Wo steht der Dialog zwischen christlichen und muslimischen Theologen?Zwischenziel erreicht

Zum zehnten Mal hat sich jüngst das „Theologische Forum Christentum – Islam“ zu seiner Jahrestagung in Stuttgart getroffen. Zum Jubiläum hat man Bilanz gezogen, wie sich die muslimische Theologie in Deutschland, aber auch der viel beschworene Dialog auf Augenhöhe im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben und welche Früchte daraus hervorgegangen sind. Im Mittelpunkt der Diskussionen der diesjährigen Tagung stand das jeweilige Theologieverständnis.

Zum islamischen Gebetsraum hier links, zur Kapelle nach hinten durch. Solche Ortsangaben sind in einer Katholischen Akademie nicht selbstverständlich. Bereits zum zehnten Mal fand Anfang März die Jahrestagung des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ statt, das an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angesiedelt ist. Als man sich vor einem Jahrzehnt zwei Mal nur unter evangelischen und katholischen Theologen traf, um über das mit dem 11. September 2001 auch in Deutschland drängender gewordene Thema Islam zu sprechen, stellte sich schnell ein Konsens ein, dass es zielführender sei, nicht nur über, sondern mit Muslimen zu reden. 

Von Beginn an war es deshalb beim daraufhin gegründeten „Theologischen Forum Christentum – Islam“ das Ziel, neben der größeren Zahl bereits etablierter Dialoginitiativen eine dezidiert akademische Plattform zu schaffen, um über in Islam und Christentum zentrale theologische Themen ins Gespräch zu kommen. 

Die bei solchen Dialogveranstaltungen gerne beschworene Augenhöhe ist erst im Laufe der Zeit hinzugekommen. Immerhin konnte man den Anteil der muslimischen Teilnehmer sukzessive auf bis mehr als 40 Prozent erhöhen. Sowohl beim Vorbereitungskreis rund um die Initiatoren Jutta Sperber (jetzt Münster), Andreas Renz (München) und vor allem Hansjörg Schmid, Studienleiter für Interreligiösen Dialog an der Akademie, wie bei den Referenten der Tagungen wurde von vorneherein auf weitgehende Parität geachtet – wobei auf christlicher Seite wiederum jeweils Katholiken wie Protestanten beteiligt sind. 

Die Etablierung der Zentren schreitet weiterhin mit hohem Tempo voran

Dass die Zahl der auch theologisch sprachgewandten Muslime stark angewachsen ist, gehört zu den mannigfaltigen Wechselwirkungen, die das auch international ausstrahlende „Theologische Forum“ kennzeichnen. Früh schon haben die Verantwortlichen des Forums, das vom Bund gefördert wird, die Institutionalisierung islamischer Theologie in Deutschland nicht nur wohlwollend begleitet. Immerhin hat der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Anschluss an seinen Festvortrag zu Beginn der Jahrestagung vor fünf Jahren in Stuttgart zum ersten Mal öffentlich davon gesprochen, dass es auch in Deutschland bald zumindest eine Fakultät für Islamische Theologie geben müsse. 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat dann relativ rasch die Vorgaben des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2010 aufgegriffen, sodass es zwischenzeitlich an den Universitäten in Münster und Osnabrück, Frankfurt (mit Gießen), Erlangen-Nürnberg und Tübingen vier Zentren für Islamische Studien gibt, deren Entwicklung rasant verläuft (vgl. HK, April 2011, 196 ff.). Das Bemerkenswerte mit Blick auf das „Theologische Forum“: Nicht wenige der muslimischen Protagonisten kennen einander, weil sie sich in Stuttgart das erste Mal begegnet sind. 

Zu den Aktivitäten des Forums gehören neben einer eigenen Studienwoche für jeweils 15 Theologiestudierende, Doktoranden und andere Nachwuchswissenschaftler (ab 2007) seit geraumer Zeit auch Mediengespräche, bei denen jeweils über den Stand des Ausbaus der Islamischen Theologie in Deutschland – einschließlich aller damit zusammenhängenden Fragen (etwa: Anerkennung von Muslimen als Religionsgemeinschaft, Islamischer Religionsunterricht, Imamausbildung) berichtet und diskutiert wird. 

