Der eine Gott und die Götter (24)Palast und Tempel Salomos

Die für das Selbstverständnis der Moderne grundlegende Idee des Rechtsstaats gründet im Alten Testament.

1 Im vierhundertachtzigsten Jahr nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten, im vierten Jahr der Regierung Salomos über Israel, im Monat Siw, das ist der zweite Monat, begann er, das Haus des HERRN zu bauen. 2 Das Haus, das König Salomo für den HERRN baute, war sechzig Ellen lang, zwanzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch… 38 Sieben Jahre hatte man an ihm gebaut. 1 An seinem Palast baute Salomo dreizehn Jahre, bis er ihn ganz vollendet hatte. 2 Er baute das Libanonwaldhaus, hundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch, mit drei Reihen von Zedernsäulen und mit Zedernbalken über den Säulen. (1 Kön 6–7)

Biblische Texte mit Maß- und Datumsangaben gelten gewöhnlich als langweilig und werden oft überlesen. Dabei enthalten sie in aller Regel theologisch interessante und nicht selten auch brisante Angaben. Wir haben gesehen, dass Palast und Tempel im altorientalischen wie auch im davidischen Königtum eng miteinander verbunden und aufeinander bezogen waren (siehe Folge 18, CIG Nr. 42, S. 471). David hatte sich einen Palast gebaut und wahrscheinlich den Tempel der Jebusiter als Reichsheiligtum übernommen. Auch sein Sohn und Nachfolger baute für sich einen Palast. Was David noch durch ein prophetisches Wort verwehrt wurde, wird nun von seinem Sohn in Angriff genommen: Er baut JHWH ein Haus.

Vergleicht man Bauzeit und Größe von Tempel und Palast miteinander, so fällt auf, dass der Palast etwa doppelt so groß war und an ihm doppelt so lang gebaut wurde wie am Tempel. Zwar sind antike Maß- und Zeitangaben mit Vorsicht zu genießen, dennoch dürften sich in diesen Angaben die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegeln: Dem königlichen Palast kam eine weitaus größere Bedeutung zu als dem Tempel. Der Tempel war im Grunde eine Art „Palastkirche“. Das die Stadt dominierende Element war der königliche Palast.

Für das Verständnis der alttestamentlichen Religionsgeschichte ist diese Feststellung von großer Bedeutung. Denn im Laufe der Geschichte Israels lässt sich beobachten, dass sich das Verhältnis von Palast und Tempel immer mehr zugunsten des Tempels verschob. Die Bedeutung des Palastes trat in den Hintergrund, der Tempel und seine Ausstattung gewannen mehr und mehr an Gewicht. Das Exil führte in dieser Hinsicht zu einem gewaltigen Einschnitt: Palast und Tempel werden 586 v. Chr. von den Babyloniern zerstört. Nach dem Exil wurde jedoch nur der Tempel wieder aufgebaut, nicht der Palast. Trotz vereinzelter Versuche kam es nicht mehr zur Wiedererrichtung eines jüdischen Staates.

Diese sich über Jahrhunderte hin erstreckende Entwicklung und die damit einhergehenden theologischen Reflexionen wurden für die abendländische Geschichte von grundlegender Bedeutung: Es kam zur Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielten die alttestamentlichen Propheten. Mit der Religionspolitik Davids und Salomos wurde die JHWH-Religion, die von ihrer Exodus-Erfahrung her möglicherweise sogar eine antistaatliche Spitze aufwies, zu einer staatlich gestützten Nationalreligion. Die weitere, insbesondere durch das Exil forcierte Entwicklung könnte man pointiert auf die Formel bringen: Staat und Nation gehen zugrunde, die Religion bleibt. Aus dem Staatsvolk wird das Gottesvolk. Es kommt zur Ausdifferenzierung von Religion und Politik.

Grundgelegt war dieser Prozess durch eine in der frühen Geschichte des JHWH-Glaubens angelegte Trennung von Königtum und Prophetie. Die klassischen Propheten des Alten Testaments verstanden sich als eine dem Königtum vorgeordnete und ihm auch häufig entgegentretende Instanz. Kein Prophet des Alten Testaments hat einen Staat gegründet. Im Unterschied dazu wird Mohammed in der islamischen Tradition als Prophet und Staatsmann verehrt.

Die für das Selbstverständnis der Moderne grundlegende Idee des Rechtsstaats gründet im Alten Testament. Das Konzept der Gewaltenteilung ist grundgelegt in der alttestamentlich bezeugten Trennung von prophetischer (geistlicher) und königlicher (weltlicher) Gewalt.

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