Buchrezension zu Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie. Zungensünden – und deftiger

Hass und Hetze gegen Religion und Beleidigungen Gottes, des Heiligen, scheinen wieder zuzunehmen. Dabei ist Blasphemie kein neues Phänomen. Gesittet ging es selbst in vermeintlich glaubensstarken Zeiten nie zu.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit dieser Aussage beginnt der erste Artikel des Grundgesetzes. Dabei weiß jeder, dass die menschliche Würde zwar unverlierbar ist, jedoch auf vielfältige Weise sehr wohl angetastet werden kann und wird. Trifft das in vergleichbarer Weise auch auf die Würde Gottes, des Göttlichen, des Heiligen zu?

Dazu hat der Neuzeit-Historiker Gerd Schwerhoff eine Geschichte der Blasphemie vorgelegt, die sich in wesentlichen Teilen unter anderem auf seine Habilitation in den neunziger Jahren stützt. Neben eher kürzeren Ausgriffen auf die Vielgötterwelt der Antike, aufs alttestamentliche Judentum und das frühe Christentum geht der Autor auf die Konfliktzonen zwischen Juden und Christen und zwischen Christen und Muslimen ein. Die Schwerpunkte liegen allerdings auf dem Mittelalter und der beginnenden Neuzeit mit der Aufklärung, bezogen im Wesentlichen auf den westeuropäischen Kulturkreis.

Kann man Gott beleidigen?

Gott steht über allem, er lässt sich gar nicht beleidigen. Diese Auffassung heutiger christlicher Theologen wurde lange so nicht geteilt. In der frühen Entwicklung des Ein-Gott-Glaubens Israels zeigt sich JHWH, der Herr der Heerscharen, als ein eifersüchtiger Gott, der, wie viele alttestamentliche Passagen bekunden, den Abfall seines Volkes zur Vielgötterei immer wieder hart bestraft. Die in diesem Zusammenhang vielleicht drastischste Beleidigung einer Fremdreligion im prophetischen Kampf für den Monotheismus erwähnt der Autor seltsamerweise nicht: Elijas bildreich geschilderte Verhöhnung Baals und seiner Priester bei deren Opferungsversuch auf dem Karmel.

Obwohl Blasphemie, also Gotteslästerung, die Beleidigung, Verhöhnung, Verunglimpfung des Heiligen, nicht dasselbe ist wie Glaubensleugnung, Häresie, Ketzerei, überlappen sich im Lauf der Religionsgeschichte die verschiedenen Facetten, sodass nicht immer streng zwischen dem einen und dem anderen zu unterscheiden ist. Insofern schweift Schwerhoff insbesondere in den Betrachtungen der Christentumsgeschichte häufig ab auf Ketzergeschichten und – in späterer Zeit – auf die entsprechende Inquisitionsgeschichte.

Manchmal müssen die religiösen Autoritäten sogar zuviel Blasphemie-Eifer ihrer Gläubigen gegen fremde Religion bremsen. So war es anscheinend 852, wie eine vom muslimischen Herrscher im maurischen Hoheitsgebiet, dem Emir von Cordoba, einberufene christliche Synode gegen christliche Fanatiker vermuten lässt. Nur knapp seien die Märtyrer, die den Islam beschimpft und den Tod als Strafe nicht gefürchtet hatten, sowie deren Anhänger der kirchlichen Exkommunikation entgangen. Die kirchlichen Autoritäten drängten auf Mäßigung, vor allem, um die Existenz der christlichen Minderheit nicht zu gefährden.

