150 Jahre Kindheit-Jesu-VereinAuguste und die Sternsinger

Noch als Jugendliche gründete Auguste von Sartorius vor 150 Jahren in Aachen den Kindheit-Jesu-Verein. Aus ihm ging später das Kindermissionswerk hervor, dessen Sternsinger erfolgreich das Licht, das Auguste entzündet hat, in die Welt hinaustragen.

Sternsinger auf dem Weg durchs winterliche Berlin: So würde es dieser Tage im ganzen Land aussehen, wenn Corona nicht auch dies verunmöglicht hätte.
Sternsinger auf dem Weg durchs winterliche Berlin: So würde es dieser Tage im ganzen Land aussehen, wenn Corona nicht auch dies verunmöglicht hätte.© Foto: Stefan E. Haß / Kindermissionswerk

Im Lauf der Geschichte treten immer wieder Persönlichkeiten auf, die mit ihrem Charisma und ihren Visionen Bewegungen anstoßen. Meist stehen uns da berühmte Erwachsene vor Augen. Doch auch Kinder und Jugendliche gehören in diese illustre Reihe. Da sie ihren Weg oft unter bescheidenen Umständen beginnen, können sie sich ihren späteren Ruhm kaum vorstellen. Der Erfolg tritt ein, und die verwunderten Zeitgenossen fragen sich: „Wieso?“ Die Zeit war reif, heißt es oft ein wenig hilflos. Die Geschichte zeigt indes: Große Ideen entstehen nicht um ihrer selbst willen, sondern reagieren auf drängende Fragen ihrer Zeit und die Sehnsüchte der Menschen.

Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb die fünfzehnjährige Auguste von Sartorius Geschichte: Am 2. Februar 1846 gründete die gebürtige Aachenerin den Verein der heiligen Kindheit, auch Kindheit-Jesu-Verein genannt. Ein zeitgenössisches Porträt von ihr zeigt ein Mädchen mit feinen Gesichtszügen, gerahmt von dicken goldblonden Locken, die ein rosafarbenes Haarband mit Schleife bändigt. Im Hintergrund strahlt ein blauer Himmel im weißen Wolkenfeld. Es ist das offizielle Bildnis einer Angehörigen der Oberschicht, die eine glänzende Zukunft erwartet. Zwar mildert das niedliche weiße Kleid Augustes ernste Miene, aber der Betrachter ahnt, dass in dem goldfarbenen Rahmen eine starke Persönlichkeit steckt, die den traditionellen Erwartungen an eine Frau im 19. Jahrhundert ihren eigenen Stempel aufdrücken wird. Augustes Augen verraten ein wenig von der liebenswürdigen Intellektualität und dem Charisma, mit denen sie ihre Umgebung für ihren Kindermissionsverein einnahm und die sie später an die Spitze des Sacré-Cœur-Ordens führten – eine Karriere, die sie nicht angestrebt hat. Denn ihrem zur Kontemplation neigenden Wesen lag eher die Arbeit im Verborgenen.

Schon als Kind eine starke Persönlichkeit. Auguste von Sartorius in einem zeitgenössischen Porträt.
Schon als Kind eine starke Persönlichkeit. Auguste von Sartorius in einem zeitgenössischen Porträt.© Foto: Privat / Privat / Kindermissionswerk

Als Tochter eines Arztes am 1. März 1830 geboren wuchs Auguste in aufregenden Zeiten heran. Als Vorhut der Industrialisierung erlebte Aachen unternehmerische Erfolgsgeschichten, aber auch die Verlierer, die Kleingewerbetreibenden und Arbeiter. Katholische Laien und Priester versuchten, mit caritativen Initiativen die Armut zu lindern. Sie schlossen sich in Vereinen zusammen, auch um dem Bedeutungsverlust der Kirche entgegenzuwirken, die mit den Folgen der von Napoleon angestoßenen Säkularisierung kämpfte und sich einem übermächtigen preußischen Staatskirchentum gegenüber sah. Das sogenannte katholische Milieu bildete sich heraus, und Aachen entwickelte sich zu einem Zentrum der Ordensgründungen und der Mission.

Diese kirchliche Aufbruchstimmung begeisterte Auguste, die wie die meisten Mädchen aus ihren Kreisen einer marianischen Kongregation angehörte. Sie wurde Zeugin, wie 1844 die Fabrikantentochter Clara Fey die Gemeinschaft der Schwestern vom armen Kinde Jesus gründete, die sich vor allem für die Bildung von Mädchen einsetzte. Sie sah außerdem die Erfolge des Franziskus-Xaverius-Missionsvereins, den ein Freund ihres Vaters, der Arzt Heinrich Hahn, 1832 ins Leben gerufen hatte. Aus seiner Gründung – die wiederum auf den Allgemeinen Verein zur Verbreitung des Glaubens der Französin Pauline Jaricot zurückging – entstand das Internationale Katholische Missionswerk missio. Gründungen lagen also in der Luft. Auguste dachte dabei vor allem an die Kinder. Nachrichten über Not und Lebensgefahr für ihre Altersgenossen in China und Afrika ließen sie nicht los. Diese Ungerechtigkeit wollte sie nicht hinnehmen.

