Robert Biedroń hat den Zeitpunkt und die Form der Gründung seiner neuen linken Partei und Bewegung „Wiosna“ (Frühling) Anfang Februar 2019 klug gewählt. Der aufwendig inszenierte und sehr medienwirksame „Frühlings“-Anfang fand vor tausenden jungen Anhängern in einer Warschauer Sportarena statt und erinnerte an amerikanische Parteiveranstaltungen. Viele Beobachter verbinden mit dieser Parteigründung die Hoffnung auf eine neue linke, innovative und pro-europäische Partei, die neben der größten liberal-konservativen oppositionellen Bürgerplattform (PO) ein Gegengewicht zu der am Rechtsstaat rüttelnden regierenden rechtsnationalen Rechts- und Gerechtigkeitspartei (PiS) unter Jarosław Kaczynski darstellen könnte. Wiosna wird bei der Europawahl im Mai antreten, die wiederum als wichtiges Stimmungsbarometer für die polnischen Parlamentswahlen im Herbst gilt. In Umfragen wird sie schon heute mit rund 16 Prozent prognostiziertem Stimmanteil als drittstärkste und somit koalitionsentscheidende Partei gehandelt und verändert damit die seit Jahren festgefahrene politische Konfliktsituation zwischen PiS und PO. Vor allem zeigt sich aber die internationale Presse überrascht, dass ein offen schwuler und atheistischer Politiker in einem traditionell katholischen Land zur Identifikationsfigur der am Boden liegenden Linken werden könnte.
Robert Biedroń, 1976 im südöstlichen konservativen Karpatenvorland geboren, wurde auch auf Grund eigener Diskriminierungserfahrungen gesellschaftspolitisch aktiv und studierte in Polen und Wien Politikwissenschaft. 2001 gehörte er zu den Gründern der polnischen „Kampagne gegen Homophobie“. Zu diesem Zeitpunkt waren es in Polen noch sehr wenige, die sich offen für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzten. 2002 schloss er sich der postkommunistischen Partei SLD an, zog dann aber 2011 mit der anti-klerikalen Palikot-Bewegung in das polnische Parlament ein. Seine Wahl 2014 zum ersten offen schwulen Bürgermeister in der 90.000 Einwohner-Stadt Słupsk an der Ostsee machten ihn über Nacht im ganzen Land und darüber hinaus bekannt. Er gilt als mitreißender charismatischer Kommunikator und glänzender Redner, der auch bei unterschiedlichsten Gesellschaftsvertretern den richtigen Ton trifft. Aber auch als sachorientiert, engagiert und arbeitsam. In seiner vierjährigen Amtszeit als Bürgermeister hat er sich neben der Sanierung der Finanzen der hochverschuldeten Stadt für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Integration von Ukrainern und Umweltfragen stark gemacht.
Er gehörte in den letzten Jahren zu einer Reihe von Bürgermeistern mittlerer und größerer Städte, die sich als Opposition im eigenen Land zur aktuellen Regierung verstanden und sich für ein offenes, tolerantes und europaverbundenes Polen eingesetzt haben. Vor der Bekanntgabe seiner Parteigründung ist er monatelang durchs Land gereist und hat in sogenannten Bürgertreffs Ideen für sein Programm gesammelt. Die Parteigründung will Biedroń auch als Zeichen gegen den Hass und die Spaltung in der Gesellschaft verstanden wissen, die in der Ermordung des Danziger Stadtpräsidenten Pawel Adamowicz im Januar 2019 ihren traurigen Höhepunkt fand.
Seine neue Partei verbindet bisherige politische Forderungen Biedrońs mit sozialen Themen und einer deutlichen Stoßrichtung gegen die polnische Amtskirche und ihre spezifische Rolle in Polen. Biedroń will eine klare Trennung von Kirche und Staat, den Staatsvertrag mit dem Vatikan nachverhandeln, ein liberales Abtreibungsgesetz, die Gleichstellung von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft, verbesserten Sexualkundeunterricht an den Schulen und die Abschaffung des staatlich finanzierten Religionsunterrichtes. Vor dem Hintergrund der extremen Vermischung von Kirche und Politik seit der Regierungsübernahme durch die PiS-Partei 2015 und einer Staatsfunk-ähnlichen Nähe zum rechtsnationalen und oft antisemitischen Medienimperium Radio Maryja unter Pater Tadeusz Ryszyk sind dies auch von kirchennahen Bürgern nachvollziehbare Forderungen.Der Vorwurf, dass die Neugründung auch eine Gefahr für die bisherige Opposition zur PiS darstellt, ist nicht unberechtigt. Aber fürs Erste muss sich Wiosna in Polens Parteienlandschaft etablieren. Erst dann will sich Biedroń zu einer möglichen Koalition positionieren.