Kein Wohnzimmer

Die Krise der Kirche zeigt, wie gefährlich eine Closed-Shop-Mentalität ist.

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke.
© KNA

Der Finanzskandal in meinem Bistum hat mich zum grundlegenden Nachdenken gebracht. So ein Desaster fällt ja nicht vom Himmel. Das hängt auch nicht an einem oder zwei bösen Menschen, sondern braucht einen Boden, aus dem es wachsen kann. Der Finanzskandal hat mich wachgerüttelt, dass wir zu sehr in geschlossenen Systemen denken. Wenn wir unseren Glaubensweg zu einem Wohnzimmer machen, kann das nicht dem Sendungsauftrag Jesu entsprechen. Christsein ist kein Wohnzimmer. Die aktuellen Krisen haben mir vor Augen geführt, dass Kirche zu einem unguten Biotop geworden ist, welches solche Missstände heranreifen lässt. Und ich habe gemerkt, ich selbst war Teil dieses Biotops, ohne mir dessen bewusst zu sein. Mir ist in den letzten Monaten noch mal ganz neu aufgegangen vor dem Hintergrund des Evangeliums von der Sendung Jesu und seiner Jünger, dass Kirche nicht zu Homogenität, sondern vielmehr zu Heterogenität aufgerufen ist. „Gehet in alle Welt“ bedeutet, dass Jesus uns aus einer behüteten Situation, sozusagen aus dem Nest des Eigenen, hinauswirft.

Wir brauchen mehr Heterogenität in den Strukturen der Kirche. Der Blick von außen muss viel mehr Bestandteil der inneren Ordnung der Kirche sein. Das ist leider noch immer oft gar nicht so sehr erwünscht. Gerade im Finanzbereich ist das eklatant. Wenn ich mir überlege, wie früher das Rücklagevermögen verwaltet wurde. Das wurde gehütet wie das Drachengold, niemand durfte was ahnen, geschweige denn was wissen. Ich halte das aus heutiger Sicht für völlig falsch. Für mich ist ganz klar: Wir brauchen endlich Offenheit und Transparenz. Es wird heute viel über Klerikalismus gesprochen und geklagt. Diese Haltung möchte ich differenzieren. Klerikalismus ist nicht nur gebunden an Geweihte, diesen Klerikalismus gibt es auch unter Laien. Diese Sicht auf die Kirche geht von dem Primat der Selbsterhaltung aus. Diese Beharrung auf dem Status quo, die dem Klerikalismus innewohnt, verhindert jede Dynamik. Dann wird das auch noch kirchlich verbrämt mit Zitaten aus dem Evangelium. Diese Haltung gilt es immer wieder aufzubrechen, auch im Namen des Evangeliums, das uns Heterogenität zumutet und keine Closed-Shop-Mentalität zulässt. Heterogenität heißt dann ganz konkret, dass Kompetenz und Sachverstand einzig und allein ausschlaggebend sind, wenn es etwa um die Besetzung von Stellen geht. Dann muss die Kirche heute die Standards einhalten, die allgemein in der Gesellschaft gelten. Eine Parallelwelt ist weder theologisch angebracht, noch ist sie hilfreich oder opportun. Deswegen darf auch unsere Verwaltung nicht eine andere Sprache sprechen als andere Einrichtungen in unserer Gesellschaft. Der operative Bereich muss von der Aufsichtsebene getrennt werden. Das wurde in der katholischen Kirche in Deutschland lange nicht ernst genommen. Als Kleriker bin ich nicht durch Handauflegung für Fragen der Finanzverwaltung kompetent. Das Geistliche und Sakrale muss auch seinen Platz haben, aber nur da, wo es hingehört.

Ich will viel mehr Frauen in der kirchlichen Verwaltung. Wir können viele Frauen in leitende Funktionen bringen – ohne dass das sakramentale Dienstamt berührt ist. Ich wünsche mir eine Frau im Amt einer Ordinariatsdirektorin, die den Generalvikar von Verwaltungsaufgaben entlastet.

Außerdem bin ich überzeugt, dass eine Frau auch zu einer Klimaveränderung in einer doch sehr männerdominierten Verwaltung beitragen könnte. Dieser neue Geist der Transparenz muss auch auf der Ebene der Bischofskonferenz gelten. Dafür haben wir jetzt die Organisationsformen des Verbands der Diözesen (VDD) angepasst.Der Verbandsrat wird die Entscheidungsebene und die Fachkompetenz, auch Bischöfe und Laien, zusammenbringen und so gegenläufige Entscheidungen verhindern und langfristig mehr Solidarität untereinander ermöglichen.

Auch der Umgang mit den Missbrauchsfällen in der Vergangenheit ist sicher ein Beleg dafür, dass die Institution Kirche an der eigenen Selbstfixierung leidet. Es fehlte ein Bewusstsein dafür, wie verheerend ein falscher Umgang mit Missbrauchstätern sein kann. Ich spreche hier kein Schuldurteil über andere, ich schließe mich selber ein. Die Vertuschung hat ihre Ursache in diesem geschlossenen Kreis, in dem die Selbstkritik keinen Platz hat. Vertuschen schützt natürlich die Kirche überhaupt nicht. Der Missbrauchstäter hat ein Leben zugrunde gerichtet. Haben wir das als Bischöfe gesehen? Nein, hier hat zu oft ein Inner-Circle-Denken geherrscht. Nach dem Motto: Junge, Du hast gesündigt, aber es wird schon wieder. Da kam das Opfer nicht vor. Die Lehre daraus ist, neben vielen praktischen Fragen: Die Kirche kann dann wieder etwas Besonderes sein, wenn sie erstmal gelernt hat, normal zu sein, in der Gesellschaft vergleichbar zu sein, dann kann sie ihrem besonderen Auftrag wieder gerecht werden.

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