Von der Seele schreiben

Johanna Beck, Redakteurin des CIG, hat gerade ihr sehr persönliches Buch „Mach neu, was dich kaputt macht“ veröffentlicht. Wie geht das: sein Innerstes nach außen kehren?

wie ein buch entsteht

Von der Seele schreiben

johanna beck, Redakteurin des CIG, hat gerade ihr sehr persönliches Buch „Mach neu, was dich kaputt macht“ veröffentlicht. Wie geht das: sein Innerstes nach außen kehren?

Ich habe noch nie wirklich Tagebuch geschrieben. Mit 14 habe ich einen Anlauf diesbezüglich gewagt – und mein „emotionales Gekritzel“ gleich danach in den Müll entsorgt, weil mir meine Seelenoffenbarung furchtbar peinlich war. Nun ist mein Buch Mach neu, was dich kaputt macht erschienen, das tatsächlich eine Mischung aus persönlichem Seelen-Zeugnis und sachlicher Kirchenreform-Anleitung ist. Wie ist es dazu gekommen?

Ich bin in eine katholisch-fundamentalistische Gruppierung hineingeboren worden, in ihrem inner circle aufgewachsen und habe dort sowohl geistlichen Missbrauch als auch sexualisierte Übergriffe erleben müssen. Um seelisch überleben zu können, habe ich als Jugendliche die Flucht aus einer für mich mit Triggern übersäten katholischen Kirche antreten müssen.

Nach vielen Jahren der „spirituellen Unbehaustheit“ durfte ich – durch Zufall oder Fügung – in der katholischen Kirche wieder eine Glaubensheimat finden. Eigentlich hätte jetzt alles gut sein können, aber die Schatten der Vergangenheit sollten mich kurze Zeit später wieder einholen: Im Herbst 2018 wurde die MHG-Studie veröffentlicht, und plötzlich wurde ich mit Erinnerungen und Bildern meiner Missbrauchserfahrungen überschwemmt, ich bekam Angst- und Schlafstörungen, und mein Leben geriet völlig aus den Fugen. Ich begann, meinen Fall aufzuarbeiten und ein kirchliches Verfahren in Gang zu bringen – mit entsprechenden psychischen Nebenwirkungen.

Mitten in meiner schmerzvollen Aufarbeitung, aus dem völligen Zusammenbruch heraus, entdeckte ich einen meiner größten Rettungsanker: die heilsame Kraft des Erzählens, genauer gesagt des Schreibens. Ich fing damit an, meine schlimmen Erinnerungen zur Sprache und zu Papier zu bringen. Endlich war es mir möglich, meine Erfahrungen zu verbalisieren, zu ordnen und auszulagern. Ich konnte sie mir – im wahrsten Sinne des Wortes – „von der Seele schreiben“. Und nicht nur das: Ich wandte mich unter dem Pseudonym „Madame Survivante“ auf Twitter und feinschwarz.net an die Öffentlichkeit, um mich aus meiner Ohnmacht zu befreien, um mich mit anderen Betroffenen zu vernetzen, um für das Thema Missbrauch zu sensibilisieren und um Kirchenverantwortliche aufzurütteln.

In den folgenden zwei Jahren wurde aus „Madame Survivante“ wieder Johanna Beck, ich schrieb für verschiedene Medien Beiträge über den katholischen Missbrauchsabgrund und andere (kirchliche) Themen und verfasste im Zuge dessen zu Ostern 2021 einen Beitrag für christ in der gegenwart mit dem Titel „Noli me tangere“. Darin paraphrasierte ich meinen Fall und leitete einen entsprechenden Imperativ an die Kirche ab. Dieser Text landete auf dem Schreibtisch des Cheflektors des Herder Verlages, und auf einmal stand die Frage im Raum: „Könnten Sie sich vorstellen, ein Buch zu schreiben?“

Ich dachte bislang immer, ich sei eher für kürzere Texte gemacht. Gleichzeitig stellte ich aber fest, dass die Frage, ob ich ein Buch schreiben solle, zunehmend in mir arbeitete und sich immer mehr Ideen zu einem groben Kapitel-Gerüst zusammenfügten: Ich wollte einen Blick zurück in meine Missbrauchs-Vergangenheit werfen, meinen schmerzvollen Aufarbeitungsprozess schildern und anhand meines Falls Reformforderungen an die katholische Kirche ableiten. Auch der Titel stand schon früh fest. Ich wollte mein Buch – in konstruktiver Abwandlung eines Lieds von Ton Steine Scherben – „Mach neu, was dich kaputt macht“ nennen. Ich sagte also zu, bekam eine wunderbare Lektorin an die Seite gestellt, schaltete mein sonstiges berufliches Leben für drei Monate auf „Mute“ und begann im Sommerurlaub 2021 mit der Niederschrift.

Rückblickend betrachtet gehört das Schreiben von Mach neu, was dich kaputt macht zu den ambivalentesten Dingen, die ich je getan habe. Auf der einen Seite musste ich dafür intensive Recherchen anstellen, tief in den Keller meiner Vergangenheit hinabsteigen und meine alten Wunden erneut aufreißen. Auf der anderen Seite durfte ich (neben der Tatsache, dass ich generell sehr gerne Texte verfasse) erneut die heilsame, befreiende und selbstermächtigende Kraft des Von-der-Seele-Schreibens erleben. Denn ich hatte zwar meine weiter zurückliegende Vergangenheit weitestgehend verarbeitet, nicht aber meinen strapaziösen Aufarbeitungsprozess selbst – allen voran die Bahnhofsszene im Kapitel „Turning Point“, von der bislang nur drei Personen wussten und die seitdem die größten Wellen geschlagen hat.

Im März 2022 ist mein Buch nun erschienen. Ja, es ist ein sehr privates und sehr persönliches Buch geworden. Manchmal fühlt es sich so an, als hätte ich ein 192-seitiges Tagebuch vollgeschrieben und dann auf einer Parkbank liegenlassen. Aber ich habe nicht nur aus therapeutischen Gründen so ausführlich „von der Seele geschrieben“, sondern auch, weil ich anderen Betroffenen zeigen will, dass sie nicht allein mit ihrem Schicksal und ihrem Schmerz sind. Weil ich verdeutlichen will, was für verheerende körperliche, seelische und spirituelle Folgen geistlicher und sexueller Missbrauch auch noch Jahrzehnte später haben kann. Und weil ich die Kirchenverantwortlichen damit aufrütteln und Veränderungen in der katholischen Kirche anstoßen möchte – denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Mach neu, was dich kaputt macht! CIG

johanna beck:

Mach neu, was dich kaputt macht

Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche

Verlag Herder, Freiburg 2022,

192 Seiten, 20 €

Anzeige: Meine Hoffnung übersteigt alle Grenzen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Philippa Rath und Burkhard Hose

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