Das Haus des Islam und sein Zustand

Ruud Koopmans und Ed Husain blicken aus zwei unterschiedlichen Perspektiven auf den Islam.

Wer sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzt, begegnet oftmals dem geradezu reflexhaften Vorwurf der Islamophobie. Dabei ist der kritische Blick auf eine Religion wie den Islam ohne Zweifel nötiger denn je, hat dessen Sichtbarkeit in den westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahren doch stetig zugenommen genauso wie seine Bedeutung als politischer Faktor in den internationalen Beziehungen. So wundert es nicht, dass kürzlich innerhalb weniger Tage zwei Bücher in renommierten Verlagen erschienen, die sich mit der Zukunft des Islam auseinandersetzen – und zwar in einer Welt, deren Fassade eines globalen Dorfes nur mühsam die Konflikte zwischen den Verfechtern säkularer Freiheitsrechte und den Anhängern traditionalistischer Lebensentwürfe verbirgt.

In „Das verfallene Haus des Islam“ geht der Soziologe Ruud Koopmans der Frage nach, warum viele Anhänger dieser Religion „im Bann des Fundamentalismus“ stehen – so der Titel des ersten Kapitels; in den sechs folgenden Kapiteln fragt er nach den Gründen, warum Demokratisierung, wirtschaftlicher Wohlstand und vor allem die Garantie individueller Freiheitsrechte an den meisten Ländern der islamischen Welt vorbeigegangen sind. Seine historisch-soziologische Analyse ist überzeugend – allein der Titel des dritten Kapitels „Die religiösen Wurzeln der Unfreiheit“ verspricht mehr, als er halten kann: Denn Koopmans nennt nicht religiöse Wurzeln in Form bestimmter Glaubensaussagen, sondern den Grund, weshalb Unfreiheit und Autoritarismus in islamisch geprägten Ländern triumphieren können: Er liege in der mangelnden Trennung zwischen staatlichen und religiösen Institutionen. Dieser völlig einleuchtende und überzeugende Befund gilt allerdings nicht nur für den Islam, sondern für jede Religion – insofern jede nicht von Staat und Politik getrennte Religion dazu neigt, zur Ursache von Fundamentalismus und Unfreiheit zu werden.

Völlig entgegengesetzt argumentiert Ed Husain – vor zwei Jahren erschien in London sein Buch „The House of Islam“ (Das Haus des Islam), das jetzt unter dem Titel „Weltoffen aus Tradition“ auf Deutsch vorliegt: Weltoffen, friedlich und tolerant sei der Islam – zumindest sei er es gewesen, bis er „vom Westen“ gedemütigt worden sei. Und damit meint Husain nicht nur die Kriege der vergangenen Jahre und nicht nur den Kolonialismus der vergangenen Jahrhunderte, sondern auch die Philosophie der Aufklärung mit ihren „abstrakten Vorstellungen von Menschenrechten“, die ohne Verständnis sei für religiöse Traditionen – deshalb stehe heute „das Haus des Islam in Flammen“. Gelöscht werden könne dieser Brand nur durch gegenseitige Toleranz, und diese habe schon immer zu den Werten des Islam gehört, der heute von Salafisten und Dschihadisten verfälscht und vom „Westen“ geringgeschätzt werde. Eine solche apologetische Position, welche die „wahre“ Religion gegen die verfälschte ausspielt, legt den Vorwurf der Islamophobie gegenüber all jenen nahe, welche ihre Kritik auf das öffentliche Erscheinungsbild der Religion beziehen und nicht auf deren Selbstbild.

Der folgende Satz aus Ruud Koopmans’ Islamkritik ist die lakonische Antwort auf Ed Husains propagierte Weltoffenheit des Islam: „Jeder, der glaubt, dass der real existierende nichts mit dem wahren Islam zu tun hat, wird die Frage beantworten müssen, warum dann so viele Muslime ihren Glauben missverstanden haben und warum der Islam offenbar so viel Raum für intolerante, repressive und gewalttätige Interpretationen lässt.“ Und auch dieser Satz lässt sich letztendlich auf jede Religion beziehen, welche in individuellen Menschen- und Freiheitsrechten lediglich eine „abstrakte Vorstellung“ sehen kann.

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