MessianismusEin unerwarteter Anfang

Lange galt als sicher: Der Messias wird sich in Jerusalem offenbaren. Doch Jesus geht einen anderen Weg – und rückt ein lange hart umkämpftes Gebiet ins Rampenlicht.

Den Auftakt des öffentlichen Wirkens Jesu verbindet der Evangelist Matthäus mit Weihnachten und Ostern. Er hat ein Gespür für die Irritation, dass mit Jesus der Messias, der in der Tradition des Königs David erwartet wird, nicht in Jerusalem zu wirken beginnt, sondern hoch im Norden des Landes Israel: dort, wo niemand einen messianischen Aufbruch erwartet – bis auf diejenigen, die ganz genau in die Heilige Schrift schauen.

Was in der christlichen Liturgie mit dem Weihnachtsfest verbunden ist, sieht Matthäus als Hintergrund des öffentlichen Wirkens Jesu: „Das Volk, das im Dunkeln saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen“ (Jes 9,1). Matthäus hat auf den Zusammenhang dieser Verheißung geachtet. Denn unmittelbar vorher (in Jes 8,23) ist eine kleine Theologie Galiläas angelegt, eine biblische Geografie von hoher Symbolik und politischer Brisanz: Die Stämme Naphtali und Sebulon werden in Erinnerung gerufen, die längst im Strudel der Geschichte untergegangen zu sein scheinen, aber im Gedächtnis des Gottesvolkes lebendig geblieben sind. Die „Straße am Meer“ wird genannt, die viamaris, die den See Genezareth entlangführt. Das Gebiet „jenseits des Jordans“ wird beleuchtet, das viele Zeitgenossen des Evangelisten als feindliches Ausland abgeschrieben haben, das aber in Gottes Augen keineswegs verloren ist, sondern neu ins Rampenlicht gerückt wird.

Wer sich mit der langen Geschichte dieses Landes, des ehemaligen Nordreiches, beschäftigt, wird mit Macht auf die Finsternis gestoßen und die Schatten des Todes: Exil und Vertreibung, Besatzung und Fremdherrschaft haben über Jahrhunderte die Zeitläufte bestimmt. Zur Zeit Jesu ist Galiläa gerade einmal hundert Jahre wieder für das Judentum gewonnen worden, im Gefolge eines Krieges und durchaus nicht ohne Zwang und Gewalt.

Aber Jesaja und mit ihm Matthäus sind nicht an einem Horrorgemälde interessiert. Im Gegenteil: Gerade weil es dort so lange so schlecht lief, leuchtet in Galiläa besonders hell das Licht Gottes auf, das Licht der Erlösung. Von Jesus erzählt Matthäus gleich im Anschluss, dass er die „Straße am Meer“ entlanggegangen sei, um dort seine ersten Jünger zu gewinnen, die als Fischer ihrer Arbeit am See nachgegangen sind. Er wird sie zu „Menschenfischern“ machen und mit ihnen auf große Fahrt gehen, über den Jordan und bis ans Ende der Welt.

Dies ist freilich erst die Perspektive von Ostern. Nach Matthäus erscheint Jesus seinen Jüngern nach seiner Auferstehung auf dem Berg in Galiläa und sendet sie „bis ans Ende der Weltzeit“, um aus allen Völkern Jüngerinnen und Jünger zu gewinnen, die sich taufen lassen und von Jesus so lernen, dass sie andere lehren können, gut zu lernen, um wieder in der Schule der Nachfolge lehren zu können, ein fortlaufender Prozess von Generation zu Generation (Mt 28,16–20).

Dieser Aufbruch ins Weite ist mit dem Anfang in Galiläa verknüpft. Denn es heißt im Jesajawort, das Matthäus aufgreift, „Galiläa der Heiden“. In dieser Bezeichnung spiegelt sich die Geschichte, aber auch die Zusammensetzung der Bevölkerung, die nämlich auch zur Zeit Jesu und des Evangelisten in nicht unerheblichem Maße „heidnisch“, also nicht jüdisch gewesen ist. Einige mögen darin einen theologischen Standortnachteil gesehen haben: zu viele Fremde, zu viel Aberglaube, zu viel Welt, wo Gottes Wort regieren sollte. Matthäus hat es, mit Jesaja, anders gesehen: Galiläa ist der Vorposten Israels für die Weltmission, die denkbar beste Schnittstelle zu den Völkern, die „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19) mit Gottes Wort in Kontakt kommen sollen, mit den heiligen Traditionen Israels, mit seinem verheißungsvollen Glauben an den einen Gott.

Der Aufbruch in Galiläa kommt nicht an ein Ende; er beginnt immer neu, wenn es nach Jesus geht.

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