zwei Jahren Griechenland heimsucht, ist eher das Resultat einer Reihe von Entwicklungen in den letzten drei Jahrzehnten, seitdem Griechenland Mitglied der EWG/EG/EU ist; diese Entwicklungen haben die Bevölkerung zu einem Wohlstand geführt, der der Realwirtschaft Griechenlands nicht entsprach; die Einführung des Euro stellte zunächst diesen Wohlstand auf die Probe. Die Politik dieser Zeit war wenig auf die neuen Entwicklungen vorbereitet. Sie benutzte sogar diesen Wohlstand, primär zugunsten der jeweiligen Parteiklientel beziehungsweise der eigenen Wählerschaft, ohne das langfristige Risiko überhaupt in Betracht zu ziehen. Es handelt sich also in erster Linie um eine Krise der politischen Kultur und um eine moralische Krise, wie das auch die letzten Ereignisse in Bezug auf die Bildung einer Notstandsregierung Anfang November 2011 gezeigt haben. Die Überwindung dieser Krise benötigt primär Umkehr, ein Umdenken, das durch den geistlichen Beistand einer moralischen Größe erreicht werden kann. Und dort sollte nach geläufiger Meinung die Kirche ihre eigentliche Rolle spielen.

Ein neuer Erzbischof

Dem in den letzten Jahren seiner Amtszeit kranken und schwachen Erzbischof Serafim (Tikkas) folgte 1998 auf dem Thron der Athener Erzdiözese, dessen Inhaber zugleich ex officio den Vorsitz in der Synode der Kirche von Griechenland innehat, der in der griechischen Öffentlichkeit gut bekannte und sehr geschätzte, dynamische, aber auch nicht unumstrittene Erzbischof Christodoulos (Paraskevaidis). In seiner Person wählte die Kirche den charismatischen Führer, den manche in den letzten Jahren von Serafim vermisst haben. Auf der anderen Seite gewann Christodoulos seinem Primat die Möglichkeit ab, sich als Anführer des Volkes zu profilieren. Dies machte ihn den Politikern des Landes suspekt. So haben sie versucht, ihn im Zaum zu halten, indem sie die Öffentlichkeit mit verschiedenen kleinen Skandalen, in deren Mittelpunkt die Kirche stand, gefüttert haben. Christodoulos hat versucht, den Politikern in den Rücken zu fallen, indem er in der Tagespolitik ständig – und manchmal auch vom Ambo – Stellung genommen hat. Mit seinem plötzlichen Hinscheiden endete 2008 für die Kirche von Griechenland eine Ära des Selbstbewusstseins.

Weder die Wahl seines Nachfolgers noch dessen Amtsführung verwunderten beziehungsweise verwundern. Denn Erzbischof Ieronymos II. (Liapis) ist das Gegenteil von Christodoulos: sachlich und gemäßigt. Er hat von Anfang an sowohl zu der Amtsführung seines Vorgängers als auch zu der Öffentlichkeit Distanz gehalten. Wenige Monate danach brach ein Immobilienskandal um das Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos (in Verbindung mit Regierungskreisen) aus, der allen seriösen Kirchenmännern die Stimme verschlagen hat.

Bezeichnenderweise erfolgte die erste Reaktion der Kirche auf die Finanzkrise erst Monate nach deren Ausbruch. Das anfängliche Schweigen der Hierarchie hat viele Fragen aufgeworfen. In ihrer Sitzung vom Mai 2010 beschäftigte sich die Ständige Synode der Kirche von Griechenland (das Regierungsorgan der Kirche zwischen zwei Synoden der Hierarchie, das aus 12 Metropoliten und dem Erzbischof von Athen als Vorsitzendem besteht) mit der Finanzkrise. Sie zeigte Verständnis für die Sorgen des Volkes sowie die unerträglichen Lasten, die das Volk schultern muss; gleichzeitig würdigte sie die Bemühungen der Regierung sowie der anderen politischen Führer um die Bewältigung dieser Finanzkrise. Sie äußerte noch die Hoffnung, dass diejenigen, die an dieser Krise Schuld seien, zur Rechenschaft gezogen und den sozial Schwächeren in der Bevölkerung mit Gerechtigkeit und Sensibilität geholfen würde. Die Kirche sei bereit, ihr diakonisches Engagement in solchen schweren Zeiten auszubauen, um dem Staat zu helfen. Am Ende votierte sie für Einigkeit und Eintracht und versprach intensive Beratung in der Synode der Hierarchie im Oktober 2010.

