Was die Kirche im Kampf gegen die globale Überbevölkerung tun mussUnd vermehret euch nicht

Die globale Bevölkerung wächst so schnell, dass unsere Welt auf eine Katastrophe zusteuert, wenn wir nicht handeln. Hier ist auch das kirchliche Lehramt gefragt: Es muss endlich seine strikte Ablehnung einer staatlichen Bevölkerungspolitik überwinden.

Was die Kirche im Kampf gegen die globale Überbevölkerung tun muss
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Mit „Laudato si’“ (2015) ist erst rund 50 Jahre nach dem Aufkommen der weltweiten Umweltdiskussion ein Dokument der kirchlichen Sozialverkündigung zur Ökologie erschienen. Dieser späte Zeitpunkt dürfte unter anderem folgenden Grund haben: Manche im kirchlichen Raum werden geahnt haben, dass man sich nicht ernsthaft mit ökologischen Fragen auseinandersetzen kann, wenn man nicht das schnelle Wachstum der Weltbevölkerung in Rechnung stellt.

Als endlich die notwendige Stellungnahme zu den ökologischen Herausforderungen erschien, blieben die Aussagen von Papst Franziskus zur Bevölkerungsproblematik aber enttäuschend: „Anstatt die Probleme der Armen zu lösen und an eine andere Welt zu denken, haben einige nichts anderes vorzuschlagen als eine Reduzierung der Geburtenrate.“ Es fehle nicht „an internationalem Druck auf die Entwicklungsländer, indem wirtschaftliche Hilfen von gewissen politischen Entscheidungen zugunsten der ,Fortpflanzungsgesundheit‘ abhängig gemacht“ würden.

Doch wenn es zutreffe, dass die ungleiche Verteilung der Bevölkerung und der verfügbaren Ressourcen die Entwicklung und den vertretbaren Umgang mit der Umwelt behinderten, müsse auch anerkannt werden, dass eine wachsende Bevölkerung mit einer umfassenden und solidarischen Entwicklung voll und ganz zu vereinbaren sei. „Die Schuld dem Bevölkerungszuwachs und nicht dem extremen und selektiven Konsumverhalten einiger anzulasten, ist eine Art, sich den Problemen nicht zu stellen“, schrieb der Papst. „Es ist der Versuch, auf diese Weise das gegenwärtige Modell der Verteilung zu legitimieren, in dem eine Minderheit sich für berechtigt hält, in einem Verhältnis zu konsumieren, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, denn der Planet wäre nicht einmal imstande, die Abfälle eines solchen Konsums zu fassen.“

Nur Paul VI. räumte das Problem des Bevölkerungswachstums ein

Damit liegt Franziskus auf der Linie seiner Vorgänger, die wie Johannes XXIII., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ein Problem des Wachstums der Weltbevölkerung geleugnet haben. Lediglich Paul VI. räumte in „Populorum Progressio“ (1967) ein Problem ein, ohne aber konkrete Vorschläge zur Abhilfe zu präsentieren: „Es ist richtig, dass zu oft ein schnelles Anwachsen der Bevölkerung für das Entwicklungsproblem eine zusätzliche Schwierigkeit bedeutet; die Bevölkerung wächst schneller als die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel, und man gerät sichtlich in einen Engpass.“ Dann sei die Versuchung groß, das Anwachsen der Bevölkerung durch radikale Maßnahmen aufzuhalten, so Paul VI. „Der Staat hat zweifellos innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit das Recht, hier einzugreifen, eine zweckmäßige Aufklärung durchzuführen und geeignete Maßnahmen zu treffen, vorausgesetzt, dass diese in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz sind und die berechtigte Freiheit der Eheleute nicht antasten“ (Nr. 37). Die europäischen Staaten werden hingegen von den Päpsten wegen ihrer geringen Geburtenzahlen kritisiert, obwohl eine langsame Schrumpfung der Bevölkerung ökologisch vorteilhaft ist.