Dort war jetzt zu erfahren, wie die Etablierung der Zentren weiter mit hohem Tempo voranschreitet. Im kommenden Jahr werden die ersten Absolventen ihr Bachelor-Studium abschließen, sodass an mehreren Instituten derzeit intensiv am Programm für Masterstudiengänge gearbeitet wird. Die Zahl der Studierenden steigt auch deshalb weiter an. Während Erlangen mit zuletzt rund 150 und Tübingen mit etwa 100 Studierenden, davon 26 Lehramtskandidaten im ersten Studienjahr, weiterhin relativ überschaubare Einrichtungen sind, rechnet man in Frankfurt damit, dass die derzeit rund 500 Studierenden sich mit dem Beginn des Lehramtsstudienganges im Herbst verdoppeln werden. Osnabrück zählt bereits rund 240 Studierende und in Münster hatte man zum vergangenen Wintersemester 1200 Bewerber, von denen nur 250 zugelassen werden konnten; ein zweiter Arabisch-Lektor musste eingestellt werden. Auch hier hat sich die Hälfte der Studierenden, deren Gesamtzahl jetzt bei 450 liegt, für einen Lehramtsstudiengang eingeschrieben.

Von strategischer Bedeutung sind die zahlreichen Postdoc-Gruppen (in Osnabrück allein zwei), weil immer noch eine größere Zahl an geplanten Lehrstühlen mit einem – unbefristet eingestellten – Inhaber zu versehen sind. Während an der Universität Erlangen-Nürnberg drei von vier Stellen bereits besetzt sind (zuletzt kam der systematische Theologe Reza Hajatpour dazu), fehlen in Frankfurt noch drei von sieben Professoren. In Tübingen sind zwei Professuren und zwei Juniorprofessuren besetzt, geplant sind sechs Lehrstühle. In Osnabrück, mit mehr als 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das größte islamtheologische Institut Deutschlands, will man die letzten drei von sieben Professuren im kommenden Wintersemester besetzen. 

Es stellt sich zunehmend drängender die Kopftuchfrage

Gleich zwei der drei (von später fünf) Stellen für Professoren sind in Münster bisher nur provisorisch vergeben. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich der Beirat, der als Hilfskonstruktion – wegen der nicht mit den Kirchen vergleichbaren Institutionalisierung des Islam – die Interessen der Religionsgemeinschaft gegenüber der Universität und dem Staat wahren soll, bisher noch nicht konstituieren konnte (vgl. HK, Februar 2014, 62 ff.). Die Beiräte an den anderen Standorten, jeweils anders konstruiert, sollen dem Vernehmen nach besser, wenn auch nicht problemlos funktionieren. 

In Hessen hat sich die Situation insofern inzwischen gewandelt, als das Bundesland mit den Ahmadiyya Muslim Jamaat und dem Landesverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) zwei islamische Religionsgemeinschaften anerkannt hat, mit denen jetzt auch die Belange der religionspädagogischen Professuren geregelt werden, wie Bekim Agai, seit kurzem Professor für Kultur und Gesellschaft des Islam in Geschichte und Gegenwart, berichtete. Mit unterschiedlichen Akzentuierungen haben sowohl Bekir Alboga, der derzeitige Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland (KRM), als auch Gabriel Goltz, Referent im Bundesinnenministerium, in Stuttgart bei einem Festakt zum 10-jährigen Bestehen des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ darauf hingewiesen, dass die Bedenken angesichts des Provisoriums Beirat, das als solches akzeptiert ist, nicht ausgeräumt sind.

Zu den größten Problemen an allen Standorten gehört die Tatsache, dass die Mehrheit der Studierenden Frauen sind (in Erlangen zählt man einen männlichen Studenten im Bachelor-Studiengang). Obwohl die Studentinnen im Schnitt motivierter sein sollen, sind ihre Berufschancen weiterhin gering. Bei der Ausgestaltung der Vorbereitung auf eine Tätigkeit in den Moscheegemeinden, für die Frauen ohnehin nur in einigen zum Zug kommen können (und dann nur für die Seelsorge an Frauen), ist man zuletzt – auch wegen der weiterhin offenen Frage einer angemessenen Bezahlung – nicht weitergekommen. 