Das Zentralthema der Synode der Hierarchie (das Organ der Gesamthierarchie, das einmal jährlich Anfang Oktober zusammenkommt) vom Oktober 2010 war „Die aktuelle Krise aus kirchlicher Sicht“. In seiner Ansprache zu Beginn der Beratungen bezeichnete Erzbischof Ieronymos die Krise als eine geistige und deshalb moralische. Die Finanzkrise sei das eklatanteste und direkteste „Symptom“ dieser „Krankheit“. Doch die „Krankheit“ sei vor allem existenziell; deshalb habe die Kirche einen genuinen theologischen Grund, sich mit dieser Krise zu beschäftigen. Außerdem beeinflusse die Finanzkrise auch die Kirchenfinanzen und somit die kirchliche und diakonische Arbeit.

Den gleichen Tenor bemerkt man auch in der Verlautbarung „Die Kirche und die aktuelle Krise“ (Die Kirche von Griechenland an das Volk, 44, November 2010), die auf Beschluss der Hierarchie erarbeitet und herausgegeben wurde. Diese wurde Mitte Dezember 2010 an alle Kirchengemeinden der Kirche von Griechenland verteilt. Sie versucht mit einfachen Worten, die Krise zu beschreiben und ihre Ursache zu erklären: Da man mehr verbrauche als man produziere, müsse man Kredite aufnehmen, welche man nun samt Zinsen zurückzahlen müsse. Doch dies sei nur Konsequenz der geistigen Krise: Das Volk agiere verantwortungslos, indem es sich schnellem Gewinn und Wohlstand ergeben habe.

Dies weise auf die Abwesenheit eines Lebenssinns und die Hingabe des Menschen an eine sinnentleerte Gegenwart hin; eine Gegenwart ohne Zukunft und Vision, eine Gegenwart der Langweile. Den Gegenpol dieser Entwicklung (des Verbrauchs) stelle für die Kirche die Askese dar. Der Verbrauch sei das Ende, denn dieser beruhe auf einem sinnentleerten Leben; die Askese sei dagegen der Weg, der zu einem sinnvollen Leben führe; sie sei der Weg der Freiheit von der Sklaverei des Überflusses.

Dieser Verlautbarung fehlt es nicht an harten Worten: „Wir sind ein Land unter Besatzung und wir führen Befehle der Herrscher, unserer Gläubiger, aus“. „Die politische Führung hatte keine verantwortliche Haltung gegenüber dem Volk, konnte beziehungsweise wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, zeigte falsche Vorbilder und sorgte nur für ihre parteipolitische Klientel, damit sie die Macht ergreifen und verwalten könne“. „Kasten und soziale Gruppierungen, die verantwortungslos und ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Einheit mehr Rechte gefordert haben, trugen zur aktuellen Situation bei“. Da die politische Führung offen und vielfach beschuldigt wurde, veranlasste diese Erklärung Reaktionen, die meist vom linken Rand der Regierungspartei kamen. Der Regierungssprecher erklärte, dass die Enzyklika der Realität fern stehe; sie diene der Wahrheit nicht, sondern verdunkle sie. Das Volk und die vom Volk gewählte Regierung wisse über die Komplexität der chronischen Finanzprobleme Bescheid. Die Hierarchie wird gebeten, sich mit ihrer eigentlichen Arbeit zu beschäftigen.

Eine theologische Sicht der Finanzkrise

Der Verlautbarung fehlt es auch nicht an Verschwörungstheorien: Da die Kirche die einzige Institution sei, die dem Menschen beistehen könne, zielten die Volksverführer darauf ab, die Einheit zwischen den Hirten und dem Volk zu zerbrechen. Die Kirche kämpfe nicht gegen den Staat, sondern gegen diejenigen, die den Staat ausnützten. Viele Ökonomen wären der Meinung, dass diese Krise künstlich herbeigeführt worden sei und darauf abziele, die Welt menschenfeindlichen Mächten zu unterwerfen.