Zwar hatten die Wachstumsraten der Weltbevölkerung zwischen 1960 und 1970 die höchsten Prozentsätze erreicht, aber trotz einer geringen Abschwächung der Wachstumsrate beträgt der Bevölkerungszuwachs nach wie vor mehr als 80 Millionen Menschen pro Jahr, so dass aktuell alle zwölf Jahre eine weitere Milliarde Menschen hinzukommt. Eine wachsende Bevölkerung ist an sich ein Wohlfahrtsindikator, weil diese ja ernährt und mit vielfältigen Gütern versorgt wird. Lebten um 1800 fast 90 Prozent der damals nur 1 Milliarde starken Weltbevölkerung in absoluter Armut, beträgt gegenwärtig der Anteil lediglich noch 12 Prozent bei 7,7 Milliarden Menschen (Ende 2018).

Längere Lebenserwartung, sinkende Kindersterblichkeit und so weiter haben weltweit einen beispiellosen Anstieg der Bevölkerungszahl möglich gemacht. Dabei sind in der Gegenwart nicht mehr unzureichende Produktionsmöglichkeiten Ursache für absolute Armut und Hunger: 70 Prozent der absolut Armen leben in Ländern, die selber bei einer gerechteren Verteilung für die Überwindung der Armut sorgen könnten. Die anderen leben vor allem in Ländern mit Kriegen und Bürgerkriegen (Jemen, Südsudan, Somalia), in denen nicht die ökonomischen Möglichkeiten, sondern bewaffnete Konflikte Menschen an der Selbsthilfe hindern.

Mehr Menschen, die ihre materiellen Lebensbedingungen verbessern konnten, greifen auf immer mehr natürliche Ressourcen zu. Es gibt in kaum einem Erdteil noch Landflächen, die noch zusätzlich zu Ernährungszwecken herangezogen werden können. Im Gegenteil: Ausdehnung von Städten, Verkehrs- und Gewerbeflächen, Tageabbau von Mineralien, Steinen und Erden, Bodenerosion durch Klimawandel wie falsche Bewirtschaftung reduzieren die verfügbare Ackerfläche pro Kopf und überbeanspruchen vielfach Wasservorräte. Bei einer wachsenden Weltbevölkerung verschärfen sich diese Konflikte.

Dabei erstaunt es, dass die jüngsten Bevölkerungsprojektionen der UN, die von einer weiterwachsenden Weltbevölkerung ausgehen und ihre früheren Schätzungen für 2050 und 2100 erhöhen mussten, wenig öffentliche, schon gar keine kirchliche, Aufmerksamkeit erhielten. Von 7,7 Milliarden Menschen (2018) könnte die Zahl 2050 auf 9,77 Milliarden und 2100 auf 11,18 Milliarden steigen, wobei schon eine deutliche Reduzierung der Geburtenraten eingerechnet ist. Bei konstanten Geburtenraten würde sich die Weltbevölkerung auf 11 Milliarden 2050 und 26 Milliarden 2100 belaufen.

Eine schnell wachsende Bevölkerung stellt in ökologischer Hinsicht und bezüglich der Ernährung ein Problem dar. Sie ist besonders für Entwicklungsländer eine kaum bewältigbare Herausforderung, die zum Teil Wachstumsraten von fast 4 Prozent erreichen, mit einer Bevölkerungsverdoppelung alle 20 Jahre. Theoretisch würde eine Bevölkerung von 1 Million in 150 Jahren bei der Wachstumsrate von 4 Prozent auf 256 Millionen steigen. Für das weltweit am schnellsten wachsende Niger geht man tatsächlich davon aus, dass die Bevölkerung bis zum Jahr 2100 auf 200 Millionen steigen wird. Gegenüber den 2,4 Millionen aus dem Jahr 1950 ist das ein Wachstum um das 82-Fache.

