Carl Orffs Grabspruch „Summus Finis“Höchstes Ziel

Was hat Carl Orffs Grabspruch „Summus Finis“ zu bedeuten? Hinweise gibt seine letzte Oper „Das Spiel vom Ende der Zeiten“.

Höchstes Ziel des Lebens – was könnte das sein? Carl Orff (1895–1982), der berühmte Komponist, hatte eine bestimmte Vorstellung davon, denn auf der Marmorplatte über seinem Grab im Seitenschiff der Klosterkirche von Andechs ließ er die zwei Worte „SUMMUS FINIS“ eingravieren. Heißt das nun „höchstes Ende“ oder „höchstes Ziel“? Beides ist möglich, einfach das letzte Ende, der Tod, oder er denkt an ein Ziel über den Tod hinaus.

Eine Spur zeigte sich in Carl Orffs letzter und selten aufgeführter „Oratorien-Oper“ von 1971 „De fine temporum Comoedia“ (Das Spiel vom Ende der Zeiten). Es blieb die Unsicherheit, warum er sein Werk eine „Comoedia“ nennt. Meint er vielleicht eben dieses Unentschieden, dieses Spiel der beiden Bedeutungen „Ende“ und „Ziel“? Er nennt das Werk eine „Vigilia“, eine Nachtwache, eine liturgische Feier zur Vorbereitung auf ein Fest. Orff liebt das klassische Latein, auch das spätere der Liturgie, und vor allem das ältere Griechisch. So treten im ersten Teil des „Endzeitspiels“ neun Sibyllen auf, die aus den alten „Sibyllinischen Weissagungen“ auf Griechisch rezitieren. Sie singen und sprechen wild und fremd, sie predigen die strenge alte Lehre von der ewigen Hölle als Strafe für die Sünden. Warum auf Griechisch? Weil diese Lehre schwer zu verstehen ist?

Im zweiten Bild der „Comoedia“ treten neun Anachoreten auf, heilige Einsiedler, wie am Ende von „Faust II“. Sie sind ganz anderer Meinung als die Sibyllen; leidenschaftlich rufen und singen sie „Nein. Niemals“, protestieren monoton und eindrücklich, ebenfalls auf Griechisch. Strafen wegen der Sünden gebe es nur in der Zeit, sie könnten nicht ewig dauern, eine „uralte Ammenmär“ sei das; „Welt und Hölle sind in der Zeit“, sie müssen vergehen. Man kann also über das „Ende der Zeiten“, über Hölle und Himmel verschiedener Ansicht sein. Einig sind sich Sibyllen und Anachoreten über Gott, der nicht in der Zeit ist. Aber das Ende der Zeiten ist uns heute näher als in ruhigeren Epochen. Die Menschheit kann sich selbst vernichten. Ende oder Ziel – wer soll das entscheiden? Die Anachoreten bitten schließlich um einen weissagenden Traum; eine Frage, auf Griechisch und Deutsch oft wiederholt, bleibt in der Schwebe, ein Traumbild hat viel Rätselhaftes: „Was ist das Ziel?“

Im dritten Teil der „Comoedia“ entfaltet dieser Traum sich als Szene: „Die letzten Menschen“ am Ende der Welt und der Zeit treten auf. Sie rufen die Angst des Weltendes wie im Evangelium aus, Sonne und Sterne sind nicht mehr, „Alle Wege führen ins Nichts“, „Wir fallen aus der Zeit / am Ende aller Zeiten“. Zuletzt ein gesungenes Gebet, ein feierlicher Exorzismus, dann der alte „Kyrie“-Ruf, immer wieder mit der Bitte: „Mach ein Ende!“ Der Traum hört auf mit einem letzten starken Bild: Lucifer, der ehemals gefallene Engel, erscheint im Licht, er sagt dreimal das schwere „Pater, peccavi“, bekennt sich zu seiner Sünde und erkennt den „Vater“ an. Am Ende singt ein Chor feierlich auf Latein, es ist die Antwort auf die Frage des Grabspruchs: „Ich komme zu dir, du bist der Tröster und das höchste Ziel“. Das überrascht: „Höchstes Ziel“ ist nicht irgendetwas in meinem Leben, sondern Gott. Dazu kommt, dass Orff auf sein Sterbebildchen ein Zitat aus ebendiesem Chor haben wollte: unter einem Kreuz in Großbuchstaben „VENIO AD TE“ (Ich komme zu dir) mit der Madonna von der Münchner Mariensäule auf der Rückseite.

Carl Orff war Christ auf seine Weise und ein Widersprechender. Was er mit „Gott“ meint, muss offen bleiben; es gibt aber zu denken.

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