Manche Kritiker dieser Verlautbarung sehen in ihr ein Echo aus den Zeiten des verstorbenen Erzbischofs Christodoulos. Sie bedienen sich des Arguments der Kirche und schieben ihr die Schuld für die geistige Krise in die Schuhe: Schuld sei ihr moralisches Beispiel (in Anbetracht mancher Skandale, die die Kirche in der jüngeren Vergangenheit erschüttert haben) und die Abwesenheit prophetischer Worte. Der Mangel an prophetischem Wort und an Selbstkritik werde mit einem Überfluss an Verschwörungstheorien kompensiert. Die linken Parteien legten der Kirche eine Besinnung auf ihre eigentliche Rolle in der Gesellschaft nahe. Sie beschweren sich über die direkte und indirekte Einmischung der Kirche in die Politik, die den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche überschreitet, und bringen zwei langjährige Themen wieder in die Diskussion: die Trennung von Kirche und Staat und das Vermögen der Kirche. In der letztjährigen Weihnachtszeit wurde anhand dieser Verlautbarung sehr intensiv in der Presse diskutiert.

In der Osterenzyklika 2011 der Ständigen Synode ist immer noch von der Krise die Rede. Bezeichnenderweise trägt sie den Titel: „Theologische Sicht der Finanzkrise“. Gebot der Stunde sei der Glaube an Gott und die Liebe gegenüber den Mitmenschen, heißt es dort. Die Genuss- und Ruhmsucht, die Geld- und Habgier hätten die Menschen in die Finanzkrise geführt; die Askese als weise Nutzung der materiellen Güter und die Genügsamkeit würden ihnen den Ausweg zu einer christlichen Lebensweise zeigen.

Die Schuld für die Krise, sowohl für die Finanz- als auch für die moralische Krise, wird auch hier den Regierenden zugeschrieben; und der Mangel an Selbstkritik wird wieder von vielen Seiten beklagt. Die Neudefinition des Verhältnisses von Kirche und Staat gewinnt wieder an Aktualität.

Die Trennung von Kirche und Staat ist ein gängiges Motto, unter dem die Linke in Griechenland ihre offene Rechnung mit der Kirche begleichen will. Denn in der griechischen Nachkriegszeit vom Bürgerkrieg bis hin zur Diktatur der Obristen, der Zeit des Kampfes zwischen den Royalisten beziehungsweise Konservativen und den Kommunisten und allerlei Linken, hatte die Mehrheit der Hierarchen nolens volens dem rechten Lager beigestanden.

Was heißt eigentlich Trennung von Kirche und Staat im heutigen Griechenland? Hört man dies, dann denkt man, dass die Kirche von Griechenland eine Staatskirche sei. Doch obwohl in der griechischen Verfassung von 1975 „die Religion der östlichen orthodoxen Kirche Christi“ als Mehrheitsreligion, sowie die autokephale Kirche von Griechenland als die Institution dieser Religion erwähnt wird (Art. 3), wird auch die Religionsfreiheit den griechischen Bürgern verfassungsrechtlich garantiert (Art. 13). Nach Meinung von griechischen Verfassungsrechtlern verleiht die Verfassung der Kirche von Griechenland keinen staatskirchlichen Status. Die ältere Praxis des Staatsapparats hat zwar in mancher Hinsicht die Kirche favorisiert, doch die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte kann nur das Gegenteil bezeugen: In Griechenland ist selbstverständlich jeder standesamtliche Akt ohne die sakramentale beziehungsweise gottesdienstliche Vermittlung der Kirche möglich.

Auch die gottesdienstliche Vereidigung des Präsidenten, des Parlaments, der Regierung und der übrigen Staatsorgane ist vom Gesetz nicht vorgesehen, sondern bedarf der Veranlassung durch diese Staatsorgane. Der Religionsunterricht ist zwar ein ordentliches Lehrfach, dennoch kann man sich mit der Zustimmung beider Elternteile befreien lassen. Nach dem neuen diesbezüglichen Gesetz und trotz der Gegenkampagne der Kirche, einer Kampagne, die der verstorbene Erzbischof Christodoulos sich auf die Fahne geschrieben hatte, wird die Religionszugehörigkeit im griechischen Personalausweis nicht erwähnt.

So bleibt als einzige Verbindung zwischen Kirche und Staat (außer natürlich dem historischen gemeinsamen Weg und der bloßen Erwähnung der Kirche in der Verfassung) die Besoldung der Geistlichen durch den Fiskus. Der Kirche wurde im 19. und 20. Jahrhundert ein großer Teil ihres im Laufe der Jahrhunderte durch Spenden erworbenen Eigentums vom neugriechischen Staat genommen, entweder um die Staatskasse zu finanzieren, um Infrastruktur (Schulen, Krankenhäuser, Universitäten etc.) zu schaffen oder den zu Hunderttausenden aus der Türkei kommenden Flüchtlingen in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts („Bevölkerungsaustausch“) Land zur Ansiedlung oder zum Ackerbau zu geben. Dieses Vermögen war praktisch das finanzielle Rückgrat der Kirche. Für die enteigneten Ländereien erhielt die Kirche nur geringe finanzielle Entschädigungen. Als Gegenleistung sollte der Staat die Besoldung zunächst nur der Pfarrer und seit 1980 auch der Bischöfe und anderer Geistlicher („Prediger“) übernehmen. Allen seriösen Schätzungen nach sind diese Staatsleistungen nur ein Bruchteil dessen, was die Kirche an Vermögen verloren hat.

