Forscher aus aller Welt beugen sich in Rom über 200.000 archivarische EinheitenErforschung der Archive Pius’ XII. beginnt – und wird unterbrochen

Kirchenhistoriker aus der ganzen Welt haben Anfang März mit der Erforschung der vatikanischen Archivbestände aus der Zeit Papst Pius’ XII. begonnen. Wie der Heilige Stuhl mitteilte, beantragten mehr als 150 Forscher Zugang zu den Akten, von denen sie sich unter anderem Erkenntnisse über die Rolle des Pacelli-Papstes während des Zweiten Weltkriegs und im Umgang mit dem Holocaust versprechen. Unter anderem werden zehn Wissenschaftler aus den USA, sieben aus Israel, 14 aus Deutschland, 16 aus Italien und 20 aus Osteuropa an dem Material arbeiten. Allerdings wurden die Untersuchungen schon nach wenigen Tagen zunächst unterbrochen. Als Maßnahme gegen das Coronavirus wurden neben vielen anderen vatikanischen Einrichtungen auch die Archive vorübergehend geschlossen. Mit einer Wiedereröffnung wird derzeit nicht vor Ostern gerechnet.

Papst Franziskus hatte vor einem Jahr angekündigt, das Material zu Pius XII. freizugeben. „Die Kirche hat keine Angst vor der Geschichte. Im Gegenteil: Sie liebt sie“, so Franziskus damals. So hat die Forschung künftig Zugriff auf rund 200.000 sogenannte „archivarische Einheiten“ aus der Regierungszeit Pius’ XII. (1939–1958), wobei eine Einheit, zum Beispiel ein Karton, aus einigen wenigen bis hin zu 1.000 Blatt Papier bestehen kann. Das Material liegt in mehreren Archiven des Heiligen Stuhls, unter anderem dem früheren Vatikanischen Geheimarchiv (heißt neuerdings Vatikanisches Apostolisches Archiv) sowie den Archiven von Glaubenskongregation und Staatssekretariat. Der vatikanische Außenpolitikbeauftragte, Erzbischof Paul Gallagher, sagte zum Start der Forschungsarbeiten, man werde „klar die Anstrengungen erkennen, die Papst Pius unternahm, um den Hilfsgesuchen zugunsten der Verfolgten und der Bedürftigen in Lebensgefahr nachzukommen“. Außerdem würden die Dokumente den „Hass des Nationalsozialismus auf die katholische Kirche und den Papst“ belegen. Demgegenüber sagte der Oberrabiner der jüdischen Gemeinde in Rom, Riccardi Di Segni, es sei „sehr verdächtig“, dass bereits jetzt fertige Ergebnisse „auf dem Silbertablett serviert“ würden. „Bitte lasst die Wissenschaftler jetzt erst einmal ihre Arbeit machen.“ Nach Einschätzung des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf, der zu den akkreditierten Forschern in Rom gehört, wird eine erste Sichtung der Bestände rund zehn Jahre dauern.

Schon in den wenigen Tagen vor der Corona-bedingten Unterbrechung ihrer Arbeit haben die Forscher allerdings bereits erste Entdeckungen gemacht. So teilte der Münsteraner Historiker Matthias Daufratshofer mit, Entwürfe für eine bisher unbekannte Enzyklika Pius’ XII. im Archiv der Glaubenskongregation gefunden zu haben. Darin habe Pius über „moderne Irrtümer“ schreiben und dabei vor allem die Bereiche Moraltheologie, Autorität und Gehorsam in der Kirche sowie das Verhältnis von Kirche und Staat berühren wollen. Weitere Aussagen seien aber erst möglich, wenn er die Arbeit an dem Material wieder aufnehmen könne. Zu Lebzeiten veröffentlichte Pius XII. 41 Enzykliken.. Lucas Wiegelmann

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