Weltjugendtag: Kirche braucht „Unruhe“

Papst Franziskus hat bei seinen Auftritten in Panama eine Kultur des Zuhörens in der Kirche angemahnt. Die Bischöfe müssten Kompetenzen abgeben und eine „heilsame Unruhe“ der jungen Christen zulassen. Der Weltjugendtag in dem mittelamerikanischen Land zog zwar weniger Pilger an als erwartet, war aber dennoch ein willkomenes positives kirchliches Großereignis angesichts vieler Krisen.

Papst Franziskus auf dem Weltjugendtag in Panama im Papa-Mobil
© KNA

Für den Papst ist ein Weltjugendtag so etwas wie ein Heimspiel: Das Publikum ist ihm gewogen, die Dramaturgie erprobt und überraschungsfest. Wer sich zu dem Programm anmeldet, sucht Begegnung, nicht Konfrontation, will in bischöflichen Katechesen Glaubensunterweisung erhalten, nicht den Markt der Möglichkeiten austesten. Nach außen vermittelt das Katholikentreffen das sympathische Bild völkerverbindender, feiergestimmter Jugendlichkeit. Der Papst kann seine Rolle als Hirte der universalen Kirche aufs Schönste ausspielen.

Für Franziskus war Panama eine willkommene Atempause und ein Landgewinn nach einem annus horribilis: Vor genau zwölf Monaten war in Südchile der Sturm des Missbrauchsskandals losgebrochen. Seither baute sich eine Welle des Widerstands auch in Teilen der Kirchenleitung weiter auf. Der Papst konnte positive Schlagzeilen zum Jahresbeginn gut gebrauchen – ebenso der Staat Panama, dem noch immer das schlechte Image des Steuerparadieses anhängt. Beide Seiten haben ihre Chance ohne wesentliche Patzer genutzt.

Zuerst Panama: Lange galt als zweifelhaft, ob der kleine Staat das Großereignis würde stemmen können. Seit dem Amerikagipfel 2015 richtete das Land nicht mehr ein solches Event aus. Als Panama mit seinen gerade einmal vier Millionen Einwohnern den Zuschlag für den Weltjugendtag 2019 erhielt, fürchteten manche einen Flop, andere Chaos. Am Ende hat es geklappt – auch wenn die Zahl der registrierten Pilger mit 86.000 weit unter den Erwartungen blieb. Der neue Hauptstadtflughafen erlangte zumindest Funktionsfähigkeit, ebenso andere Infrastrukturprojekte. 19.500 Freiwillige entfalteten eine überbordende Hilfsbereitschaft. All das wog manche Engpässe und Defizite auf – etwa dass die Metro an den Rand ihrer Kapazität geriet und ausländische Gäste über Informationslücken und Mängel in der Logistik klagten.

Päpstliche Pädagogik: Stärken stärken

Die Stadt Panama feiert 2019 ihre Gründung vor 500 Jahren. Staatspräsident Juan Carlos Varela wollte vor den Präsidentschaftswahlen im Mai, bei denen er nicht nochmals antritt, ein funktionierendes, leistungsfähiges und attraktives Land präsentieren. Varelas bisherige Bilanz ist durchwachsen: Einer erfreulichen Wirtschaftsleistung stehen offene innenpolitische Baustellen gegenüber. Die Nivellierung der sozialen Ungleichheit zwischen Stadt und Land, besonders den Indigenen-Gebieten, kam schwächer voran als erhofft; das staatliche Bildungssystem ist nicht in der Lage, Jugendlichen einen Weg in die technologisch geprägte Wirtschaft zu bahnen. Zunehmend werden Flüchtlinge aus Venezuela oder Nicaragua von weniger gut ausgebildeten Panamaern als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen.