Das angebliche Vermögen der Kirche

Obwohl im Laufe der Jahre von vielen Seiten, kirchlichen und politischen, geklärt wurde, dass diese Besoldung keine Gefälligkeit des griechischen Staates ist, sondern als Gegenleistung für die Enteignung kirchlichen Vermögens vom Staat erbracht wird, bleibt die Forderung nach Entlassung der Geistlichen aus ihrem Beamtenstatus bestehen. In der Zeit der Finanzkrise sehen manche darin ein gutes Sparpotenzial. Natürlich muss der Staat seinen gesetzlichen beziehungsweise vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Kirche treu bleiben; doch findet man hin und wieder Gründe, das der Kirche zustehende Geld zu verringern. Aufgrund etwa der gebotenen Schrumpfung des Staatsapparates darf man nicht mehr uneingeschränkt Pfarrer einstellen.

Im Januar 2011 teilte das Innenministerium mit, dass aufgrund der Sparmaßnahmen für jede neue Pfarrstelle fünf alte gestrichen werden müssen. Im Sommer dieses Jahres sprach man sogar von einem Verhältnis von 1 zu 10. Das Ministerium stellt die Pfarrer den Beamten gleich, womit die Kirche nicht einverstanden sein kann, denn für sie sind diese Staatsbedienstete sui generis. Sie betrachten diese Regelung als einen ersten Schritt auf dem Weg zur weiteren Trennung von Kirche und Staat. Die vorgesehene Kürzung könne auch die Berufungen negativ beeinflussen. Einig war man sich bezüglich der neuen Regelung, dass die Priester keine doppelte Besoldung (etwa als Verwaltungsbeamte oder Lehrer) vom Fiskus erhalten dürfen.

Eine andere finanzielle Verbindung des Staates und der Kirche besteht darin, dass die Kirche ihre Einnahmen versteuern muss. Die Kirchen in Griechenland, somit auch die Kirche von Griechenland, erheben keine Kirchen- oder ähnliche Steuern; wie gesagt sind sie auf die Spenden der Gläubigen – in früheren Zeiten waren diese auch Kaiser und Könige – angewiesen. Doch auch diese Spenden werden mit bis zu 30 Prozent versteuert, obwohl sie für gemeinnützige und mildtätige Zwecke gegeben werden.

Nach den Worten des Erzbischofs lasse eine Trennung von Kirche und Staat in institutioneller Hinsicht das Verdienst der Kirche an der Existenz des griechischen Volkes in Zeiten der Unterdrückung außer Acht. Außerdem sei die Kirche nicht nur für die Religiosität des Menschen, sondern für den ganzen Menschen zuständig.

Auch einen weiteren Angriff auf ihr nach den Enteignungen noch übrig gebliebenes Vermögen musste die Kirche hinnehmen. Das „Vermögen der Kirche“ ist eigentlich keine einheitliche Größe, sondern eine Summe von Vermögen aus etwa 10 000 Körperschaften (Diözesen, Klöster, Kirchengemeinden, Stiften usw.). Es ist natürlich von materiellem Wert, dient aber dem geistigen Werk der Kirche. Doch alle diese Körperschaften, über die sie verfügt, zahlen gesetzliche Abgaben. Nachdem die Frage nach der Verwendung dieser Vermögen wieder einmal in den Zeiten der Krise aufgeworfen wurde, sah sich die Kirche gezwungen, ihr diakonisches Engagement zu erläutern.

Mit einer neuen Verlautbarung wandte sich die Kirche von Griechenland erneut an das Volk: „Die karitative Diakonie der Kirche von Griechenland“ (Nr. 45). Dort stellte sie ihre karitative Arbeit vor, die nicht den institutionalisierten Charakter, den man hierzulande kennt, hat, sondern vielmehr auf Initiativen der Diözesen und der Kirchengemeinden beruht und Lücken schließt, die der Sozialstaat offen lässt (etwa Altersheime, Waisenhäuser, Studentenheime, Pflegestationen u. ä., aber auch Arbeitsagenturen, Schulen, Kindergärten usw.).