Mit Blick auf den Öffentlichen Dienst als mit Abstand größten potenziellen Arbeitgeber stellt sich dagegen zunehmend drängender wieder die Kopftuchfrage für Lehrerinnen, wie sie bei den Verhandlungen zu einem Staatsvertrag in Niedersachsen derzeit auch heftig diskutiert wird. Von den 70 Prozent Frauen unter den Studierenden in Frankfurt sind rund 90 Prozent Kopftuchträgerinnen, so Mark Chalîl Bodenstein, Professor für Islamische Religion (Frankfurter Rundschau, 8.4.2014). So vielfältig sich die Szene muslimischer Theologen und Theologinnen zwischenzeitlich darstellt: Sie waren sich alle darin einig, dass ein Kopftuch in deutschen Klassenzimmern auch dann vom Staat toleriert werden sollte, wenn man selbst Zweifel daran hegt, ob dies islamisch zwingend geboten ist. Für dieses Recht, so der Münsteraner Vertretungsprofessor für Kalam, islamische Philosophie und Mystik, Ahmad Milad Karimi, müsse man sich ganz im Sinne von Voltaires Plädoyer für die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden einsetzen.

Zu den Motivationen für ein Studium scheint im Übrigen für die Studentinnen zu gehören, dass manche muslimische Mädchen ihre bildungsfernen Elternhäuser ansonsten gar nicht erst für die Ausbildung an einer deutschen Universität begeistern könnten.

Weiter im Aufbau ist an allen Standorten auch die gemeinsame Arbeit von islamischen Theologen mit den Kollegen der evangelischen und katholischen Fakultäten. In Osnabrück läuft sie nach der intensiven Kooperation beim Aufbau des Instituts schon länger. In Münster hat man zuletzt neben der Beteiligung am Centrum für Religiöse Studien zusammen mit dem Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik und dem evangelischen Comenius-Institut ein Christlich-Islamisches Forum für Religionspädagogik ins Leben gerufen.

Selbstverständnis, Parallelen und wechselseitige Beeinflussung der beiden Theologien standen jetzt auch bei der 10. Jahrestagung des „Theologischen Forums Christentum – Islam“, zu der dieses Mal mit 170 Teilnehmern aus 12 Ländern noch etwas mehr als sonst kommen konnten, im Mittelpunkt. Um Bilanz zu ziehen, hat man sich dezidiert mit der Frage des Profils und der wissenschaftstheoretischen Konzeption der jeweiligen Theologien beschäftigt. Im Hintergrund spielten dabei durchaus immer wieder auch die jüngeren Auseinandersetzungen über den Ansatz von Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, hinein. Selbst dort, wo es keine direkte Konkurrenz gibt, besteht bei nahezu allen Akteuren der Islamischen Zentren derzeit freilich eine gewisse Zurückhaltung öffentlich Stellung zu beziehen, weil man es sich aufgrund der labilen Situation in der Aufbauphase nicht mit den Verbänden verderben will.

Der Frankfurter Koranwissenschaftler Ömer Özsoy, den Agai jetzt als Direktor des Frankfurter Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam abgelöst hat, sprach sich allerdings entschieden für ein pluralistisches Wissenschaftsverständnis innerhalb der islamischen Theologie als neuem Fach im deutschen Fächerkanon aus. Vielfalt sei nicht nur legitim, sondern müsse geradezu erwünscht sein. Die islamische Theologie solle sowohl die Gesamtheit der islamischen Wissenschaften als auch die europäische Wissenschaftstradition ernst ­nehmen. Sie dürfe nicht zu einer Art Sonderhermeneutik werden.