Vor allem lastet auf dem Land noch immer der Schatten der 2016 veröffentlichten Panama Papers, des Skandals um Steuerschlupflöcher und Briefkastenfirmen. Varela sicherte Abhilfe zu, vermochte den Kampf gegen Korruption nicht mit dem nötigen Elan voranzutreiben. Wie ein Menetekel standen auf dem noch nicht ganz fertigen Flughafen, auf dem der Papst an- und abreiste, Bagger der verfemten Firma Odebrecht. In Sachen Finanztransparenz bleibt Panama etwa bei der OSZE weiterhin unter kritischer Beobachtung. Wohl nicht zufällig bekannte sich Varela – inzwischen ohne Parlamentsmehrheit – in seiner Rede vor dem Papst und internationalen Diplomaten zum Ideal „fähiger und ehrlicher Politiker“ und zur Orientierung am Gemeinwohl.

Auch die katholische Kirche des Landes ist nicht so sattelfest, wie es die eigene Statistik mit einem Anteil von 88,6 Prozent an der Bevölkerung glauben lässt. Stimmen vor Ort sprechen von einer schwindenden Kirchenbindung und einer Abwanderung zu evangelikalen Gemeinden, in denen viele Gläubige jene persönliche Zuwendung finden, die sie in traditionellen Pfarreien vermissen.

Panamas Erzbischof Jose Domingo Ulloa gilt als ebenso differenzierter wie offener Kritiker sozialpolitischer Defizite und macht sich besonders für Zukunftschancen der jungen Generation stark – die Altersklasse der 15- bis 35-Jährigen stellt ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Dabei hat Ulloa keine Scheu, dem Staat eine Hand zu reichen, wenn es etwa um den Ausbau des Fremdenverkehrs geht: So warb der Erzbischof vergangenes Jahr auf der Tourismusmesse in Stuttgart für Panama als Gastgeberland des Weltjugendtags, wie auch umgekehrt das Tourismusministerium im Weltjugendtags-Pressezentrum mit Ständen und folkloristischen Darbietungen präsent war. Bei aller Kritik an den Kosten des Papstbesuchs: Laut lokalen Schätzungen generierte das Katholikentreffen einen ordentlichen dreistelligen Millionenbetrag an Einnahmen.

Papst Franziskus nutzte seinen Aufenthalt vom 23. bis 27. Januar für Botschaften in einem vorwiegend ermutigenden, aufbauenden Ton. Er folgte darin dem Muster seiner Pädagogik, Stärken zu stärken, verbunden mit Appellen, den Klammergriff der Macht und Selbstbehauptung zu lösen und fremder Hilfe zu trauen. So mahnte er Politiker und Wirtschaftsvertreter ebenso unmissverständlich wie diplomatisch, jeglicher Korruption abzuschwören und der neuen Generation mehr Mitgestaltung ihrer eigenen Zukunft einzuräumen.

Der Palacio Bolivar in Panamas Altstadt bot den Rahmen seiner ersten Rede – Sitz des Außenministeriums und ehemaliges Franziskanerkloster, ein Schmuckstück kolonialer Architektur vor der Kulisse der Bankentürme entlang der Bucht. Hier warb das Kirchenoberhaupt für einen neuen „Sozialpakt“, der den jungen Generationen mehr Gestaltungsmöglichkeiten einräumen müsse: „Auch das Recht auf Zukunft ist ein Menschenrecht.“

Gute Bildung und würdige Arbeit nannte der Papst Mittel, um die Talente des Volkes zur Entfaltung zu bringen. Zugleich machte er in der krassen sozialen Ungleichheit einen Nährboden für Korruption und Vetternwirtschaft aus: Das Gemeinwohl könne man „vor den Interessen von wenigen oder für wenige nur verteidigen, wenn die feste Entschlossenheit vorhanden ist, die eigenen Güter gerecht miteinander zu teilen“.

Oscar Romero: Patron der Kirche Lateinamerikas

Vor den Bischöfen Zentralamerikas zitierte der Papst mehrfach den im Oktober heiliggesprochen Oscar Romero (1917–1980). Die Anerkennung des salvadorianischen Erzbischofs als Märtyrer war lange auf innerkirchliche Bremser gestoßen; jetzt erhob Franziskus ihn faktisch zum Patron und Leitstern der Kirche in der Region. Die Bischöfe sollten „den Herzschlag ihres Volkes“ hören. Eine arrogante, stolze, selbstgenügsame Kirche sei nicht die Kirche Christi, sagte Franziskus mit einem Wort Romeros.