Ein sehr verbreitetes karitatives Angebot der Diözesen und der Kirchengemeinden sind die so genannten „Zentren der Liebe“: Das sind Suppenküchen, die im September 2010 in 195 Orten im Einsatz waren und täglich Essen für 30 000 Menschen ausgaben. Die Erzdiözese von Athen meldete im Dezember 2010, dass die in ihren Suppenküchen ausgegebenen Portionen im Oktober von 5 000 auf 10 000 verdoppelt wurden, weil jene die Nachfrage nicht decken konnten. (Zum Vergleich: Die Suppenküche der Stadt Athen hat die Portionen von 1 000 auf 1 500 erhöht). Die Griechen unter den Gästen der Suppenküchen machten etwa 35 bis 40 Prozent, in manchen Orten auch 50 Prozent aus. Das Durchschnittsalter lag zwischen 50 und 70 Jahren; dies deutet darauf hin, dass es sich um Menschen handelt, die arbeitslos geworden sind. Es wurde auch beobachtet, dass viele Menschen das ausgegebene Essen nach Hause holten und „umtopften“, damit die jüngeren Mitglieder der Familie ihre schwierige Finanzlage nicht bemerken.

„Bankrott der Menschenwürde und der Werte“

Die Kosten des diakonischen Engagements erreichen die Höhe von 100 Millionen Euro jährlich; diese beinhalten nur eine kleine Summe für Verwaltungskosten oder Vergütungen, denn die Arbeit in den karitativen Einrichtungen der Kirche erfolgt fast ausschließlich auf freiwilliger Basis. Am 13. April beschloss die Ständige Synode die Einrichtung eines Solidaritätsfonds. Doch die globale Rezession und die Finanzkrise in Griechenland hatten auch Konsequenzen für die Einnahmen der Kirche. Am 5. Oktober 2011 erklärte Erzbischof Ieronymos, dass die Ausgaben der Kirche höher als ihre Einnahmen seien. Dennoch versprach die Mitteilung der Synode der Hierarchie zwei Tage später, dass die Kirche dem Volk alles geben werde, was ihr von ihrem Vermögen übriggeblieben sei; allerdings zu dem Zeitpunkt und in der Weise, die sie für günstig halte.

In seiner Ansprache zum Beginn der diesjährigen Synode der Hierarchie stellte Erzbischof Ieronymos fest, dass die seelische Belastung des Volkes ihre Grenze erreicht habe; man könne von der tiefsten seelischen „Rezession“ der Nachkriegszeit sprechen. Zur Überwindung der Krise müsse man entsprechende, zukunftsweisende Voraussetzungen durch Umkehr und Besinnung auf die christlichen und kulturellen Werte schaffen.

Nach Abschluss der Beratungen hat die Synode am 7. Oktober erneut eine Mitteilung zur aktuellen Finanzkrise veröffentlicht. Sie beklagte, dass die Krise bereits untragbare und schwere Folgen für das Volk sowie für die Würde des griechischen Volkes innerhalb der Völkergemeinschaft der Europäischen Union habe. In der Mitteilung ist wieder die Rede von der tiefen moralischen und geistigen Krise, die zur Finanzkrise und folglich zum Verlust einiger Menschenrechte geführt habe, und von der Umkehr als Mittel zum Heil. Sie fordert vom Staat, mit der Versteuerung der niedrigen Renten und der niedrigen Einkommen aufzuhören, die Arbeitslosigkeit zu beheben, die Steuereinnahmen gerechter zu verwenden, die Steuerhinterzieher aufzuspüren und das Kapital besser zu kontrollieren.

Mit einem Schreiben an den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, von Mitte Oktober 2011 unterstreicht die Kirche ihre Sorge um die Schwierigkeiten des Landes und insbesondere um die Müdigkeit der Menschen, die sowohl finanziell als auch seelisch erschöpft seien. Sie erinnert an die Anfänge der europäischen Vision und wünscht sich ein Europa mit menschlichem, solidarischem und christlichem Charakter. Sie redet auch von der europäischen Krise, die sie eine Krise der Glaubwürdigkeit, des Vertrauens der Bürger auf die europäischen Institutionen nennt, die in die Hoffnungslosigkeit führe. Sie redet darüber hinaus von einem „Bankrott der Menschenwürde und der Werte“.

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