Doppelte Infragestellung der islamischen Theologie

Özsoy diagnostizierte eine doppelte Infragestellung der islamischen Theologie: Bezweifelt wird, ob es sich – so die Einen – um eine echte Wissenschaft beziehungsweise – so die Anderen – überhaupt um einen authentischen Islam handele. ­Angesichts dessen müssten die Debatten um Normativitäts- und Wahrheitsansprüche innerhalb einer autonomen Theologie offen geführt werden, ohne die Kriterien für Rationalität zu eng zu fassen. Im Gegensatz zu Erwartungen, den Glaubensbestand möglichst gut zu bewahren, solle man sich noch ­intensiver mit den modernen Wissenschaften auseinandersetzen. Denn der Koran liefere keine Erkenntnisse über die Welt, inspiriere hingegen zur eigenen Wahrheitssuche. Die Forderung, in den universitären Strukturen stärker „Konfessionen“ (wie etwa die Sunniten oder Schiiten) zu berücksichtigen, werde dabei wohl realistischerweise keine Berücksichtigung finden – da müssten alle Muslime über ihren Schatten springen. 

Angesichts der enormen Dynamik der vergangenen Jahre beim Ausbau der islamischen Theologie gab Özsoy auch zu bedenken, dass es für echte Wissenschaft mehr Zeit braucht, als bisher zur Verfügung stand. Es bestehe durchaus die Gefahr, sich bei der schnellen Taktfolge von Konferenzen, neuen Kooperationen und der immer wieder neue Entwicklung ausdifferenzierter Curricula zu verzetteln. Die großen Erwartungen von Staat und Gesellschaft an die Ausbildung von Lehrern für den Islamischen Religionsunterricht oder gar Imamen seien da auch eine Gefahr. 

Notwendig sei vielmehr ein intensiverer innerislamischer Austausch, der aufgrund der Zuständigkeit der Bundesländer für die Universitäten, aber auch fehlender nationaler Institutionen wie einer funktionierenden Muslimischen Akademie in Deutschland noch nicht recht in Gang gekommen sei, aber auch stärker noch international geführt werden müsse. Immerhin: Im September dieses Jahres wird in Frankfurt zum ersten Mal, veranstaltet vom Frankfurter Institut, ein großer Kongress ähnlich dem Orientalistentag mit 150 Referenten stattfinden („Horizonte der Islamischen Theologie“). 

Christoph Schwöbel, evangelischer Professor für systematische Theologie in Tübingen, hob in seinem Kommentar des programmatischen Vortrags von Özsoy aus christlicher Sicht hervor, dass das Explizieren der Wahrheit immer ein Risiko darstelle, das Wissenschaft jedoch gerade auszeichne. Ein solcher Wissenschaftsbegriff sei Teil des intellektuellen Wegs der Menschheit. Mit Blick auf die Religion müsse man allerdings auch berücksichtigen, dass sie wesentlich Gabe und die Menschen nicht Herren und Kontrolleure ihrer eigenen Religion seien. Der christliche Glaube jedenfalls lebe „in seinen Grundbeziehungen in der Erfahrung der Entzogenheit seines Grundes, das heißt, sowohl in der Angewiesenheit auf Offenbarung als auch in der Herausforderung, das Geschehen der Offenbarung nicht mit seinen geschöpflichen Zeugnisgestalten zu verwechseln“.

Dzevad Hodzić, Professor an der islamischen Fakultät in Sarajewo, gab angesichts dieser Thesen im Schlussvortrag zu bedenken, dass Muslime heute nicht auf dieselbe Weise in die moderne Welt eintreten könnten wie die Christen. Sie hätten das Gesicht der Moderne vor allem durch den Kolonialismus kennengelernt und gerade nicht als Autonomiegewinn erfahren. Aufgrund der andauernden gesellschaftlichen Ungleichheiten und weltweiten Ungerechtigkeiten gebe es heute im Islam noch zu viel Imitation und zu wenig Innovation. Traditionskritik sei wichtig, um Tradition weiter tradieren zu können, lautete ganz in diesem Sinne die Ausgangsthese eines der vier Workshops des diesjährigen „Theologischen Forums“.

Interessant war angesichts dieser Thesen auch der Rückblick in die Geschichte und die sich früh schon abzeichnenden wechselseitigen Beeinflussungen von christlicher und islamischer Theologie. Der Islamwissenschaftler Jens Bakker, Postdoc am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück, stellte die
Rationalitätsansprüche des mittelalterlichen Islams nach Avicenna heraus, nach denen einzig die Vernunft den Streit der Autoritäten entscheiden könne. Damals habe man auch im Islam die Grundlegung der Metaphysik auf apriorische Prinzipien gegründet, was erkläre, warum die islamische und die christliche Theologie über die jeweilige Auseinandersetzung mit der Philosophie und den entstehenden Profanwissenschaften in jener Zeit viele Strukturanalogien aufwiesen. 