Konkurrenz belebt das Bevölkerungswachstum

Dass es ein hohes Wachstum der Bevölkerung in vielen Ländern gibt, hat nicht nur mit dem klassischen Argument zu tun, dass Menschen Kinder haben wollen, die sich um sie im Alter kümmern sollen. Vielmehr gibt es Regierungen, die Sexualaufklärung und den Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln unterbinden. Dafür gibt es Gründe des nationalen Prestiges beziehungsweise der Rivalität mit Nachbarländern. Es gibt innerhalb von Staaten eine Konkurrenz religiöser Gruppen (zum Beispiel in Nordirland zwischen Protestanten und Katholiken) oder zwischen Christen und Muslimen. Weiterhin herrscht in manchen Ländern eine „Macho-Kultur“ vor, in der eine möglichst hohe Kinderzahl zum Prestige von Männern gehört. Im katholischen Kontext will man besonders aus kinderreichen (und armen) Familien Nachwuchs für Priester- und Ordensberufe gewinnen.

In der Diskussion um den Klimawandel wird darauf hingewiesen, dass die Menschen in westlichen Industrieländern pro Kopf ein Vielfaches an natürlichen Ressourcen verbrauchen und Schadstoffen (CO2) ausstoßen als Menschen in armen Gesellschaften. Wenn man von einem Schadstoffausstoß von 10 Tonnen pro Kopf in einem Industrieland ausgeht, in einem (afrikanischen) Entwicklungsland dagegen von 0,5 Tonnen, ergibt sich, wenn man ein Ehepaar und seine Nachkommen betrachtet, in der ersten Generation zunächst ein Verbrauch im Industrieland, der das 20-Fache von demjenigen im Entwicklungsland beträgt. In der vierten Generation aber hätte sich im Industrieland bei den gegenwärtigen Geburtenraten (mit rechnerisch nur noch weniger als einem Urenkel, 0,8) die Stärke der ersten Generation (die ja aus zwei Eltern bestand) mehr als halbiert, so dass der CO2-Ausstoß sich selbst bei Konstanz des Verbrauchs um mehr als 50 Prozent gemindert hätte, von 20 auf 8 Tonnen. In dem Entwicklungsland bestünde die 4. Generation dagegen bei einer Geburtenrate von 8 Kindern pro Frau aus 128 Personen. Nimmt man dann noch wegen eines Wohlstandsanstiegs eine Verdoppelung des CO2-Verbrauchs auf 1 Tonne pro Kopf an, wächst die Umweltbelastung von Elterngeneration zur 4. Generation von 1 Tonne auf 128 Tonnen.

Die heutige Zeit wird als „Anthropozän“ bezeichnet, weil erstmals in der Menschheitsgeschichte die Menschen durch ihre bloße Anzahl die natürliche Umwelt großflächig umgestalten und umwandeln. Der Populationsforscher Gerhard K. Heilig (siehe Literaturhinweise) schreibt: „Wir müssen davon ausgehen, dass Asien, und später Afrika, ihren Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen durch Industrialisierung und Modernisierung weiter erhöhen werden. Kombiniert mit ihrem enormen Bevölkerungszuwachs ergibt sich eine ,Hebelwirkung‘, die alles weit übertreffen könnte, was während der Industrialisierung Europas und Nordamerikas in die Atmosphäre abgegeben wurde.“

Begrenzung des Wachstums als Aufgabe für das Gemeinwohl

Ein hohes Bevölkerungswachstum steht im Konflikt mit der Generationengerechtigkeit, weil es die Lebenschancen der jungen Generation – hinreichende natürliche Lebensgrundlagen vorzufinden, ernährt werden zu können, gute Schulen lange besuchen zu können, medizinisch qualifiziert versorgt zu werden, einen Arbeitsplatz erhalten zu können, eine eigene Wohnung bekommen zu können – gefährdet. Länder in Asien, die eine erfolgreiche ökonomische und soziale Entwicklung aufweisen, haben immer auch mit der Verbesserung von Bildung, Gesundheit und Wirtschaft Familienplanungsprogramme durchgeführt. Die Geburtenrate in einem Land möglichst so weit zu begrenzen, dass dies erleichtert wird, muss als ein legitimes Gemeinwohlziel angesehen werden.

