Machtungleichgewicht, übersteigertes Priesterbild, Klerikalismus, Autoritarimus: Das sind die Schlagworte, die seit einigen Monaten immer wieder genannt werden, um die tieferliegenden strukturellen Ursachen für den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zu umschreiben. Dabei handelt es sich keineswegs um neue Erkenntnisse. Neu ist nur, dass sie nicht mehr nur in der theologischen Fachliteratur und bei Reformforderungen, sondern nun auch in den Reihen der Kirchenleitung und als Selbsteingeständnis thematisiert werden. Diese Gunst der Stunde ist zu nutzen, um gemeinsam zu analysieren, wie es zu diesen Fehlentwicklungen kommen konnte und wie sie zu überwinden sind.
Ein wesentlicher Faktor ist hier die „lähmende Selbstwidersprüchlichkeit“ (Daniel Kosch) in den kirchlichen Strukturen. Gemeint ist damit die Diskrepanz zwischen den Aussagen über die Kirche und den konkreten Strukturen in unserer Kirche. Es ist die Diskrepanz zwischen der ständigen Rede von den „Schwestern und Brüdern“ wie auch vom „Volk Gottes“, von der „kirchlichen Gemeinschaft“ und der „Teilhabe aller an der Sendung der Kirche“ auf der einen Seite und der vielfachen Erfahrung auf der anderen Seite, dass es in den entscheidenden Momenten des kirchlichen Lebens aber dann doch kein Miteinander, keine kooperative Arbeitsweise, keine Beteiligung an Entscheidungsprozessen gibt, sondern alles einseitig von oben nach unten zu verlaufen scheint, vom Papst über die Bischöfe zu den Pfarrern hin zum Rest der kirchlichen Gemeinschaft.
Wie konnte sich diese Fehlentwicklung auch noch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und bis heute halten? Sind doch auf diesem Konzil die biblische Überlieferung und die Tradition der Urkirche mit ihren vielen lebendigen Zeugnissen für die Vielfalt, die Geschwisterlichkeit und das partnerschaftliche Miteinander in der Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi neu ins kirchliche Bewusstsein gehoben und Beschlüsse zu deren Umsetzung in den Alltag der Kirche gefasst worden. Auch eine entsprechende Überarbeitung des kirchlichen Gesetzbuches wurde – zumindest teilweise – vorgenommen.
Umso verwunderlicher ist es, dass nach wie vor bei Laien wie bei Klerikern so gut wie gar nicht präsent ist, welches Recht, aber auch welche Pflicht, welches Maß an Freiheit, aber auch an Verantwortung für die Sendung der Kirche Laien zukommen. Speziell den kirchlichen Autoritäten scheint bisher zu wenig bis gar nicht bewusst zu sein, dass sie nicht nur Rechte gegenüber dem Volk Gottes haben, sondern auch Pflichten. Dass nicht nur sie Rechte haben, sondern auch das Volk Gottes. Dass nicht nur ihr eigenes Reden und Handeln „kirchlich“ ist, sondern auch das eigenständige und eigenverantwortliche Reden und Handeln der Laien.
Öfters einmal einen Blick in das kirchliche Gesetzbuch zu werfen, kann für Laien wie Kleriker sowie insbesondere für kirchliches Leitungspersonal hilfreich sein, um sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten in Erinnerung zu rufen und diese entsprechend umzusetzen, und zwar möglichst nicht nur dem Buchstaben, sondern der eigentlichen Intention gemäß. Dadurch können die verschiedenen Formen von Machtungleichgewicht, übersteigertem Priesterbild, Klerikalismus und Autoritarismus entlarvt und zurückgedrängt werden.
Rechte und Pflichten für Laien und Kleriker
Für die katholische Kirche gilt in gleicher Weise wie für jede andere Rechtsgemeinschaft, dass in ihr „für Willkür – auch mit religiöser Motivierung – kein Raum sein darf. Auch in der Kirche gibt es Grundrechte und kirchliche Mitgliedschaftsrechte“ (Alphons Gommenginger). Im kirchlichen Gesetzbuch von 1983 sind diese – zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche – als (grundlegende) Pflichten und Rechte zusammengestellt, die für alle Gläubigen gelten, unabhängig davon, ob sie Laien oder Kleriker sind (cc.208–223).