Maha El Kaisy-Friemuth, Professorin für praktische Theologie in Erlangen, sprach vor den Journalisten bereits sehr offensiv davon, dass es Aufgabe der islamischen Theologie in Deutschland sei, einen „Reformislam“ aufzubauen, dessen Ideen auch international exportiert werden müssten – wobei man dafür gerade von der Blütezeit des an der Vernunft interessierten Islam im Mittelalter viel lernen könne.

Während der Vortrag des Islamwissenschaftlers Bakker manchen zu schematisch erschien, konnte Stefan Schreiner die These der wechselseitigen Beeinflussung erhärten. Der emeritierte Religionswissenschaftler der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Tübingen zeigte in seinem Beitrag auf, wie Theologie des lateinischen Westens wesentlich auch Antwort auf den Islam gewesen sei. Schreiners These: Alle drei monotheistischen Religionen hätten sich nicht so entwickelt, wenn es die jeweils anderen beiden nicht gegeben hätte. Ein chronologisches Mutter-Tochter-Verhältnis greife beim Verhältnis von Judentum, Christentum und Islam in mancher Hinsicht zu kurz. So wie das Frühchristentum das rabbinische Judentum hervorbrachte, habe sich die christliche Theologie immer wieder explizit als Antwort auf die islamische (und jüdische) Herausforderung weiter ausgebildet: ob in den orthodoxen, byzantinischen und orientalischen Kirchen oder auch in denen des lateinischen Westens.

Schon die Christologie eines Johannes von Damaskus sei als Reaktion auf die Infragestellung durch den Islam entwickelt worden. Auch Petrus Venerabilis wie Thomas von Aquin mit seiner 1260 entstandenen vierteiligen Summa contra Gentiles (und damit auch die späteren Summa theologica) seien nur von ihrem islamischen und jüdischen Kontext her verständlich. Diese theologischen Antworten auf den Islam haben durch mannigfaltige Übersetzungen und Ausgaben eine Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart und beeinflussen auch die heutige orthodoxe Theologie. Umgekehrt gebe es Beispiele für islamische Katechismen, die frappierend ähnlich wie ihre christlichen Vorbilder konzipiert und strukturiert sind. Während Agai problematisierte, inwiefern die hiesige, christlich geprägte theologische Begrifflichkeit für das Sprechen über den Islam (Mission, Kirche, etc.) gelegentlich in die Irre führe, konnte Schreiner zeigen, dass mit Begriffen wie „präexistent“ oder „Wort Gottes“ schon im Koran selbst christliche Terminologie aufgegriffen wird.

Man will sich stärker gesellschaftlich drängenden theologischen Fragen widmen

Reflektiert wurde bei der Jubiläumstagung schließlich auch die Nachhaltigkeit des „Theologischen Forums Christentum – Islam“, etwa mit Blick auf die eigene Schriftenreihe, anhand derer sich die Themen der vergangenen Jahre nachvollziehen lassen (zuletzt: Kirche und Umma, Prophetie, Gottesvorstellungen, Mission, Schriftauslegung, Ethik, Theodizee). Immerhin, so Ulrike Bechmann, katholische Religionswissenschaftlerin in Graz, sei es auf diese Weise gelungen, dass es heute in der christlichen Theologie Standard sei, beispielsweise bei Sammelbänden zu einem bestimmten Thema, stets auch eine islamische Perspektive mit einzubeziehen.

Der Theologe Michael Bongardt, Professor für Vergleichende Ethik der Freien Universität Berlin, wandte freilich auch kritisch ein, dass man den Bänden gelegentlich anmerke, dass ein dezidiert theologischer Dialog erst im Entstehen sei. Oft genug müsse der Leser die unterschiedlichen Perspektiven aufeinander beziehen. Christliche und muslimische Theologen seien sich umso einiger, je mehr es um Gott, den Unaussprechlichen gehe; wo konkretere Fragestellungen im Mittelpunkt stehen, werde es disparater, ohne dass man die Unterschiede direkt thematisiere. Vielfach sei es, so Bongardts Fazit, mehr ein Neben- als ein Miteinander. Als Wahl-Berliner regte er schließlich auch an, sich einmal gemeinsam dem Thema des „Unglaubens“ heute zu stellen. 