Es ist anzustreben, dass Menschen ein so erfülltes Leben führen können, dass sie weitgehend ihre biologischen Lebensmöglichkeiten ausschöpfen können. Da in manchen afrikanischen Staaten die statistische Lebenserwartung 20 und mehr Jahre hinter Industrieländern zurückliegt, ist dort eine Verbesserung der Lebensqualität dringend geboten. Nationalismus und nationales Prestige oder machtpolitische Rivalitäten mit Nachbarländern sind kein Grund, eine pronatale Politik zu verfolgen. Dies gilt erst recht, wenn menschenwürdige Lebensbedingungen der eigenen Staatsbürger gefährdet wären. Außenpolitischen Sicherheitsinteressen kann mit anderen Instrumenten als der potenziellen Zahl der Soldaten (zum Beispiel Bündnispartner, internationale Sicherheitsgarantien) Rechnung getragen werden. Im Sinne der Gleichberechtigung von Mann und Frau muss eine Regierung einer „Macho-Kultur“ entgegenwirken. In Niger und dem Tschad wünschen sich Männer als Ideal 13 Kinder. Religionsdialoge, Machtteilungen, politische Kompromisse können Rivalitäten ethnischer beziehungsweise religiöser Gruppen mindern.

Angesichts begrenzter natürlicher Ressourcen und dem ethischen Postulat nach Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen ist in Ländern mit einer wachsenden Bevölkerung eine Politik zur Minderung der Geburtenzahlen dringend geboten. Entsprechende Instrumente sind freilich nur zulässig, wenn sie mit Menschenrechten vereinbar sind. Daher sind Zwangsabtreibungen, wie sie lange in China praktiziert wurden, ebenso wie Zwangssterilisationen, wie es sie etwa in Indien oder Peru gab, auszuschließen.

Welche Instrumente können zur Geburtenkontrolle beitragen? Für die eigene Alterssicherung benötigt man keine Kinder, wenn es einen Rechtsstaat gibt, in dem Eigentumsrechte wirksam geschützt werden und in dem es einen stabilen Geldwert gibt, so dass Ersparnisse vor Geldentwertung geschützt sind. Ein Rechtsstaat und ein stabiler Geldwert fördern auch die ökonomische Entwicklung. Weiterhin kann ein staatliches Alterssicherungssystem zur Begrenzung der Kinderzahl beitragen.

Ein weiteres Instrument ist eine Gleichberechtigungspolitik für Frauen. Dazu gehört eine Schulpflicht auch für Mädchen, die tatsächlich durchgesetzt wird und die auch in der Pubertät den Schulbesuch, z. B. durch abgetrennte Toiletten, ermöglicht. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen (z. B. im Erbrecht) und ein Heiratsalter von mindestens 18 Jahren können weiterhin Frühehen zurückschrauben und die Kinderzahl senken. Weitere Instrumente sind eine umfassende Sexualaufklärung und der leichtere Zugang zu (kostenlosen) Verhütungsmitteln. Weltweit sind mindestens 25 Prozent der Schwangerschaften ungewollt, so dass durch einen Zugang sicherer Verhütungsmittel bereits ein erheblicher Geburtenrückgang erreicht werden könnte. Werbung der Regierung für geringere Kinderzahlen bei einem gleichzeitigen Ausbau des Gesundheitswesens kann ebenfalls hilfreich sein. Der Iran mit einer Geburtenrate von lediglich 1,7 Kindern pro Frau zeigt, dass auch in islamisch geprägten Gesellschaften eine Geburtenbeschränkung möglich ist, wenn Frauen einen hohen Bildungsstand erlangen.

Bevölkerungspolitik zur Privilegiensicherung des Westens?