Die Hirten mahnte er, Kompetenzen abzugeben, mehr zuzuhören und eine „heilsame Unruhe“ durch junge Christen zuzulassen. Die Kirche, so Franziskus noch einmal mit Romero, dürfe sich nicht von den Starken und Mächtigen stützen lassen, sondern müsse ihren Halt einzig an „den Armen des Gekreuzigten“ suchen.

In zwei großen Veranstaltungen an der Cinta Costera, der Küstenpromenade Panamas mit ihren glitzernden Hochhausfassaden, rief Franziskus junge Katholiken aus aller Welt auf, sich für eine Kultur der Begegnung zu engagieren und populistischen Tendenzen von Spaltung und Ausgrenzung zu widerstehen. Konformismus nannte er eine der verbreitetsten Drogen unserer Zeit. Einen für ihn typischen Akzent setzte der Papst neben dem Besuch eines Aids-Zentrums mit einer Visite in der Jugendstrafvollzugsanstalt Las Garzas östlich der Hauptstadt.

Er hatte ausdrücklich gewünscht, der Weltjugendtag solle auch mit solchen Jugendlichen stattfinden, die nicht an den öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können. Das Gefängnis in Las Garzas gilt als vorbildlich in der Rehabilitation. Die Strafgefangenen absolvieren während ihrer Haft verpflichtend eine Schul- oder Berufsausbildung. Hier kritisierte der Papst eine Gesellschaft, die geradezu obsessiv mit dem Finger auf Böse zeigen muss, um sich selber gut zu fühlen. Krank seien nicht die „sogenannten Sünder“, sondern diejenigen, die gegenüber Reue taub blieben und ehemaligen Tätern eine Wiedereingliederung verweigerten; krank nannte Franziskus eine Gesellschaft, die „nicht imstande ist, sich über eine Verwandlung ihrer Glieder zu freuen“, und stattdessen noch die Straffälligen vom Glauben an die Möglichkeit der eigenen Besserung abbringt.

Prononcierte Einlassungen zu politischen Themen wie den Krisen in Venezuela und Nicaragua fehlten, ebenso zu innerkirchlichen Debatten. Teils mochte dies dem Charakter der Veranstaltung geschuldet sein, teils diplomatischen Rücksichten. Zum Machtkampf zwischen Venezuelas Präsident Nicolas Maduro und Parlamentspräsident Juan Guaido, der just in der Woche des Weltjugendtags ausbrach, ließ sich Interims-Vatikansprecher Alessandro Gisotti nichts als die Aussage abringen, man bete für die betroffene Bevölkerung. Auch der Missbrauchsskandal wurde eher nur gestreift – während des traditionellen Kreuzwegs und bei einem Mittagessen mit Jugendlichen im kleinen Kreis. In einer Messe mit Priestern und Ordensleuten sprach Franziskus davon, dass die Kirche durch ihre eigene Sünde verwundet sei, und machte darin einen Grund für eine tiefe „Hoffnungsmüdigkeit“ aus.

Der Begriff zog sich als Leitfaden durch die Predigt; das lässt ahnen, wie sehr sehr der Papst persönlich durch die Krise angegriffen ist. Den Akzent der Schlussmesse ließ sich Franziskus vom Evangelium des betreffenden Sonntags vorgeben: der Antrittspredigt Jesu im Lukasevangelium, nach der sich die frohe Botschaft für die Armen und Gefangenen „heute“ erfüllt hat. Franziskus nahm es als Appell an die junge Generation, sich nicht erst in Zukunft, sondern schon jetzt „beim Träumen und Aufbau des Morgen einzubringen“ und der Kirche „ein neues Pfingsten“ zu schenken. Der Gottesdienst fand auf einem Freigelände statt, das der Metropole einmal als Bauland dienen soll. Panama-Stadt will in den nächsten Jahren weiter wachsen. Franziskus machte deutlich, dass für die Kirche so viel Zeit nicht bleibt.

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