Als Pflichten werden jeder/jedem Gläubigen auferlegt, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (cc.209, 223 §1), sich um ein heiliges Leben zu bemühen und dadurch die Heiligkeit der Kirche zu fördern (c.210), Vorlagen der geistlichen Hirten „im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen“ (c.212 §1), Beiträge für die Bedürfnisse der Kirche zu leisten sowie die soziale Gerechtigkeit zu fördern (c.222).
Als den Pflichten korrespondierende Rechte werden jeder/jedem Gläubigen zugestanden: den geistlichen Hirten Anliegen und Wünsche zu eröffnen (c.212 §2), die Meinung über das Wohl der Kirche mitzuteilen (c.212 §3, c.218), geistliche Hilfen in Wort und Sakrament (c.213) zu empfangen, den eigenen Ritus und die eigene Form des geistlichen Lebens zu pflegen (c.214), wie auch das Recht auf freie Vereinigung und Versammlung (c.215), apostolische Tätigkeit (cc.211, 216), christliche Erziehung (c.217), Forschungs- und Veröffentlichungsfreiheit (c.218), freie Wahl des Lebensstandes (c.219), Schutz des guten Rufes und der Intimsphäre (c.220) sowie Rechtsschutz (c.221).
Neu ist auch, dass sich unmittelbar im Anschluss an diesen Katalog von Pflichten und Rechten aller Gläubigen ein weiterer Katalog von Pflichten und Rechten speziell für Laien anschließt (cc.224–231). Darin werden die Laien als Erstes dazu verpflichtet wie auch berechtigt, die göttliche Heilsbotschaft zu verbreiten (c.225 §1). Dann werden sie in die besondere Pflicht genommen, die weltliche Ordnung im Geist des Evangeliums zu besorgen (cc.225 §2, 227) sowie durch Ehe und Familie am Aufbau des Volkes Gottes mitzuwirken (c.226). Sie haben die Pflicht zur und das Recht auf eine christliche und theologische Bildung (c.229) wie auch die Möglichkeit (nicht das Recht und auch nicht die Pflicht!), für jene kirchlichen Ämter und Aufgaben „herangezogen“ zu werden, die sie „gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen“ (c.228). Nach den Aussagen dieses Katalogs können Laien als Sachverständige und Ratgeberinnen tätig sein (c.228 §2), in der theologischen Wissenschaft mit der Lehre beauftragt werden (c.229 §3), den Dienst einer Lektorin, eines Akolythen, einer Kantorin oder andere Aufgaben nach Maßgabe des Rechts wahrnehmen sowie liturgische Gebete leiten, die Taufe spenden und die Kommunion austeilen (c.230 §3).
Über die im Katalog genannten Möglichkeiten hinaus können Laien unter bestimmten Bedingungen auch beauftragt werden zu predigen (c.766), einer Eheschließung zu assistieren (c.1112) und einzelne Sakramentalien (Segnungen) zu spenden (c.1168) sowie als Katechetin (c.776), Religionslehrer (c.803 §2, 805) und Theologieprofessorin (c.810) tätig zu sein. Des Weiteren können sie innerhalb eines kirchlichen Gerichtes mit dem Amt des erkennenden Richters in einem Richterkollegium (c.1421 §2), der Beisitzerin oder des Vernehmungsrichters (c.1424, 1428 §2), der Kirchenanwältin und des Ehebandverteidigers (c.1435) betraut werden. Außerdem können sie partikularrechtlich eingerichtete Leitungs- und Führungspositionen wahrnehmen, zum Beispiel Ordinariatsrat, Akademiedirektorin, Seelsorgeamtsleiter, Caritasdirektorin, Finanzdirektor, Sekretärin einer Bischofskonferenz oder Leiter eines katholischen Büros. Schließlich können sie auch bei der kirchlichen Vermögensverwaltung mitwirken (cc.492, 494, 537, 1279 §2 u.a.), in den kirchlichen Beratungsgremien aktiv sein (cc.377 §3, 512 §2, 536 §1, 1064), an Konzilien und Synoden teilnehmen (cc.339 §2, 443 §4, 463 §2) und in der Pfarrseelsorge mitarbeiten (cc.517 §2, 519).