Gegen den Ruf nach einer Bevölkerungspolitik, zumal aus einem Industrieland, wendet nicht nur Papst Franziskus ein, dass reiche Länder, aber auch Reiche in Schwellen- und Entwicklungsländern ihren Wohlstand verteidigen wollten. Sie seien weder dazu bereit, ihre Konsummuster im Hinblick auf die ökologischen Herausforderungen einzuschränken, noch dazu, mit ärmeren Menschen wirksam zu teilen. Weiterhin beruhe der Wohlstand westlicher Industrienationen auf Kolonialismus und ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen. In ökologischer Hinsicht wird außerdem darauf verwiesen, dass der vollständige Zugriff auf natürliche Ressourcen durch Konsumenten in Industrieländern gar nicht ganz erfasst werde, weil diese Länder ökologische Ressourcen importieren würden, die fälschlicherweise den Produzentenländern, nicht aber ihnen angelastet werden. Energieintensive Güter werden in Schwellenländern (China) für die Märkte westlicher Industrieländer produziert. Durch Müllexporte erfolgt eine weitere Verlagerung ökologischer Belastungen ins Ausland.

Dass in Industrieländern eine ökologische Umgestaltung mit einer erheblichen Reduzierung des materiellen Konsums notwendig ist, ist unbestritten. Die Relation der derzeit für 2100 zu erwartenden Anzahl der Menschen in heutigen Industrieländern sowie in gegenwärtigen Schwellen- und Entwicklungsländern zeigt aber, dass ohne bevölkerungspolitische Maßnahmen das Ökosystem der Erde überlastet sein wird.

Die schnelle und welthistorisch einmalige Bevölkerungszunahme in Entwicklungsländern beruht durchaus auf der Solidarität und dem Teilen westlicher Industrienationen. Wenn es nicht seit den Fünfzigerjahren internationale Impfkampagnen, Verbreitung von hygienischen Kenntnissen, Export von Medikamenten, Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft, Nahrungsmittelhilfe etc. gegeben hätte, wären die Senkung der Kindersterblichkeit und die Steigerung der Lebenserwartung in Entwicklungsländern gar nicht möglich gewesen. In den alten Industrienationen war auf einem vergleichbaren Niveau der ökonomischen Entwicklung die Sterblichkeit bedeutend höher, so dass in Ländern wie Deutschland im 19. Jahrhundert das Bevölkerungswachstum max. 1,3 Prozent im Jahr betrug. Da heutige Entwicklungsländer eine ökonomische Entwicklung nicht selbst suchen oder erst erfinden müssen, können sie auch höhere Wachstumsraten erzielen, als es sie jemals zu anderen Zeiten der Wirtschaftsgeschichte der Industrieländer gegeben hat. China hat in den letzten 40 Jahren einen solchen beispiellosen Prozess nachholender Entwicklung vollzogen.

Im weltweiten Maßstab wird künftig die Alternative lauten: mehr Menschen und weniger Lebensqualität oder weniger Menschen mit höherer Lebensqualität. Nach der christlichen Tradition des „Wachsens und Mehrens“ und des „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh der ewigen Heimat zu“ könnten mehr Menschen und eine geringere Lebensqualität vorzuziehen sein. Mehr Lebensqualität bedeutet allerdings, dass weniger Menschen vorzeitig an behandelbaren Krankheiten sterben müssen, sondern bei relativ hoher Gesundheit alt werden können. Daher kann auch aus christlicher Sicht einer geringeren Zahl von Menschen bei höherer Lebensqualität zugestimmt werden, so dass Katholiken nicht mehr die „größtmögliche Kinderzahl“ anstreben dürfen, wie sie der französische Jesuit Stanislas de Lestapis postulierte, der zu den wichtigsten Beratern Pauls VI. für „Humanae Vitae“ zählte.

Konsequenzen für die katholische Kirche

Als im Buch Genesis formuliert wurde: „Seid fruchtbar und vermehret euch“ (Gen 1,28), gab es auf der gesamten Erde lediglich zwischen 50 und 100 Millionen Menschen, also etwa eine Größenordnung, die gegenwärtig jährlich hinzukommt.

