Noch vor wenigen Jahren erschien es undenkbar, dass ein Papst die Arabische Halbinsel betreten und dort, im Kerngebiet des Islam, öffentlich einer Messe mit Zigtausenden Gläubigen vorstehen könnte. Und dies auf einem Gelände, das von der Regierung unentgeltlich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt wird! In den vergangenen Jahren wurde zwar öfters über die Möglichkeit eines Papstbesuches spekuliert. Auch an Einladungen aus verschiedenen Golfstaaten an den Papst hat es nicht gefehlt. Vielen erschien es aber unwahrscheinlich, dass die unterschiedlichen Erwartungen und politischen Interessen in der Region unter einen Hut gebracht werden könnten. Denn ein Papstbesuch muss immer – auch und gerade in diesem Teil der Welt – das diplomatisch gesehen eher schwierige Gelände in Betracht ziehen. Es war deshalb eine große Überraschung, als am 6. Dezember 2018 der Besuch von Papst Franziskus in Abu Dhabi für den 3. bis 5. Februar 2019 offiziell angekündigt wurde. Zuvor hatten wir unter dem Siegel der Verschwiegenheit weniger als fünf Wochen Zeit, intern bescheidene Vorarbeit zu leisten.
Ich habe in der Ankündigung an unsere Gläubigen den Besuch aus verschiedenen Gründen als historisch eingeordnet. Erstens hat nach unserer Kenntnis bisher noch nie ein Papst diese Region betreten. Zweitens waren – und sind! – auch innerhalb der katholischen Kirche die meisten Leute überzeugt, dass es auf der Arabischen Halbinsel keine Christen und damit für einen Papst auch niemanden zu besuchen gibt. Selbst hochrangige Kirchenleute sind immer noch der Meinung, dass sich dort höchstens ein paar arme Seelen verirrt haben, für die seit rund 170 Jahren einige Kapuziner unter der glühenden Sonne Arabiens die seelsorgliche Betreuung wahrnehmen. Dass es in den sieben Ländern der Arabischen Halbinsel zwei Apostolische Vikariate gibt (ein südliches mit den Vereinigten Arabischen Emiraten VAE, Oman und Jemen und ein nördliches mit Bahrain, Kuwait, Katar und Saudi-Arabien), ist weithin unbekannt. Noch überraschter reagieren viele Leute auf die Information, dass sich in diesem Gebiet mindestens 2,5 Millionen katholische Gläubige aufhalten. Wenn man noch die anderen Kirchen berücksichtigt, beläuft sich die Zahl der hier lebenden Christen auf über 3 Millionen.
Wer die gegenwärtige komplexe Situation in Arabien ein wenig kennt, wird gut verstehen, warum sich Papst Franziskus trotz vorhandener Bedenken für diesen kurzen Besuch entschieden hat. Erstens ist der Papst persönlich interessiert an konstruktiven Beziehungen zur Welt des Islam, weshalb er jede Gelegenheit benützt, die sich ihm für den Brückenbau bietet. Er hat daher die Einladung zur interreligiösen „Global Conference for Human Fraternity“ in Abu Dhabi am 4. Februar 2019 angenommen. Gastgeber der Konferenz sind die Vereinigten Arabischen Emirate unter der Federführung des Kronprinzen, Scheich Mohammed bin Zayed al Nahyan. Bei dieser Gelegenheit wird der Papst aber nicht nur der hiesigen politischen Elite begegnen, sondern auch mit dem Groß-Imam von Al-Azhar Al-Sharif, Ahmed al-Tayyib, ehemals Rektor der Al-Azhar-Universität in Kairo, und dem „Muslimischen Rat der Ältesten“ zusammentreffen. Ahmed al-Tayyib ist Präsident des 2014 gegründeten Muslimischen Rates der Ältesten, der seinen Sitz in Abu Dhabi hat. Die offizielle Einladung des Kronprinzen an den Groß-Imam wurde vom Außenminister der VAE, Scheich Abdullah bin Zayed al Nahyan, am 10. Dezember 2018 in Kairo überreicht, vier Tage nach der Ankündigung des Papstbesuches. Der Generalsekretär des Rates der Ältesten, der Emirati Sultan Faisal Al Rumaithi, reiste mit nach Kairo. Wie viele andere religiöse Führer zur Konferenz kommen, ist mir in diesem Moment noch nicht bekannt.
Nebst der protokollarischen Begegnung samt persönlichem Gespräch mit dem Kronprinzen im Präsidentenpalast stehen der Besuch in der Scheich-Zayed-Moschee (einer der größten in der Welt) sowie beim Gründer-Monument der VAE auf dem Programm, wo der Papst eine Ansprache halten wird. Es wird auch über die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung gesprochen. Über deren möglichen Inhalt ist bis jetzt allerdings wenig bis nichts bekannt. Wie nachhaltig sich der Besuch auf das Verhältnis mit den Muslimen auswirkt, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Meiner Meinung nach bedarf es zusätzlich konkreter Schritte, um die Symbolik in gelebte Realität umzusetzen.
Die Gläubigen wissen, was es bedeutet, Arbeitsmigrant zu sein
Der eigentliche Anlass des Papstbesuches ist die genannte interreligiöse Konferenz. Es versteht sich jedoch von selbst, dass der Papst diese Gelegenheit benützt, auch möglichst vielen Gläubigen zu begegnen. Die Regierung von Abu Dhabi hat sich von Anfang an sehr positiv zum Besuch geäußert und ihre logistische Unterstützung für die öffentliche Messfeier zugesagt. Sie stellt dafür das größte Stadion in Abu Dhabi mit Umfeld zur Verfügung. Dort erwarten wir für die Eucharistiefeier mit dem Papst mindestens 130 000 Gläubige. Und das sind weit weniger, als tatsächlich zur Feier kommen möchten. Darum wird der Gottesdienst via Live-Stream in alle Kirchen des Vikariates übertragen, um möglichst vielen wenigstens auf diesem Weg die Teilnahme zu ermöglichen.