Der Kirchenrechtler Jürgen Cleve stellt dazu fest: „Der CIC nennt in den cc. 208–223 fundamentale Pflichten und Rechte der Gläubigen, die als persönliche Rechte und Pflichten in der Schöpfungs- oder Erlösungsordnung gründen. Weil sie von der Menschenwürde untrennbar sind, kommt ihnen materiell ein hoher Rang zu, auch wenn sie nach dem gescheiterten Projekt der ,Lex Ecclesiae Fundamentalis‘ formell nicht über den anderen Gesetzen des CIC stehen. Sie sind so sehr mit der Person verbunden, dass lediglich auf die Ausübung eines solchen Rechtes freiwillig verzichtet werden kann. Keinesfalls kann ein Verstoß gegen eine fundamentale Pflicht automatisch zu einer Verminderung der Rechtsstellung eines Gläubigen oder gar zum Verlust eines fundamentalen Rechtes führen. Dies ist zu beachten, wenn kirchliches Handeln oder Unterlassen mit einer verminderten Rechtsstellung eines Gläubigen begründet wird.“
Bemerkenswert ist, dass in dem Pflichten- und Rechtekatalog aller Gläubigen zwar klar und deutlich ein Mitwirkungsrecht an der Sendung der Kirche garantiert, ja sogar eine Mitwirkungspflicht auferlegt wird. Allerdings wird hier weder das Recht noch die Pflicht auf die Teilhabe am königlichen Amt Christi, also auf die Mitwirkung am Leitungsamt der Kirche, genannt, zu dem doch alle Glieder des Volkes Gottes durch die Taufe ausdrücklich berufen sind (c.204 §1).
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass der spezielle Pflichten- und Rechtekatalog für Laien an vielen Stellen lediglich eine Doppelung zu den Pflichten und Rechten aller Gläubigen darstellt. Er enthält im Grunde genommen keine spezifischen Rechte für die Laien. Denn nach Abzug der für alle Katholiken geltenden Pflichten und Rechte gibt es keinen spezifisch laikalen Rechtsanspruch mehr, sondern nur noch eine laikale Möglichkeit: Laien können je nach Bedarf und Fähigkeit für bestimmte Ämter und Aufgaben herangezogen werden (c.228; c.230).
Die Kataloge der Pflichten und Rechte der Gläubigen und Laien sind daher zweifelsohne in etlichen Punkten zu kritisieren. Sie bieten aber eine entscheidende Grundlage dafür, die Beteiligungsrechte in der Gemeinschaft der Kirche so auszugestalten, dass Vielfalt, Geschwisterlichkeit und partnerschaftliches Miteinander entstehen – also all das, was modern als „Ermächtigung“ beziehungsweise Empowerment bezeichnet wird und Formen der Machtausübung meint, die nicht lähmend, sondern förderlich wirken. Sie bieten die Grundlage für Machtstrukturen, bei denen die Fäden der Macht nicht nur in eine Hand oder nur in wenige Hände gelegt werden, sondern in möglichst viele und miteinander vernetzte Hände.
Die alten Einseitigkeiten sind keineswegs überwunden
Wendet man sich aber von diesen programmatischen Aussagen hin zu den konkreten rechtlichen Ausgestaltungen der verschiedenen Dienste und Ämter in der Kirche, so scheinen die grundsätzlichen Aussagen über die Rechtsstellung aller Gläubigen gänzlich aus dem Blick geraten zu sein. Denn hier, bei den konkreten Regelungen, zeigt sich deutlich, dass die alten Einseitigkeiten des Hierarchiemodells keineswegs überwunden sind, sondern durchaus weiter bestehen. Mehrere Belege können dafür angeführt werden.
1. Fast alle Dienste und Ämter sind auf die Kleriker ausgerichtet und stehen nur in Ausnahmefällen – vor allem in Zeiten des Priestermangels – den Laien offen, wie zum Beispiel die Predigt, die Beerdigung, die Leitung von priesterlosen Sonntagsgottesdiensten, die Spendung der Krankenkommunion, die Vorbereitung auf den Sakramentenempfang oder das Amt des kirchlichen Richters, der Theologieprofessorin und des Leiters des katholischen Büros.