Deutlich markiert der Autor, wie sich mit der Geistesentwicklung die Perspektive von der Beleidigung Gottes im direkten Sinne wegverlagert hin zu den womöglich gefährlichen Folgen für die Menschen und ihr Gemeinwesen: Über Seuchen, Kriege, Hungersnöte, Erdbeben bekommt das Volk den Zorn, die Rache des Höchsten zu spüren, so die Vorstellung. Dahinter steht meistens ein anthropomorphes Bild Gottes, das ihn emotional in Entsprechung zu menschlichen Gefühlen denkt. In der Neuzeit tritt der Gedanke in den Vordergrund, dass lästerliches Verhalten gegen Gott und Religion die öffentliche, moralische Tugend und Ordnung gefährdet, die Achtung der Autoritäten infragestellt, das Staatswesen zersetzt. Strafe muss dann weniger Gottes als der Menschen und der Aufrechterhaltung der Sitten wegen sein.

Das geht so weit, dass Blasphemie irgendwann gar nicht mehr als strafwürdig gesetzlich belangt wird. Gemäß dem deutschen Strafgesetzbuch wird sie nur noch dann – theoretisch – verfolgt, wenn sie den öffentlichen Frieden stört, volksverhetzenden Charakter bekommt. Selbst bei gröbster Schmähung des Christlichen werden die betreffenden Paragrafen im Strafgesetzbuch (130 und 166) schon seit langem faktisch nicht mehr geltend gemacht. Gegen Volksverhetzung gehen die Gerichte oft nur dann vor, wenn sie mit der Leugnung der Judenverfolgung, des Holocaust, oder mit schlimmen Angriffen gegen das Judentum einhergeht.

Wie Schwerhoff aufzeigt, hat es Gotteslästerung in allen Bevölkerungsschichten zu allen Zeiten gegeben, bei Gebildeten wie unter Verächtern der Religion, in der Geistlichkeit ebenso wie unter gesellschaftlichen Außenseitern, nicht minder wie unter Adligen oder sonstigen besseren Kreisen. Mit unflätigsten Ausdrücken wird Gott beschimpft, wird bei seinem Namen geschworen oder gegen ihn und gegen das hochheiligste Sakrament geflucht.

Nicht immer richtet sich das gegen den Glauben selber, oftmals handelt es sich um eine Gefühlsaufwallung im Streit, um ein Sich-Luft-Verschaffen der Seele eines Menschen, dem Unglück, Pech in der Liebe oder im Spiel widerfahren oder ein Missgeschick passiert ist. „Ich schiß unserm Herrn in die Wunden“, wie ein Fluch aus Sankt Gallen von 1513 überliefert ist, gehört dabei noch zu den harmlosesten Aussprüchen, von denen Gerd Schwerhoff weitaus deftigere zahlreich erwähnt. Das gesamte Mittelalter kennzeichnet er als „Zeitalter der Zungensünden“. Zur Beleidigung wurden gern sexuelle Anspielungen, eine vulgäre sexuelle Sprache, eine Fäkalsprache verwendet.

Dabei soll und darf die häufig obszöne Verunglimpfung religiöser Auffassungen und Gefühle nicht verharmlost werden, sowohl gegen fremde Religion als auch innerhalb der je eigenen Religion. Lange Abschnitte befassen sich mit der Beleidigung und Verketzerung des jüdischen Glaubens. Legenden von Ritualmorden an Christenkindern, Hostienfrevel und Brunnenvergiftung wurden von Generation zu Generation weitergetragen.

Unkraut und Weizen

Interessant ist allerdings ebenso, was Schwerhoff – heute aufgrund des schrecklichen Antijudaismus und Antisemitismus gern verschwiegen – an Angriffen von jüdischer Seite gegen das christliche Glaubensgut aufdeckt: gegen das trinitarische Verständnis, gegen die Gottesmutter Maria, besonders gegen die Jungfrauengeburt, gegen Jesus selbst, der unter anderem als uneheliches Kind einer unmoralischen Frau verächtlich gemacht wurde. Im jüdischen Schrifttum, etwa dem babylonischen Talmud, oder in der jüdischen Sagensammlung Toledot Jeschu finden sich parodistische Polemiken. Der Jude Jesus wurde gemäß biblischer Überlieferung unter anderem als Häretiker der jüdischen Religion und Gotteslästerer verurteilt. Ebenso Stephanus.

