KirchenaustritteDer Pfarrer soll zuhören (müssen): Kirchenaustritt nicht mehr im Standesamt

Der Schriftsteller Bernhard Schlink hat vorgeschlagen, dass der Kirchenaustritt nicht mehr bloß formalistisch gegenüber dem Staat erklärt wird. Wenn man dazu in die Pfarrei gehen müsste, bestünde immerhin die Chance auf ein klärendes Gespräch.

Wer aus der Kirche austreten will, sollte das künftig dort tun dürfen, wo dieser Schritt hingehört, in der Pfarrei, möglichst bei einem Geistlichen, und nicht bloß formalistisch im Standesamt oder Amtsgericht. Das schlägt der Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink in der „Frankfurter Allgemeinen“ vor. Diese Umstellung werde die Zahl der Austritte zwar nicht wesentlich verringern, aber sie „macht aus dem Pfarrer als hilflosem Beobachter von Austritt zu Austritt einen Handelnden, einen Beteiligten“.

Viele Austrittswillige hätten noch nicht gänzlich mit dem christlichen Glauben abgeschlossen. Nicht wenige entscheiden sich zu dem Schritt, „obwohl sie noch an Gott glauben. Aber sie glauben nicht mehr an die Kirche.“ Diese Menschen haben oft „ein großes Mitteilungs- und Rechtfertigungsbedürfnis“, haben aber die Hoffnung auf echte Reformen verloren oder sehen die Kirchen nur noch als weltpolitische Größen, „deren Stimmen zum gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr und nichts anderes beitragen als alle möglichen anderen gesellschaftlichen Stimmen“. Die Kirchen hätten demnach ihr religiöses Alleinstellungsmerkmal aufgegeben. Bei den staatlichen Stellen sind solche Beschwerden und Argumente allerdings an der falschen Adresse. Wäre der Austritt Sache des Seelsorgers – und es ist seine vornehmste Aufgabe, dem „verlorenen Schaf“ nachzugehen oder auch dem Verlust vorzubeugen –, hätte er die Möglichkeit, von Angesicht zu Angesicht mehr über die Ursachen des Unwillens, des Ärgers, der die Entscheidung herbeigeführt hat, zu erfahren und ein letztes Gespräch mit Menschen zu führen, „die zur Gemeinde gehören, aber nicht am Leben der Gemeinde teilnehmen“.

Dabei betont Schlink, dass es nicht darum gehe, Austrittswilligen ihren Entschluss mit allen Mitteln auszureden. Anders als ihm womöglich Kritiker vorwerfen, soll niemand gegen seinen Willen in Debatten verwickelt werden: „Wenn sie nur die Austrittserklärung unterschreiben und die Bescheinigung mitnehmen wollen, muss das genügen.“ Im Einzelfall könnte es aber doch zu einem spontanen Umdenken kommen. Grundsätzlich geht es Schlink in der Frage auch um den gegenseitigen Respekt zwischen Gemeindemitglied und Pfarrer. „Wo ein zwischenmenschliches Verhältnis ernstgenommen wird, wird es nicht beendet, indem eine Stelle, die mit dem zwischenmenschlichen Verhältnis nichts zu tun hat, angerufen wird.“ Aus der Religionsfreiheit lasse sich auch kein Recht herleiten, bereits beim Austritt vom Kontakt mit den Kirchen verschont zu bleiben.

Unterstützung bekam Schlink von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Sprecher betonte, dass es ein großes Interesse gebe, mit Austrittskandidaten ins Gespräch zu kommen. Grundsätzlich sei man für neue Vorschläge aufgeschlossen und nehme „konstruktive Anregungen ins Nachdenken auf“. Innovativ an Schlinks Idee ist, dass sich die Geistlichen nicht mehr hinter standardisierten Schreiben bürokratisch verschanzen können, die bloß nachträglich an die Ausgetretenen versandt werden. Vielmehr werden die Seelsorger unmittelbar mit den Problemen, kirchlich erzeugten Kränkungen oder auch Glaubensfragen und Glaubenszweifeln der betreffenden Personen konfrontiert. Es wäre bedeutsam, auch für die Kirche und ihr Amt, zu lernen, sich zu korrigieren und den Glauben angesichts der Realität kritisch zu hinterfragen, auf die Höhe der Zeit zu bringen.

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