2. Auch die sogenannten Gremien der Mitverantwortung des ganzen Gottesvolkes sind rechtlich unzureichend konzipiert. Die bekanntesten davon sind jene auf der Pfarr- und Bistumsebene wie der Pfarrpastoralrat (c.536), der Diözesanpastoralrat (cc.511ff) und die Diözesansynode (cc.460ff). Sie sind im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil als institutioneller Raum geschaffen worden, in dem sich die Teilhabe des ganzen Gottesvolkes an der Sendung der Kirche artikulieren soll und kann. Sinn und Zweck dieser Gremien ist es, den Beitrag der Vielen zu bündeln und repräsentativ zu vertreten. Doch in der rechtlichen Ausgestaltung ist für alle diese repräsentativen Einrichtungen des Volkes Gottes speziell für die Laien ausschließlich eine Mitwirkung in der Form der Beratung vorgesehen; es ist also keinerlei Mitentscheidungskompetenz der Laien rechtlich verankert.
3. Ebenso kommt die grundsätzliche Rechtsstellung der Laien fast überhaupt nicht bei der Besetzung wichtiger Ämter in der Kirche zum Tragen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Entscheidung über die Besetzung so bedeutender Ämter wie des Amtes eines Pfarrers, Bischofs und Papstes nahezu im Alleingang der geweihten Amtsträger geschieht und den Laien höchstens eine beratende Rolle zugewiesen ist. Gerade bei solchen Schlüsselpositionen müssten möglichst viele repräsentativ bestellte Laien am Verfahren der Auswahl beteiligt werden.
Kirche als Gemeinschaft des Volkes Gottes im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt, dass die jeweils unterschiedlichen Begabungen, Dienste und Ämter sich gegenseitig fordern, fördern und ergänzen und durch diese Wechselbeziehung zusammenwirken. Damit dies nicht nur in der abstrakten Theorie gelehrt, sondern auch bei den konkreten kirchlichen Lebensvollzügen Wirklichkeit wird, muss allen Laien – ob Mann oder Frau – künftig durchgängig mehr Beteiligung an allen kirchlichen Vollzügen, Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen zukommen, und zwar nicht nur im Sinne eines Zugeständnisses der kirchlichen Autorität, sondern rechtlich garantiert aufgrund der ihnen von Gott in der Taufe verliehenen Würde, Autorität und Teilhabe an seinem dreifachen Amt des Lehrens, Heiligens und Leitens der Kirche. Dazu sind grundlegende Rechtsänderungen notwendig.
Zuallererst sind Laien rechtlich wesentlich mehr kirchliche Aufgaben, Dienste und Ämter zu eröffnen als bisher. Viele davon sollten sie nicht nur in der Notsituation des Klerikermangels oder mit Ausnahmegenehmigung wahrnehmen können, sondern prinzipiell und unabhängig vom klerikalen Personalbestand, wie zum Beispiel: Predigt in der Eucharistiefeier, Beerdigungsdienst, Richteramt in einem kirchlichen Gericht, Amt einer Caritasdirektorin, Leitung des katholischen Büros.
Laien muss ferner auf allen kirchlichen Ebenen und in allen zentralen Rechtsbereichen das Recht der Mitsprache zukommen. Das betrifft alle wichtigen Personalentscheidungen, Fragen der Gestaltung und Organisation des liturgischen Lebens, der pastoralen Schwerpunktsetzung und der ökumenischen Arbeit wie auch alle finanziellen Angelegenheiten. Verwirklicht werden sollte dieses durchgängige Mitspracherecht mit Hilfe des Instituts des Beispruchsrechts, das die Anhörung oder Zustimmung bestimmter Personen zur Gültigkeit der Amtshandlung verpflichtend vorschreibt (c.127).
Konkret: Die schon bestehenden Vertretungsorgane auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen wie Pfarrpastoralrat (c.536) beziehungsweise Pfarrgemeinderat und Diözesanpastoralrat (cc.511ff) werden so mit Anhörungs- und Zustimmungsrechten ausgestattet, dass die Taufsendung der Laien ebenso deutlich zum Tragen kommt wie die Letztverantwortung der Kleriker.
Schließlich müssen Laien auch das Recht der aktiven Mitbestimmung beziehungsweise Mitgestaltung erhalten, indem erstens der Anteil der Repräsentanten der Laien bei den verschiedenen Versammlungsformen der Kirche erhöht wird; zweitens alle dort versammelten Teilnehmer mit dem gleichen entscheidenden Stimmrecht ausgestattet werden; und drittens die Einspruchsrechte der zuständigen kirchlichen Autorität auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt werden.
