Jüdisch-christlichDer jüdische Jesus der Christen

Auf der Suche nach den Gründen der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise der Kirche gräbt der Münchner Theologe Norbert Reck tiefer als üblich. Schon seit Aufkommen der historischen kritischen Bibelwissenschaft im 18. Jahrhundert öffnete sich ein Riss zwischen ihr und der Dogmatik. Reck deckt Stück für Stück auf, was das kirchliche Sprechen so kraftlos werden ließ: dass die historische Forschung und das dogmatische Lehren das Judesein Jesu in seiner Glaubensbedeutung für das Christsein – teilweise bis heute – nicht erkannt haben.

An diesem jüdischen Jesus aber hängt viel: Über ihn lässt sich die unselige Verquickung von „Judenfeindschaft und Entzeitlichung“ auflösen. Dann kommt das biblische Erzählen erst wieder zur Geltung, „wie man dem Leben und seinen Abgründen“ begegnen kann. Erkennbar wird dann, dass das Heil Gottes für seine Menschen welthaltig ist, lebensfreundlich und nie nur privat. Recks Plädoyer, der Kraft des Erzählens, den Inhalten der Heiligen Schrift zu trauen, befreit von den Versuchungen, sich – zumal heute in krisenhafter Situation – heillos defensiv auf nur formale Autoritätsansprüche zurückzuziehen. Statt Verbote auszusprechen, ermutigt Reck, den biblischen Erzählungen zuzutrauen, dass sie auch die Erzählungen unserer Zeit „mit sich verstricken“ können. Gegen allen kirchlichen Pessimismus können sich nämlich die Autonomie der Individuen und die Heilsbotschaft des christlichen Glaubens durchaus aufeinander „einlassen“.

Als theoretischen Rahmen für die anstehenden Riss-Heilungen schlägt der Autor die Diskursanalyse des französischen Denkers Michel Foucault vor, die bisher von der Theologie kaum aufgenommen worden ist. Dabei könnte sie Verhärtetes verflüssigen, Dürres bewässern und Neues wachsen lassen. Was „damals“ die Menschen umtrieb und ihnen half, was in Glaubenssätzen vom Gott der Befreiung ausgesprochen sein will, fände sein Echo in den Mühen und Kämpfen, Niederlagen und Erfolgen um gerechtes Leben in Würde auch heutiger Menschen.

In vier „Skizzen“ macht Norbert Reck die Probe aufs Exempel, wie zentrale Inhalte des Glaubens (zum Beispiel Opfer, Messias) neu „verfänglich“ werden können. Dann demonstriert Jesus in seinem Gang über das Wasser weder magische Kräfte noch seine Gottheit, „es ist vielmehr eine Geschichte vom Vertrauen – auf Gott, auf die Sache der Gerechtigkeit, auf sich selbst“. Dieser Groß-Essay packt ein großes wichtiges Thema an, fokussiert es innovativ – und ist einladend-verständlich geschrieben. So frisch, ja spannend kann Theologie sein. Paul Petzel

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