Glaube, Liebe, Schusswaffen

Wie gehen wir mit gewalttätigen Bibelpassagen um? Die Theologin Anna Albinus treibt die Frage auf die Spitze.

Bei manchen Büchern fällt es leichter zu sagen, was sie nicht sind: „Revolver Christi“ ist kein Krimi, obwohl es um einen ermittelnden Kommissar geht. Es ist kein Thriller, obwohl es immer wieder zu seltsamen Todesfällen kommt. Und es ist kein spirituelles Buch, obwohl eine Reliquie im Zentrum steht. Diese Reliquie ist eine geheimnisvolle Schusswaffe, die der auferstandene Christus – der fiktiven Überlieferung des Buches nach – einst selbst getragen haben soll. Inzwischen ist sie Teil einer kirchlichen Ausstellung und lockt Besucherscharen an: „Um den geordneten Besucherstrom zu gewährleisten, werden Zeitkarten vergeben, Ordner kontrollieren Einlass und Einhaltung der Besuchsvorschriften. Insgesamt soll der Revolver drei Monate zu sehen sein.“ Auch theologisch ist die Waffe längst in den offiziellen Lehr­kanon eingehegt. Ein Dompfarrer sieht in ihr ein Symbol dafür, wie es sich anfühlt, unmittelbar von der Liebe Gottes „getroffen“ zu werden. Nur eine kleine Sekte scheint die Geschichte wörtlicher zu nehmen und plant einen Anschlag auf die Ausstellung.

Die Wiener Theologin Anna Albinus stellt in ihrem Erstlingsbuch große Fragen, wenn auch auf eine so lapidare, leicht ironische Art, dass man erst auf den zweiten Blick merkt, wie ernst sie sind. Machen wir es uns zu einfach, wenn wir jede biblische Erzählung nur auf die Liebe Gottes hin lesen? Laufen wir damit Gefahr, diese Passagen religiösen Extremisten zu überlassen? Bei diesen Fragen kommt die Autorin zu keinen abschließenden Antworten, lässt den Leser selbst weitergrübeln. Ihr Kommissar, wohl nicht zufällig nach Thomas, dem ungläubigen Apostel, benannt, verzweifelt zusehends an dem religiös aufgeladenen Fall. „Ich begriff, dass ich über ein Jahr lang alles untersucht hatte, ohne das Geringste herauszufinden“, muss er kurz vor Ende der knapp 80 Seiten eingestehen. „Wie man einem solchen Phänomen sich zu nähern habe, darüber wusste ich nichts.“

Bei einem Krimi wäre es ein Problem, den Schluss so vorwegzunehmen. Doch „Revolver Christi“ macht von den ersten Seiten an klar, dass es nach ganz anderen Spielregeln funktioniert. Statt abenteuerlichen Wendungen steht die Atmosphäre im Vordergrund, mal trocken-alltäglich, mal verspielt-melancholisch. An manchen Stellen scheint sich das Buch sogar aktiv gegen einen klassischen Spannungsaufbau zu stemmen: Todesfälle, die mit dem geheimnisvollen Revolver zusammenhängen, werden in kurzen Sätzen abgearbeitet. Es gibt keine Mordszenen und keine blutigen Tatortbeschreibungen. Dadurch bekommen die Fragen, die die Autorin aufwirft, den Raum, den sie brauchen. Sie machen „Revolver Christi“ zu einem Buch, das man an einem Nachmittag durchliest – und über das man noch lange nachdenkt.

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Albinus, Anna

Revolver ChristiNovelle

(edition.fotoTAPETA, Berlin 2021, 78 S., 15 €)

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