Eine konkrete Umsetzung dieses Gedankens stellten bereits die Regelungen über die Beschlussfassung und Gesetzgebung der sogenannten Würzburger Synode (Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, 1971–1975) dar. Denn erstens waren hier die Laien in einem zahlenmäßig adäquaten Verhältnis vertreten, da nicht nur eine Minderheit von Laien teilnehmen durfte, sondern die Vielfalt des ganzen Gottesvolkes repräsentativ vertreten war. Zweitens hatten alle Teilnehmer gleiches beschließendes Stimmrecht bei der Beschlussfassung. Drittens war für die Beschlussfassung nicht die Einmütigkeit notwendig, sondern bereits eine Zweidrittelmehrheit ausreichend. Viertens mussten die Bischöfe den Beschlüssen der Synodalen in einem zusätzlichen Akt explizit zustimmen, damit diese verbindliche Normen wurden; allerdings durfte diese Zustimmung nur dann verweigert werden, wenn Glaubens- und Sittengründe oder tragende Rechtsverletzungen geltend gemacht werden konnten.
In der Konzeption der Würzburger Synode war durch die Anzahl der Laien wie auch durch deren Stimmrecht eine wirkliche Teilhabe des ganzen Gottesvolkes am Leitungsamt der Kirche ebenso gewährleistet wie die besondere Verantwortung der Kleriker gewahrt war, da letztere ein besonderes Vetorecht hatten.
Die Zeit, diese und weitere Korrekturmaßnahmen im Sinne der grundlegenden Rechte und Pflichten der Laien einzuleiten, drängt. Die erschreckenden Ausmaße des Missbrauchsskandals machen das in eindrücklicher Weise deutlich. Umso glücklicher können sich die Bischöfe schätzen, dass ihnen ein relativ einfaches Instrument zur Verfügung steht, um ihrer Ankündigung zügig erste konkrete Schritte folgen zu lassen. Ziel dieses Instrumentes ist es, die langwierigen Prozesse, die gesamtkirchliche Reformen vor allem rechtlicher Art mit sich bringen, zu überbrücken. Sein Kerngehalt kann als eine Art vorauseilender Gehorsam in der Form einer freiwilligen Selbstbindung bezeichnet werden.
Freiwillige Selbstbindung des Diözesanbischofs
In der Frage der Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte der Laien auf den kirchlichen Ebenen der Diözesen und der Pfarreien kann ein solcher vorauseilender Gehorsam in der Form einer freiwilligen Selbstbindung des Diözesanbischofs geschehen: Der Diözesanbischof bindet sich selbst an den repräsentativ erteilten Rat des diözesanen Gottesvolkes, indem er das beratende Stimmrecht der Mitglieder in den verschiedenen Einrichtungen auf Diözesanebene wie zum Beispiel des Diözesanpastoralrates wie auch der Diözesansynode zu einem entscheidenden Stimmrecht erhebt und analog auch für die Pfarrebene vorschreibt, dass dem Pfarrgemeinderat auch in seiner Funktion als Pfarrpastoralrat entscheidendes Stimmrecht zukommt.
Als einziger Gesetzgeber in der Diözese kann der Diözesanbischof zwar von niemandem dazu gezwungen, aber auch von niemandem daran gehindert werden. Der freiwillige Verzicht auf bestimmte Rechtspositionen in Form einer freiwilligen Selbstbindung steht jedem Rechtsträger offen.
Konkret auf die diözesanen und pfarrlichen Versammlungsformen bezogen könnte die rechtliche Selbstbindung des Bischofs in der Ordnung festgeschrieben sein, die er für die Einrichtung des Diözesanpastoralrates und des Pfarrgemeinderates sowie für die Durchführung der Diözesansynode oder der anderen Versammlungsformen zu erlassen hat.
Mit einer solchen bischöflichen Selbstbindung an die Beschlüsse der Konsultationsprozesse wären diese repräsentativ besetzten Versammlungsformen des diözesanen und pfarrlichen Gottesvolkes relativ einfach von unverbindlichen Gesprächskreisen zu wirklichen Mitwirkungsorganen im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses des Volkes Gottes umgestaltet. Darüber hinaus hätte dadurch die bewährte Rechtsordnung der Würzburger Synode zumindest im diözesanen Bereich eine gewisse Fortsetzung erfahren, die nicht erst gesamtkirchlich verankert werden müsste, sondern schon jetzt in jeder Diözese durch den Diözesanbischof verwirklicht werden kann.