Vatikan: Fluchtursachen

„Sie waren nicht mehr bereit, ihren Kopf dafür hinzuhalten“: Was hinter dem überraschenden Rücktritt der Pressesprecher von Papst Franziskus steckt.

Blick auf Petersplatz und Petersdom
© KNA

Vor nicht allzu langer Zeit ist in Italien ein schmaler Band mit breitem Titel erschienen, der die grundlegenden Einsichten des Heiligen Stuhls auf dem weiten Feld der Öffentlichkeitsarbeit zusammenfassen sollte. „Der Dekalog des guten Kommunikators gemäß Papst Franziskus“ (Originaltitel: „Il Decalogo del buon comunicatore secondo Papa Francesco“, Elledici, Oktober 2016, 48 Seiten) enthält zehn Tipps für gelungene Kommunikation, die Journalisten und PR-Manager, aber auch ganz unbescholtene Menschen angeblich vom Heiligen Vater lernen könnten. Das erste Gebot lautet zum Beispiel: „Immer mit allen kommunizieren – niemanden ausschließen.“ Gebot 3 empfiehlt: „Trennen Sie niemals die Kommunikation von der persönlichen Beziehung.“ Gebot 7 gibt zu bedenken: „Voraussetzung für Kommunikation ist das Zuhören.“

Der Autor des Bändchens heißt Alessandro Gisotti. Als es erschien, war er noch stellvertretender Chefredakteur von Radio Vatikan. Ob er seinen Dekalog heute noch einmal genauso formulieren würde, ist schwer zu sagen. Jedenfalls legt das, was sich in den vergangenen Wochen in der Kommunikationsabteilung des Papstes an unerwarteten Rücktritten, Neubesetzungen und Reformanstrengungen ereignet hat, den Verdacht nahe, dass die goldenen Regeln des Miteinanders, der Transparenz und des Zuhörens, wie sie der Papst-Dekalog vorsieht, für den Papst selbst zuletzt nicht unbedingt in Stein gemeißelt waren. Zumindest nicht im Umgang mit seinem eigenen PR-Apparat.

Es war am Silvestertag, als das Presseamt des Heiligen Stuhls mit einer so kurzen wie spektakulären Erklärung die internationalen Medien überrumpelte: „Der Heilige Vater Franziskus hat den Rücktritt des Direktors und der stellvertretenden Direktorin des Presseamts des Heiligen Stuhls angenommen“, hieß es darin. Interimsnachfolger an der Spitze der Behörde, die für die offiziellen Kontakte mit den beim Vatikan akkreditierten Journalisten aus aller Welt zuständig ist, werde der italienische Journalist Gisotti. Also der Mann, der seinerzeit den päpstlichen PR-„Dekalog“ schrieb.

Die Meldung schaffte es noch vor Jahreswechsel weltweit in die Online-Schlagzeilen, weil sie für Beobachter innerhalb und außerhalb der Vatikanmauern völlig überraschend kam, zumindest zu diesem Zeitpunkt: Die beiden zurückgetretenen Sprecher, der US-Journalist Greg Burke und seine spanische Kollegin Paloma García Ovejero waren noch nicht lange im Amt, hatten ihre Posten erst im Sommer 2016 übernommen. Burkes Vorgänger hatten das Amt des Chefsprechers zehn Jahre (Federico Lombardi, von 2006 bis 2016) oder gar mehr als 20 Jahre lang (Joaquín Navarro-Valls) innegehabt.

Eine Operation am offenen Herzen

Hinzu kommt: Das Image des Vatikans ist derzeit so schlecht wie nie zuvor im Franziskus-Pontifikat. Die Presselage nach den Missbrauchsenthüllungen der vergangenen Monate ist verheerend. Und ausgerechnet jetzt stehen dem Vatikan auch noch kommunikative Herausforderungen wie der Missbrauchsgipfel in Rom Ende Februar (siehe Interview in dieser Ausgabe) bevor, die selbst aus einer Position der Stärke heraus kaum geräuschlos zu managen wären. In einer solchen Situation die Leitung des Presseamtes zu wechseln, gleicht einer Operation am offenen Herzen. Warum es dennoch dazu kam, wurde offiziell bisher nicht begründet. Hört man sich bei Personen aus dem Apparat um, ergibt sich allerdings ein Bild, das nicht nur etwas über den aktuellen Stand der vatikanischen Medienreform erzählt. Sondern auch ganz allgemein etwas über das noch immer kaum durchdringliche Dickicht der Vatikanbürokratie mit der ihr eigenen Mischung aus fantasievollen Doppelstrukturen, komplizierten Verfahren und der schlichten normativen Kraft des Faktischen.

