Alle Jahre wieder werden wir in der Adventszeit in den Geschäften oder auf dem Weihnachtsmarkt mit Musik beschallt. Anstatt Weihnachtsstimmung zu erzeugen, lässt diese jedoch mehr die kommerzielle Seite des Festes hervortreten. Dagegen
kann das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern auf denkbar einfache Weise dazu beitragen, dem Fest etwas Ursprüngliches zurückzugeben. Singen ist jederzeit möglich und während wir singen, tritt der Stress, der uns im Advent leider häufig begleitet, zurück. Außerdem hat das gemeinsame Singen viele andere positive Effekte, die für Kinder sehr wertvoll sind: Beim Singen wird Musik zum Gemeinschaftserlebnis, das Musizieren regt die Kreativität und die Entwicklung der Persönlichkeit an und stiftet kulturelle Identität.
Gerade der Stress und die Anforderungen im Alltag halten uns leider viel zu oft vom Singen und Musizieren ab. Möglichst früh versuchen wir, unsere Kinder bestmöglich auf spätere Anforderungen vorzubereiten, sie mit Naturwissenschaften, Fremdsprachen oder Informatik in Berührung zu bringen . Die bildungspolitische Realität spiegelt sich im Privaten in der Ausrichtung unserer Erziehungsbemühungen wider. Das Singen kommt dabei zwangsläufig zu kurz.
Keine Angst vor falschen Tönen
Und ganz so einfach ist es dann mit dem Singen zur Weihnachtszeit ja auch nicht. Wann haben wir das letzte Mal
gemeinsam mit den Kindern gesungen? Mit Mühe erinnern wir uns an den Text der ersten Strophe eines Liedes, danach herrscht Schweigen … Vielleicht doch lieber eine CD mit Weihnachtsliedern abspielen?
Wer das ganze Jahr über nicht singt, kann nicht erwarten, dass es im Advent plötzlich klappt, auch für die Kinder ist
das dann ungewohnt. Meiner Erfahrung nach werden Angebote zum Singen und Musizieren von ihnen jedoch gerne aufgenommen. Für mich war es immer selbstverständlich, meinen Kindern zum Einschlafen Lieder vorzusingen. Dabei kann man gar nichts falsch
machen. Den Kindern ist Textsicherheit und Sicherheit in der Stimme herzlich egal, es genügt der vertraute Klang der Stimmen von Vater und Mutter. Außerdem bietet der geschützte Rahmen ein ideales Feld, das eigene stimmliche Vermögen auszuprobieren und sich an das Singen heranzutasten.
Singen belohnt doppelt
Dass Singen guttut, spüren viele Sänger sehr deutlich, aber auch die Neurowissenschaften haben nachgewiesen, dass es „gesund“ ist. Die Mezzosopranistin und Gesangspädagogin Viola de Galgóczy hat zusammen mit dem Diplom-Pädagogen Gerhard
Friedrich diese positiven Effekte für Kinder in dem Buch Mit Kindern Stimme und Gesang entdecken (Beltz) beschrieben: Das limbische System im menschlichen Gehirn, welches maßgeblich am Emotions empfinden beteiligt ist, kann durch Musik stark beeinflusst werden. So können zum Beispiel Angst und Furcht gedämpft werden, indem wir singen. Wiegenlieder helfen Kindern beim Einschlafen, und wenn ein Kind die Treppe zum dunklen Keller hinab steigt, hilft ihm sein Gesang, das mulmige Gefühl zu vertreiben. Durch das Singen werden im Gehirn zudem das Motivations- und Belohnungssystem und damit die Ausschüttung von
körpereigenen Botenstoffen aktiviert – Dopamin erhöht die Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft, Oxytozin das
Gemeinschaftsempfinden und körpereigene Opioide sorgen für körperliches und seelisches Wohlbefinden.
Stimmentwicklung und Kinderalltag
Mit dem Eintritt in die Kita ist die sprachliche und stimmliche Entwicklung der Kinder noch längst nicht abgeschlossen.
Babys und Kleinkinder testen mit ungeheurer Ausdauer ihre Stimme aus: Da wird geplappert, geschnalzt, Wünsche und Empfindungen werden lautstark mitgeteilt, Laute und Sprachmelodien nachgeahmt. Das Singen mit den Kindern unterstützt nachhaltig ihre sprachliche und stimmliche Entwicklung. Im Kita-Alltag werden oft Lieder integriert, um diesen zu strukturieren, zum Beispiel zur Begrüßung, zum Essen, Schlafen, Aufräumen oder zum Abschied.
