Das Wahrheitsgewebe

Die Vielfalt unterschiedlicher Religionen theologisch ernstzunehmen und miteinander auch an der Basis ins Gespräch zu bringen, steht drängend auf der Tagesordnung – schon allein um des Friedens willen. Aber auch aus der inneren Sachlogik der Religionen selbst ergibt sich diese wechselseitige Würdigung zwingend. Setzen diese doch alle „Transzendenz“ voraus – und das mit dem Anspruch auf besondere Auslegung und vor allem auf Wahrheit.

Der Münsteraner Theologe Perry Schmidt-Leukel ist im deutschsprachigen Raum führend auf diesem Gebiet und plädiert seit langem für Pluralismus: Jede Religion ist demnach prinzipiell gleichwertig, und ihr ist entsprechend zu begegnen. Weder dürfen „die anderen“ exklusiv ausgegrenzt noch „inklusiv“ vereinnahmt werden. Beides käme einer Abwertung gleich. Das bedeutet keineswegs Relativismus, wie der Autor in diesem Buch deutlicher darstellt als früher. Vielmehr geht es um aufrichtigen, lernbereiten Dialog, denn jede Religion findet in der anderen Ergänzung, Bestärkung und auch Infragestellung.

Höchst anregend ist, wie Perry Schmidt-Leukel die naturwissenschaftliche Theorie der Fraktale (komplexer geometrischer Gebilde) nutzt, um das Wahrheitsgewebe und -gefüge in und zwischen den Religionen zu bestimmen und Zusammenhänge wie Dissonanzen zu markieren. Was Religionen voneinander unterscheidet, ist jeweils in ihnen selbst ein wichtiger Baustein – ähnlich den „Fraktal“ genannten Strukturen in der Natur, die durch verkleinerte Kopien ihrer selbst komponiert sind. Deshalb ist der inter- und intrareligiöse Dialog für den Begriff und den Ursprung der jeweiligen Wahrheit(sbehauptungen) theologisch so wichtig. Diese sind viel mehr ineinander „verschränkt“ als gemeinhin bewusst.

Nach christlichem Verständnis ist es der Heilige Geist selbst, der in Christus „allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein. Solcher Art und so groß ist das Geheimnis des Menschen.“ So erklärte es das letzte Konzil, und von da aus wäre theologisch weiterzudenken.

Das materialreiche Buch ist sehr gut lesbar. Es bringt eine Fülle wichtiger Perspektiven und provoziert weitere Klärung. Allerdings ist anzumerken: Die Texte sind ursprünglich Vorlesungen von Perry Schmidt-Leukel. Optisch abgesetzte Merksätze und Zusammenfassungen hätten den dicht gesetzten Fließtext deutlich leserfreundlicher gemacht. Auch Sachregister wären hilfreich.

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Schmidt-Leukel, Perry

Wahrheit in VielfaltVom religiösen Pluralismus zur interreligiösen Theologie

Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, 416 S., 36 €

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