Als Papst Franziskus sich daran machte, seine Verwaltung zu modernisieren, hatte er von Anfang an die Öffentlichkeitsarbeit besonders im Blick: 2015 bündelte er die vielen einzelnen Organisationseinheiten, vom „Osservatore Romano“ über „Radio Vatikan“ und das Papst-Fernsehen bis hin zum Presseamt (Sala Stampa), in einer neu geschaffenen Behörde, dem „Dikasterium für Kommunikation“. Das Ziel bestand darin, die Angebote inhaltlich zu harmonisieren und idealerweise zugleich Synergieeffekte zu schaffen. Wie bei Neuerungen üblich, sollen nicht alle Mitarbeiter davon begeistert gewesen sein: So wurde ebenfalls erst vor wenigen Wochen der langjährige Chefredakteur des „Osservatore Romano“, der Italiener Giovanni Maria Vian, von seinem Posten abberufen. Wie zu hören ist, mochte sich der „Osservatore“ in die neu geschaffene päpstliche Medienfamilie bisher nicht umstandslos einschmiegen, was sich unter anderem daran gezeigt haben soll, dass die Journalisten des „Osservatore“ ihre Informationen nur widerstrebend bis gar nicht mit den Kollegen anderer Abteilungen des Dikasteriums teilten. In dem Abschiedsbrief des Papstes an Vian, der als Datum den 22. Dezember trägt und somit erst einige Tage nach der öffentlichen Bekanntgabe von Vians Absetzung für nötig erachtet worden war, schrieb Franziskus: „Ich danke Ihnen vor allem für die wertvolle Zusammenarbeit und ständige Bereitschaft, die Sie mir bei der Umsetzung meiner Kommunikationsreformen haben zeigen wollen.“ Es klang wie: hat sich stets bemüht.

Die Vorteile der päpstlichen Medienreform liegen auf der Hand: Klarere, integrierte Strukturen sollen der Professionalisierung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dienen. Dazu passt, dass an der Spitze des neuen Kommunikations-Dikasteriums kein Geistlicher, sondern ein Journalist und Laie steht: der italienische ehemalige Radio- und Zeitungsredakteur Paolo Ruffini, bis zu seinem Wechsel zur Kurie Direktor des Senders TV2000 der italienischen Bischofskonferenz und nun der erste Präfekt einer Vatikanbehöde überhaupt, der kein Priester ist. Unterhalb von Ruffini bewegen sich nun also die verschiedenen Kanäle und Instrumente der Papst-PR, unter anderem der „Osservatore“, der Pressesaal und das multimediale Online-Angebot „Vatican News“, in dem die einzelnen Sender von „Radio Vatikan“ aufgegangen sind. Im Geiste der Zentralisierung hat „Vatican News“ selbst neuerdings auch einen Chefredakteur, der an den Präfekten Ruffini berichtet: Andrea Tornielli, lange Vatikanreporter von „La Stampa“ und bisher auch Betreiber des vielgelesenen Blogs „Vatican Insider“. Die Personalie wurde ebenfalls im Dezember 2018 bekannt, was zunächst zu Spekulationen führte, der Abgang des Papstsprechers Burke und seiner Stellvertreterin könne eine Reaktion auf Torniellis Berufung sein: Tornielli gilt als progressiv, Burke, der Opus-Dei-Mitglied ist, als konservativ.

Wenn ein Sprecher seinen Chef gar nicht zu Gesicht bekommt

Doch statt kirchenpolitischer Zerwürfnisse dürfte eher die Struktur des jungen Dikasteriums selbst der Hintergrund für den Doppelrücktritt sein. Trotz der angestrebten Verbesserung der Effizienz wurde ein wichtiges Problem der päpstlichen Kommunikation im Reformprozess bisher nicht behoben: Der Sprecher des Papstes, also der Chef der Sala Stampa, erhält seine Instruktionen gar nicht vom Papst selbst, sondern hat sich ans Staatssekretariat zu wenden, genauer gesagt an dessen Erste Sektion (Sektion für die Allgemeinen Angelegenheiten). Diese wiederum stimmt mit dem Papst die gewünschten Verlautbarungen ab. Das führt unter Umständen dazu, dass der päpstliche Pressesprecher den Mann, dessen Positionen er gegenüber den Medien vertreten und den er idealerweise auch strategisch beraten soll, wochenlang gar nicht zu Gesicht bekommt – in auffälliger Abweichung von den Geboten 1 und 3 des päpstlichen PR-Dekalogs: niemanden ausschließen, persönlichen Kontakt halten. „Burke und García Ovejero hatten letztlich keinen Zugang zu Franziskus“, sagt ein leitender Mitarbeiter des Dikasteriums. „Sie galten als die Letzten, die etwas erfuhren.“ Teilweise sollen selbst externe Journalisten eine Nachricht aus dem Vatikan schneller erfahren haben als Burke. Zwar mussten auch schon Burkes Vorgänger im Sprecheramt mit den Tücken des Organigramms leben. Aber die waren besser im Rest der Kurie vernetzt, hatten nicht zuletzt als Priester andere Netzwerke – und konnten Wissenslücken auf diese Weise wenigstens teilweise ausgleichen.