Schwerhoff erwähnt trotz der vielen geschilderten Fälle allerdings auch, dass Blasphemie nie massenhaft verfolgt und auch nicht immer mit züchtigenden Leibstrafen, Prügel, Folter oder gar Tod aufs Schwerste bestraft wurde. Letzteres geschah sogar eher selten. Bei günstig gesonnenen Richtern kamen die Übeltäter mit dem Pranger vor der Kirchtüre oder Geldzahlungen davon. Leider geht Schwerhoff trotz seiner anklagenden Bemerkungen zu Augustinus und Johannes Chrysostomus, die Häretiker verbal drastisch bekämpften und harte Maßnahmen forderten, nicht darauf ein, dass im ersten Jahrtausend im Westen keineswegs die Tötung von Abtrünnigen und Frevlern verlangt, diese vielmehr abgelehnt wurde. Gemäß dem Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen sollte beides bis zur Ernte wachsen dürfen, Gott selber werde am Ende der Zeiten richten. Dazu wären Hinweise etwa auf Studien von Arnold Angenendt und Hans Maier hilfreich gewesen. Erst 1022 gab es, historisch gesichert, die erste bezeugte Ketzerverbrennung im Abendland.

Leider ergründet Schwerhoff ebensowenig die Psychologie der Blasphemie: warum die Leute besonders gern gerade das Heiligste und dies mit massiver (sexueller) Direktheit verächtlich machen. Dabei offenbart der Islam von heute, dass die Empfindlichkeit, das religiöse Ehrgefühl nicht schwindet, sondern eher zunimmt. „Gotteslästerung“ wird zusehends auf „Sekundäres“ übertragen, unter anderem auf den Koran oder auf Mohammed. Auch im christlichen Kontext mehren sich mit dem Glaubensverlust Kirchenschändungen oder Attacken auf Wegkreuze, Gipfelkreuze, christliche Bildstöcke und Ähnliches.

Schwerhoff tendiert dazu, den Straftatbestand der Gotteslästerung abschaffen zu wollen. In einer Zeit, in der sich – auch über die sogenannten sozialen Medien – Hass und Hetze allgemein und bevorzugt wieder gegen die christliche Religion ausbreiten, stellt sich die Frage, wie solcher Gewalt gegen Andersdenkende und Gläubige rechtliche Signale und Schranken entgegengesetzt werden können. Möglicherweise gibt es doch innere geistige Zusammenhänge zwischen der Verrohung einer Gesellschaft und der Verrohung gegen den Glauben. Ist Gotteslästerung wirklich nicht (mehr) gesellschaftsgefährdend?

Es stimmt ja: Von Gott mag selbst heute, bei einem entmythologisierten Bewusstsseinsstand, immer noch zu sehr menschlich gedacht werden. Doch stehen dem Homo sapiens eben keine anderen Denkmöglichkeiten zur Verfügung als menschliche. Und sei es in Analogien. Ob es Gott/dem Göttlichen, dem ganz Anderen aber tatsächlich „egal“ ist, dass und wie er/es „beleidigt“ wird, weiß kein Mensch, auch dieser Autor nicht. Die reichhaltigen Beispiele seines Buches sind unterhaltsam und lesenswert.

Ob und wie im dritten Jahrtausend mit Blasphemie, Beleidigung oder Verfluchung des Religiösen und mit Hetze gegen Religiöse umzugehen sei, darauf gibt dieses Werk jedoch keine zufriedenstellende Antwort. Schon gar nicht angesichts eines religiös-antireligiös überlagerten Zusammenpralls der Kulturen, wie ihn die Menschheit in diesem Ausmaß und derart global bisher nicht kannte. Gleichgültigkeit, bloßes Schulterzucken können keine angemessene Reaktion sein.

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Schwerhoff, Gerd

Verfluchte GötterDie Geschichte der Blasphemie

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 521 S., 29 €

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