Das Lehramt der katholischen Kirche stand einer aktiven Bevölkerungspolitik von Staaten immer ablehnend gegenüber, nicht nur, weil Staaten dabei mitunter unmoralische Mittel eingesetzt haben, sondern auch, weil es künstliche empfängnisverhütende Mittel generell ablehnt. Damit ignoriert die Kirche aber wesentliche Erkenntnisse von Bevölkerungswissenschaft und Entwicklungstheorie, obwohl ansonsten der Dialog mit Wissenschaften postuliert wird. Dies trifft auch auf die Nichtrezeption von Erkenntnissen der Humanwissenschaften zur menschlichen Sexualität zu.

Diese Haltung ist zu revidieren, weil sonst der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung wie für ein menschenwürdiges Leben auf Erden unglaubwürdig ist. Die Kirche sollte es begrüßen, wenn Staaten durch Aufklärung und Bereitstellung von künstlichen empfängnisverhütenden Mitteln unerwünschte Schwangerschaften und die damit verbundenen Gesundheitsgefahren reduzieren könnten. Dies reduziert auch die Zahl von Abtreibungen, unabhängig davon, ob die Rechtsordnung eines Landes sie straffrei stellt oder verbietet.

Dabei könnten sich kirchliche Einrichtungen (etwa Schulen, Gesundheitsstationen) bei Sexualaufklärung und Ermöglichung des Zugangs zu entsprechenden Mitteln wie der Antibabypille, Kondomen und so weiter aktiv beteiligen. Es ist verfehlt, wenn Orden, kirchliche Hilfsorganisationen und andere, welche die Probleme der Menschen (zum Beispiel auch von HIV-Infizierten) unmittelbar kennen, weiterhin innerkirchlich diffamiert und angegriffen werden, wenn sie vor Ort das Notwendige in richtiger Weise moralisch reflektiert leisten.

Sexualkundeunterricht wird häufig im kirchlichen Raum abgelehnt, auch um eine Frühsexualisierung von Kindern und Jugendlichen zu vermeiden. In wenigen Jahren wird fast jeder Jugendliche auf der Welt über ein Smartphone oder ein ähnliches Gerät verfügen. Bereits 2,6 Milliarden Menschen sind allein bei Facebook aktiv. Ein Austausch durch zweifelhafte „Aufklärung“, die Verbreitung von Sexualdarstellungen im Netz und Möglichkeiten der Verabredung zwischen Jugendlichen werden sich nicht vermeiden lassen. Eine große Chance, Jugendliche zu einem verantwortlichen Sexualverhalten zu veranlassen, besteht darin, auch im kirchlichen Raum das Thema „Sexualität“ in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufzugreifen. Damit könnte die Kirche auch einen Beitrag dazu leisten, dass ungewollte Schwangerschaften mit der Folge von Abtreibungen reduziert werden.

Die Kirche sollte sich zudem aktiv für die Gleichberechtigung von Frauen in Wirtschaft, Haushalt und Gesellschaft einsetzen. Das bisher prioritär auf die Rolle als Mutter und im Haushalt gerichtete Frauenbild ist zu überwinden. Ebenso ist die „Macho-Kultur“, die teilweise auch in katholischen Ländern wie Lateinamerika Verbreitung gefunden hat, zu bekämpfen.

Bevölkerungswachstum sollte auch nicht unter der Hand als ein Instrument erscheinen, um Rivalitäten mit anderen Konfessionen oder Religionsgemeinschaften auszutragen. Andere Zugangswege zu kirchlichen Ämtern würden ebenso das Bestreben nach hohen Kinderzahlen hinfällig machen.

Zu einer Neuorientierung gehört auch eine Änderung des Kirchenrechts, das eine kirchliche Eheschließung mit 14 für Frauen und 16 für junge Männer ermöglicht. Dieses Alter sollte nicht nur wie auf der Missbrauchskonferenz im Februar 2019 angekündigt auf 16 Jahre, sondern auf das normale Volljährigkeitsalter von 18 Jahren hochgesetzt werden.

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