Hinzu kommt, dass das Amt des Pressesprechers mittlerweile konkurrieren muss mit der neuen Position des Chefs an der Spitze des Dikasteriums. Behördenleiter Ruffini ist Präfekt. In dieser Eigenschaft kann er sich, anders als der Chef der Sala Stampa, leicht direkt mit dem Papst ins Benehmen setzen. Eigentlich soll Ruffini zwar in erster Linie die Dienstaufsicht über den PR-Apparat wahrnehmen, nicht die Fachaufsicht. Als Medienprofi, der er selbst ist, wäre er aber auch in der Lage, inhaltliche Linien mit dem Papst zu entwickeln. Dass Franziskus ihn, Ruffini, als seinen eigentlichen Medienstrategen betrachtet haben könnte, legt schon allein der pikante Umstand nahe, dass bei der jüngsten Bischofssynode für die Jugend (vgl. HK, Dezember 2018, 11‒12) im Oktober 2018 Ruffini die Journalisten der Sala Stampa über den Fortgang der Sitzungen informierte, nicht Burke. Es wird Pressesprecher geben, die sich schon von deutlich geringeren Affronts frustriert gefühlt hätten.

Den Rest mag der spontane Stil des Papstes besorgt haben, der allen noch so umsichtig entworfenen Professionalisierungsversuchen zwangsläufig Grenzen setzt. So sehr Franziskus auch daran arbeitet, den in die Jahre gekommenen Kurienapparat zu modernisieren, so deutlich wird in seiner Amtsführung zugleich, dass er sich für das Schwarzbrot des Behördenalltags, für Workflows, Berichtsketten und Organigramme im Grunde kaum begeistern kann. Das Desinteresse, das er geregelten Abläufen entgegenbringt, äußert sich im Bereich der Medienpolitik durch seine berühmten, anscheinend aus dem Stehgreif formulierten Zitate und Botschaften: Statt irgendwelche Jours Fixes und Brainstorming-Runden abzuhalten, prescht Franziskus immer wieder selbst mit irgendwelchen Forderungen und Mahnungen vor, die Freund und Feind stets aufs Neue überraschen.

Dieser Stil macht eine strategische Pressearbeit äußerst schwierig. So lange Franziskus` Auftritte weltweit auf ungeteilte Gegenliebe stießen, war er auf so etwas auch nicht angewiesen. Nur jetzt, in der Krise, wird sich mancher seiner Berater wünschen, Franziskus würde sich ein bisschen genauer überlegen, wie er das Ruder wieder herumreißen könnte. Voraussetzung dafür wäre, dass er seinen Leuten auch zuhört (vgl. das siebte Gebot der Papst-PR). Doch dazu gibt es bisher offenbar nur selten Gelegenheit: Dem Vernehmen nach hat es noch keine einzige größere Planungssitzung im Kommunikations-Dikasterium dazu gegeben, wie man zum Beispiel den bevorstehenden Missbrauchs-Gipfel im Februar PR-strategisch am cleversten angehen könnte. Einer, der die Vorgänge aus erster Hand kennt, sagt: „Burke und García Ovejero waren irgendwann nicht mehr bereit, für diesen Planungsstand im Februar ihren Kopf hinzuhalten.“

Diese Aufgabe blüht nun also dem Italiener Alessandro Gisotti, dem Mann mit dem Papst-Dekalog. Der 44-Jährige, zweifacher Familienvater, war zuletzt Social-Media-Koordinator im Dikasterium für Kommunikation. Er firmiert ausdrücklich als Sprecher „ad interim“, das heißt, der Umbau der päpstlichen Öffentlichkeitsarbeit ist mit seiner Ernennung noch nicht abgeschlossen. Wer auch immer dieses schwierige Amt am Ende dauerhaft übernimmt, er oder sie wird viel Arbeit vor sich haben, intern wie extern. Vielleicht hinterlässt Alessandro Gisotti ja seinen Dekalog auf dem Schreibtisch des Papstsprechers im Gebäude der Sala Stampa, als kleine Starthilfe. Inklusive Gebot Nummer 5 für eine gute Kommunikation: „die Menschen auf den Weg zur Versöhnung führen“.

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