Alle unsere Gläubigen sind Ausländer. Sie wissen, was es heißt, Arbeitsmigrant zu sein. Auch wenn ihre Lebensbedingungen im Vergleich zu ihrer Heimat relativ gut sind, so gibt es doch hinter den Fassaden des Wohlstands viel Unsicherheit und Not. Für diese Menschen ist der Besuch des Papstes eine Ermutigung. Ihnen bedeutet die Zugehörigkeit zur Kirche mit der Möglichkeit, ihren Glauben praktizieren zu dürfen, außerordentlich viel. Ich will hier keine Erzählung aus Tausendundeiner Nacht bieten, auch wenn der Besuch des Papstes etwas von deren Glanz hat. Aber jene, die rund um den Globus den Besuch medial verfolgen, werden mit Erstaunen feststellen, dass es in dieser Ecke der Welt nicht nur den legendären Reichtum der Scheichs mit ihren extravaganten Projekten gibt, sondern auch eine äußerst lebendige Migrantenkirche. Sie setzt sich zusammen aus einem Teil jener Arbeitskräfte, die geholfen haben und immer noch helfen, die Region aus dem Beduinen-Zeitalter in die elektronische Moderne zu hieven.
Die Kirche erfreut sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten einer erstaunlichen Toleranz seitens der lokalen Behörden und der einheimischen Bevölkerung. Ich selbst erfahre in diesen Wochen der Vorbereitung die rückhaltlose Unterstützung der Behörden, denen es ein Anliegen ist, den Besuch des Papstes zu einem Fest zu machen, an dem sich alle – Christen und Muslime – freuen dürfen. Die VAE sind fraglos stolz darauf, die Ersten zu sein, die in diesem Teil der Welt den Papst in Person empfangen dürfen und so auch ein öffentliches Zeichen ihrer Offenheit und Toleranz setzen können. Für uns als Migrantenkirche ist der Besuch des Papstes eine Anerkennung unserer Existenz als lebendiger Kirche in schwierigem Umfeld. Ein Signal der Ermutigung.
Die Migrantenkirche am Arabischen Golf benützt Englisch als lingua franca, ist aber in Tat und Wahrheit vielsprachig. Wir haben Gläubige aus weit mehr als 100 Ländern, vorwiegend aus dem asiatischen Raum (Philippinen, Südindien). Die große Mehrheit gehört dem lateinischen Ritus an. Eine nicht zu unterschätzende Zahl stammt aus den verschiedenen katholischen Ostkirchen (Syro-Malabaren, Syro-Malankaren, Maroniten, Melkiten usw.). Aufgrund einer speziellen päpstlichen Verordnung unterstehen hier alle Gläubigen demselben Bischof, der auch für die pastorale Betreuung der Orientalen Sorge tragen muss. Die einheitliche Jurisdiktion ist wichtig, um mit einer einzigen Stimme mit den Regierungen sprechen zu können. Darüber hinaus ist es gerade im konfliktgeladenen Mittleren Osten bedeutsam, dass wir als eine geeinte Vielfalt erscheinen und die ethnischen und rituellen Gruppen-Egoismen möglichst vermeiden.
Als Migrantenkirche sammeln wir Erfahrungen, wie sie auch in anderen Teilen der Welt gemacht werden. Selbstverständlich geht dies nicht ohne Traditionsbrüche für die einzelnen Gläubigen ab. Andererseits bekommt die Kirche in diesem Umfeld eine neue Bedeutung als Heimat und Ort der Identifizierung mit der ganzen Glaubensgemeinschaft. Die Kirche wird so zu einem Ort, wo die Zugehörigkeit zu einem neuen Volk eingeübt und erfahren wird, ohne dass ethnische und andere Identitäten geleugnet werden müssten. Selbstverständlich ist dies ein Prozess, der nicht ohne Spannungen abläuft, aber letztlich doch dazu führt, dass wir eine neue Familie bilden, die sich primär von der Zugehörigkeit zu Christus her definiert und nicht von den Banden der Sprache, der Ethnien oder der Kirchentradition. In dieser Situation ist der Bischof als Einheitsstifter gefordert.
Der Besuch von Papst Franziskus steht unter den Worten eines Gebetes, das franziskanischen Geist atmet: „Mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“. Wir feiern 2019 den 800. Jahrestag der Begegnung zwischen dem heiligen Franziskus von Assisi und dem Sultan Malik-al-Kamil in Ägypten. Ich sehe im Besuch des Papstes so etwas wie eine Weiterführung jener Begegnung, die im Jahr 1219 mitten in einem Krieg zwischen Muslimen und Christen stattfand. Der heilige Franziskus überwand wehr- und gewaltlos die Fronten gegen die Warnungen der Politiker und der Kirchenmänner der damaligen Zeit. Es kam so zu einem persönlichen Gespräch, wie es an der kriegerischen Front unmöglich gewesen wäre. Friedensstifter bewegen sich auf einem gefährlichen Feld. Es gibt keine Erfolgsgarantie. Wer aber das Risiko scheut, verpasst auch die Chance der Begegnung. Papst Franziskus ist willens, dieses Risiko einzugehen.