Geplant ist beim „Theologischen Forum“ immerhin, sich in den kommenden Jahren stärker gesellschaftlich drängenden theologischen Fragen zu widmen. Eine differenzierte Befragung der Teilnehmer durch die Bremer Religionssoziologin Grit Klinkhammer zur Auswertung der vergangenen zehn Jahre hatte ergeben, dass sich drei Viertel vor allem für Themen mit einem gesellschaftlichen Bezug interessieren, nicht zuletzt mit dem Ziel einer gemeinsamen Verortung von Christen und Muslimen in der Gesellschaft. Muslimische Theologen hatten zuvor hervorgehoben, dass auch sie von der Gesellschaft dazu aufgefordert werden, ob innerhalb der eigenen Community gelegen oder ungelegen, zu solchen Fragen Stellung zu beziehen. Im nächsten Jahr soll jetzt konkret das Thema „Armut und Gerechtigkeit“ auf der Tagesordnung stehen. 

Bei der empirischen Studie kam auch heraus, dass die Ziele eines paritätischen theologischen Austausches auf akademischer Grundlage und einer Vernetzung der Akteure als weitgehend erreicht angesehen werden. Immerhin 65 Prozent der für Dialogprojekt vergleichsweise jungen Teilnehmer bewerteten das Forum mit sehr gut, 32 Prozent mit eher gut. Die Vielzahl der Referenten, die die Vernetzungsarbeit beflügelt, wird nicht zuletzt dadurch noch einmal vergrößert, als es bei jeder Jahrestagung die Möglichkeit gibt, mit Postern rund ein Dutzend Forschungsprojekte oder auch konkrete Dialogvorhaben kurz öffentlich und dann im persönlichen Austausch vorzustellen.

Die Fruchtbarkeit des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ ist im Übrigen auch abzulesen an einem neuen Handbuch zum christlich-islamischen Dialog, das im Erscheinen ist (Handbuch christlich-islamischer Dialog. Grundlagen – Themen – Praxis – Akteure, Volker Meißner, Martin Affolderbach, Hamideh Mohagheghi und Andreas Renz [Hg.], Schriftenreihe der Georges-Anawati-Stiftung, Freiburg 2014). Maßgeblich von Akteuren des Forums konzipiert, geht es dem Band darum, Mitarbeitern von Kirchen und muslimischen Verbänden, Pädagogen in Schulen und Kindertagesstätten, aber auch Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, bei Stiftungen und Medien den Stand der Dinge zu präsentieren. Das Handbuch benennt dabei, in der Regel in enger Kooperation eines christlichen und eines islamischen Autors, sowohl Beweggründe und Ziele des Dialogs, dessen wichtigste theologische Themen, aber auch zentrale Handlungsfelder. 

Zusammen mit dem ebenfalls vor kurzem erschienenen theologischen Lexikon für den christlich-muslimischen Dialog (Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Reinhard Heinzmann [Hg.], 2 Bände, Freiburg 2014), das wie die Studienwoche des Forums von der Eugen-Biser-Stiftung gesponsert wurde, ist es ein Beweis dafür, dass die christlich-islamische Zusammenarbeit auf theologischer Ebene inzwischen ein erstes Zwischenziel erreicht hat.

Der Dialog sei „nicht produktiv, wenn man aus Höflichkeit oder Konfliktscheu die wirklichen Probleme nicht anspricht und nur Freundlichkeiten austauscht, die atmosphärisch hilfreich sein mögen, aber untergründig Spannungen und Aggressionen fortleben lassen“. Gleichermaßen dürfe man aber auch nicht „aus Höflichkeit und falsch verstandener Toleranz Hass und Intoleranz“ dulden, heißt es im Handbuch. Ganz in diesem Sinne wird das „Theologisches Forum Christentum – Islam“ in Zukunft weiter gut zu tun haben.

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