Niccolò Ammanitis Serie „Ein Wunder“Gefahr und Rettung

Eine Marienprozession in Norditalien (Bild nicht aus der Serie).
Eine Marienprozession in Norditalien (Bild nicht aus der Serie).

Die revidierte Einheitsübersetzung ersetzt an zahlreichen Stellen das Wort „Wunder“ mit „Machttaten“. Wer spricht heute noch ohne Vorbehalte von Wundern, mögen die Verantwortlichen gedacht haben. Die neue, italienische Serie „Ein Wunder“ aus der Feder von Niccolò Ammaniti (geboren 1966) wagt es. Sie wird derzeit vom Sender Arte gezeigt und ist auf DVD erhältlich.

In seinem Unterschlupf liegt der kalabrische Mafiaboss Molocco in einer Blutlache, als man ihn verhaftet. Das Blut stammt aus einer Plastikmadonna. Sie wird vom Militärgeheimdienst sichergestellt und wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Ein Team aus Biologen und Chemikern untersucht die Statue. Kein Trick, keine Täuschung: Die Figur weint neun Liter Blut pro Stunde. Naturgesetze scheinen nicht zu gelten. Das Ergebnis stellt man dem italienischen Ministerpräsidenten Fabrizio Pietromachi (Guido Caprino) vor. Er ist angesichts eines bevorstehenden Referendums zum Austritt Italiens aus der EU angeschlagen. Seine engsten Berater und die politischen Eliten glauben nicht mehr an seine politische Zukunft. Pietromachi ist Atheist, doch in den Bann dieses Phänomens gezogen. Er wendet sich an den Priester Marcello (Tommaso Ragno). Der Geistliche ist glücksspielsüchtig, veruntreut dafür Spendengelder. In seiner verwahrlosten Wohnung isst er aus der Mikrowelle, während im Fernsehen ein Pornofilm läuft. Davon weiß der Ministerpräsident nichts, als er ihn fragt: „Glaubst du an Wunder?“ Dessen Antwort: „Nicht Gott braucht Wunder, sondern wir. Das Wunder ist das Zeichen der Barmherzigkeit Gottes und unseres Elends, denn wer ernsthaft glaubt, der braucht es nicht.“ Als Marcello nun vor die Figur, die man in einem leeren Schwimmbad versteckt, geführt wird, bewahrheitet sich für ihn seine eigene Antwort. Im Anblick der blutüberströmten Madonna findet er den verlorenen Glauben wieder. Das Wunder bekannt zu machen, wird nun zu seiner vergeblichen Mission.

Die Serie zeichnet unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Wunder nach: Die einen wollen das Geheimnis verstehen. Da ist die Biologin Sandra (Alba Rohrwacher), die sich an wissenschaftliche Indizien klammert. Sie schlüsselt die DNA des Blutes auf, in der Hoffnung, das Idealbild eines „neuen Menschen“ zu finden. Die erste Suche führt sie zu dessen Gegenteil, zu einem Menschenhändler, der sie zu vergewaltigen sucht. Letzten Endes geht sie so weit, sich heimlich ein aus der DNA des Blutes geklontes Baby einsetzen zu lassen. Andere glauben schlicht dem Wunder. So beginnt einer der die Madonna bewachenden Soldaten zu beten und führt auch seine kranke Großmutter vor das Bild.

Die Ehekrise des Ministerpräsidenten und seiner Frau Sole (Elena Lietti) durchzieht die gesamte Serie. Als ihr kleiner Sohn Carlo nach einem Unfall im Swimmingpool in Lebensgefahr schwebt, kniet der atheistische Premier flehend vor der Madonna. Doch das Kind stirbt. Erschüttert und wütend will er die Statue eigenhändig zerschlagen. Doch er ist irritiert, als er bemerkt, dass sie offenbar zu weinen aufgehört hat.

Niccolò Ammaniti ist ein anrührendes und irritierendes Werk gelungen. Es stellt die Frage nach der Berührbarkeit Gottes in Fleisch und Blut. Er zeigt Fleisch im Essen und in der Lust. Er zeigt Blut – anfangs fast wie in einem Horrorfilm. Blut wird angefasst, um den Irrtum oder die Echtheit des Wunders zu fassen. Blut wird verspeist, als Sandra es ihrer Mutter im Wachkoma unter die Nahrung mischt in der Hoffnung auf ein Wunder. Andere starren das Blut aus der Madonna staunend an. Und schließlich wird es – aus einer nebenbei gefallenen Idee – eingefroren.

Das Phänomen bleibt unverstanden, doch nicht widerlegt. Lange Zeit legt sich die vordergründige Deutung einer Strafe nahe: Der Mafiaboss muss für seine Morde büßen, der atheistische Präsident für seinen Unglauben… Doch auf irgendeine Weise sind alle Beteiligten schuldig, alle Sünder. Und so lässt die Serie auch eine christliche Interpretation zu: Das Wunder ist kein Spektakel, so außergewöhnlich es ist, es bleibt ja fast unbemerkt. Es ist ein Bild des Mitleidens. Auf unterschiedliche Weise sehnen sich die Protagonisten nach Zuwendung und können die Gottesferne kaum aushalten. Und die einzige Person, die „wirklich“ durch das Wunder gerettet wurde, ein geistig behinderter Junge, weiß in seinem fröhlichen Vertrauen nichts von der Gefahr und seiner wunderbaren Errettung. Eugen Daigeler

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