Über die konkreten Geburtswehen des deutschen Vereins der heiligen Kindheit gibt es mehrere Versionen. Eine besagt, die Gründung sei Augustes eigene Idee gewesen, was insbesondere ein späterer Brief nahelegt. Eine andere: Sie habe sich durch Zeitungsnotizen inspirieren lassen, in denen über das Œuvre de la Sainte Enfance berichtet worden war. Bischof Charles de Forbin-Janson von Nancy hatte dieses Werk bereits 1843 ins Leben gerufen. Er bat – in der Sprechweise der damaligen Zeit – Kinder darum, für „heidnische“ Altersgenossen in China zu beten und zu spenden. Dieser Verein breitete sich von Frankreich über Belgien aus. Auguste könnte diese Arbeit bei einem Besuch bei ihren Großeltern in Lüttich kennengelernt haben. Wieder eine andere Version lautet, ein Mitarbeiter des französischen Ursprungsvereins habe nach jemandem gesucht, der in der Erzdiözese Köln den Aufbau eines „Ablegers“ übernehmen könne – und Auguste sei ihm empfohlen worden.

Fest steht jedenfalls, dass Auguste den Verein mit großer Hingabe aufgebaut und geführt hat. Da formell kein Kind ein solches Werk leiten durfte, bildeten Erwachsene den Vorstand, unter ihnen auch Augustes Vater. Nach einem Jahr fast ausschließlicher „Ein-Mädchen-Arbeit“ bat sie den caritativ engagierten Kaplan Wilhelm Sartorius um Hilfe. Der Priester zögerte zunächst, weil er wohl eine Konkurrenz für den Franziskus-Xaverius-Verein witterte. Doch Auguste blieb hartnäckig, bis der Geistliche den Verein in seiner Pfarrschule vorstellte – und vom großen Interesse überwältigt war. Nach seiner Predigt kamen „nicht nur Mütter mit Säuglingen auf den Armen und begehrten für sie die Einschreibung, sondern nun begann aus anderen Pfarreien der Stadt die Kinderwanderung“, so die Jahrbücher des Vereins 1852.

Mitglied durfte jedes getaufte Kind werden. In der Regel dauerte die Mitgliedschaft bis zur Ersten Heiligen Kommunion, die damals mit etwa zwölf Jahren gefeiert wurde. 1851 beschloss der Pariser Generalrat des Ursprungsvereins, für die Aachener Gründung einen Verwaltungsrat einzusetzen, der nicht nur für die Erzdiözese Köln, sondern auch für die norddeutschen Bistümer zuständig war. Präsident wurde Wilhelm Sartorius, und Augustes Vaters versah das Amt des Schatzmeisters. Bald darauf erteilte der Kölner Erzbischof seine Genehmigung. Auguste erledigte buchstäblich aus dem Hinterzimmer sämtliche Korrespondenz, die Weiterleitung der Spenden nach Paris und die Versendung der Jahrbücher an die Mitglieder.

Als sie nach fast zehnjährigem Wirken 1855 in den Sacré-Cœur-Orden eintrat, kümmerten sich die Clara-Fey-Schwestern um die Vereinsarbeit. Der Kindheit-Jesu-Verein blieb auf der Erfolgsspur, überstand den Deutsch-französischen Krieg 1870/71, den Kulturkampf und zwei Weltkriege. Nicht weniger erfolgreich verlief Augustes Ordensleben. Trotz schwacher Gesundheit wurde sie mehrfach wider Willen Oberin, ging mit Freude von 1884 bis 1886 nach Amerika, um die Vikarie Lousiana neu zu organisieren, und wurde schließlich 1894 die vierte Generaloberin des Ordens. Realistisch schätzte sie ihre Kräfte ein: „Ich werde nur vorübergehen.“ Nach zehn Monaten im Amt starb sie 65-jährig am 8. Mai 1895 in Paris. Sie hinterließ zwei neue Ordenshäuser in Amsterdam und Schottland sowie ein Handbuch für den Philosophieunterricht. Auch hatte sie für den Orden das Geburtshaus der Gründerin Madeleine Barat gekauft, in dem ein Museum eingerichtet wurde.

So wollten sie 2021 losziehen ...
So wollten sie 2021 losziehen ...© Foto: Ben Pieper / Kindermissionswerk
Und so sah das vor knapp siebzig Jahren im Sauerland aus.
Und so sah das vor knapp siebzig Jahren im Sauerland aus.© Foto: Kindermissionswerk

Augustes größtes Vermächtnis bleibt jedoch ihr Missionsverein, der eine Bewegung mit weltweiter Ausstrahlung angestoßen hat. 1922 erhob Pius XI. ihn zum „Päpstlichen Werk“ und machte ihn zum Grundstein des Päpstlichen Kindermissionswerks „Die Sternsinger“. Seit 1959 ziehen alljährlich Kinder als Heilige Drei Könige gekleidet von Haus zu Haus, um den Segen Christi zu bringen und für Kinder in Not zu sammeln – wenn es nicht gerade durch Corona unmöglich gemacht wird. Sie tragen das Licht der Liebe, das Auguste von Sartorius entzündet hat, in die Welt hinaus.

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