Eine Ausstellung moderner Kunst im Mainzer Dom- und DiözesanmuseumSchon die Vulgata wollte popularisieren

Wenn man im Mainzer Dom in die Schatzkammer geht, finden sich dort auch Kopien von Raphael und Dürer, die im 19. Jahrhundert in einer seinerzeit mit Dekormalereien versehenen Kapelle aufgehängt worden sind.

Nur wenige Meter daneben sind derzeit ganz andere Neuinterpretationen traditioneller Bilderwelten zu bewundern. Vor den goldenen Kelchen und Monstranzen hinter Glas finden sich Kunstwerke aus dem 21. Jahrhundert. Genannt hat der Künstler Alois Neuhold seine im vergangenen Jahr entstandene Installation „Es ist aufgetischt. Fülltafel und Flugschanze aus der Schöpfungskirche eines reich gedeckten Lebens“. Und vor den kostbaren Evangeliaren sind seine aus bunter Knetmasse gestalteten Bücher der Geheimen Offenbarung des Johannes ausgestellt.

So wie die Kunstwerke, etwa auch der kleine Jesus, mitten in zwei kleinen Bergen aus Spielzeug und Kuscheltieren, hier präsentiert werden, denkt man unmittelbar an das Kölner Ausstellungskonzept im Museum Kolumba, hier in Mainz etwas provisorischer, aber nicht weniger anregend umgesetzt.

„Fremd und vertraut. Vulgata 77: Zeitgenössische Zugriffe auf die Bibel“ heißt die Ausstellung. Schon die Vulgata wollte popularisieren und hat Jahrhunderte Künstler inspiriert. Mit dem Titel der Schau ist aber auch die Zahl moderner Kunstwerke benannt, die sich derzeit im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum befinden, das zusammen mit dem „Kulturzentrum bei den Minoriten“ in Graz eine Ausstellung organisiert hat, die dort bereits zu sehen war, jetzt teilweise ergänzt und neu eingerichtet wurde. Auch der Kapitelsaal wird auf diese Weise zur Schatzkammer der Wiederaufnahme und Neuinterpretation biblischer Motive.

Dorothee Golz zeigt eine „Madonna als Mutter und Hausfrau“ (2016), lässt eine rotblonde Maria auf einem Hotelbett anmutig sitzen (2013) – oder eben auch im Wartebereich einer Klinik für Künstliche Befruchtung, einem Bild aus dem Jahr 2005. Von Julia Krahn gibt es nicht nur ihre „Klatschende Madonna“ in einem Video und als Fotostrecke unter der spätgotischen Kiedricher Doppelmadonna zu sehen. Es findet sich auch ein Zyklus „SchönerHeit“ mit mehr als zwei Dutzend Fotografien von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, aber ästhetisch in Szene gesetzt auf Altären, zwischen Obst und Tieren, die als Stillleben ein Kommentar zum Opfermotiv im Alten wie im Neuen Testament bilden.

Aber auch Zweifel angesichts religiöser Traditionen werden eindrucksvoll dargeboten. Etwa in dem Video des Künstlerduos Munteau/Rosenblum, das zu Klängen von Claudio Monteverdi einen Kameraschwenk durch eine KFZ-Werkstatt zeigt, an dessen Ende dann eine Mechanikerin mit leeren Händen nach oben schaut, der Josef an ihrer Seite hält – kerzengleich – eine flammende Schweißpistole in der Hand.

Die von Johannes Rauchenberger und der Mainzerin Birgit Kita kuratierte und von der ökumenischen Stiftung Bibel und Kultur unterstützte Ausstellung holt die Besucher im Eingangsbereich ab, wo die derzeitige politische und gesellschaftliche Diskussion von Religion ihren Schwerpunkt hat: beim Thema Fundamentalismus, das mit den friedensethischen Potenzialen der Heiligen Schriften der Weltreligionen, darunter auch der Koran, kontrastiert wird. Lidwien van de Vens beeindruckende Landschaftsfotografien vom Berg Nebo herab zeigen den Blick auf das Gelobte Land, das faktisch erst einmal eine steinige Wüstengegend ist. Mit „Rumsfeld‘s Bible“ und der Inanspruchnahme biblischer Zitate für das kriegerische Handeln der Vereinigten Staaten von Amerika wird Fundamentalismus durchaus selbstkritisch gewendet. Im Schatten des Kreuzgangs des Mainzer Doms ist damit eine höchst sehenswerte Ausstellung entstanden, die man noch bis zum 7. Juli besuchen kann. Stefan Orth

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