Schön ist es, wenn Eltern die musikalischen Erfahrungen der Kinder aufgreifen. Wenn Ihr Kind also auf dem Nachhauseweg ein Lied trällert, dann stimmen Sie mit ein. Wenn Sie Text und Melodie nicht kennen, dann fragen Sie nach: Ihr Kind wird sich über Ihr Interesse freuen.
Auch ältere Kitakinder profitieren sehr von regelmäßigen Sing- und Musikangeboten. Leider gibt es diese nicht in allen
Einrichtungen. Genauso wie viele Eltern scheuen sich ErzieherInnen, mit Kindern zu singen, wenn sie keine musikalische Ausbildung genossen haben. Die Kinder erwarten hier aber keine Perfektion, auch wenn sie Qualität durchaus schon erkennen können. Bewährt hat sich, die Familien zum gemeinsamen Singe in die Kita einzuladen. Vielleicht spielen ein Papa oder eine Mama Gitarre? Wichtig ist dabei, auf eine kindgerechte Tonhöhe zu achten und dass das Singen nicht in Geschrei ausartet. Die Kinder haben dafür meist selbst ein ganz gutes Gespür.
Mitsänger und Gelegenheiten finden
Dasselbe gilt natürlich auch für zu Hause. Warum nicht jetzt im Advent gemeinsam mit anderen Familien singen und musizieren? Vielleicht gibt es auch in Ihrer Nähe Angebote von privaten Trägern oder der Kirchengemeinde.
Zur Liedbegleitung kann ich das Spielen mit der Ukulele wärmstens empfehlen. Sie hat eine ideale Größe für Kinder, kann überallhin mit genommen werden und ist „kinderleicht“ zu lernen. Schon sehr schnell können damit einfache Lieder begleitet werden.
Wenn das alles noch nicht so gut klappt, ist das Mitsingen zu Liedaufnahmen zumindest ein guter Anfang. Es senkt die Hemmschwelle, denn die Musik vom Band stützt und trägt die eigene Stimme. Achten Sie darauf, dass die Kinder sich nicht zu sehr anstrengen müssen, sowohl was die Stimmlage als auch die Lautstärke angeht. Und Familien können natürlich
selbst auswählen, ob Wham! oder Weihnachstoratorium, Synthie-Weihnachtspop oder ansprechend arrangierte Weihnachtslieder ihren Advent musikalisch bereichern. Es müssen auch nicht die Weihnachtsklassiker sein. Es gibt genügend kindgerechte Musik, die auch für Erwachsene ansprechend ist und zum Singen animiert.
kizz Interview
„Körper, Geist und Seele im Einklang“
kizz sprach mit Elena Marx von Wir Kinder vom Kleistpark, einem gemeinnützigen Berliner Verein zur Förderung der musikalischen Bildung von Kindern, der Musikworkshops und Mitmachkonzerte veranstaltet.
Kommt die musikalische Bildung von Kindern heute zu kurz?
Ich denke ja. Musikalische Bildung sollte etwas Natürliches sein, das Kinder von Geburt an täglich und ohne Leistungsdruck begleitet. Durch die musikalische Betätigung werden die Motorik, das Sozialverhalten, die Konzentrationsfähigkeit und vieles mehr gefördert. Leider haben viele Erwachsene jedoch große Berührungsängste.
Wie profitieren die Kinder von Ihrem Angebot?
Sie lernen je nach Aufgabenstellung mittels Klängen und Bewegungen miteinander zu kommunizieren und sich als Team zu sehen. Außerdem erfahren sie choreografische Grundformationen und verschiedene Parameter der Musik wie Geschwindigkeit, Tonhöhe und Rhythmen, die sie durch Bewegung umsetzen. Dadurch entwickeln sie ein intensives Gespür für ihren Körper.
Sie veranstalten große Konzerte. Welche Rolle spielt die Gemeinschaft beim Singen und Musizieren?
Die Kinder tanzen gemeinsam in verschiedenen Altersstufen vom Kita- bis zum Teenageralter. Sie erleben, dass Musik Menschen verschiedener Generationen und Kulturen miteinander verbindet. Durch unsere Konzerte möchte ich auch die Zuschauer ermuntern, zusammen mit den Kindern zu singen und zu tanzen. Die Musik soll - neben all den Inhalten - Freude machen.
Was sind für Sie die schönsten Erlebnisse Ihrer musikalischen Arbeit?
Ich finde es schön, wenn Fragen der Herkunft unwichtig sind, wenn auf der Bühne alles ineinandergreift und durch das Gruppengefühl eine zauberhafte Atmosphäre entsteht. Vor allem aber auch, wenn das Publikum aufsteht und einfach mitmacht.