KirchenbesichtigungHeilige (T)Räume

Die Gottesdienste bleiben leer, aber die Gotteshäuser sind voll. Warum Kathedralen und Hauptkirchen noch immer Scharen von Touristen anziehen – und was das über unsere Beziehung zum Heiligen aussagt.

Gotteshaus statt Gottesdienst: Während der Kirchenbesuch selbst zu Weihnachten auch diesmal in vielen Pfarrgemeinden weiter nachgelassen hat, strömten die Menschen in den Urlaubstagen zwischen den Jahren in Scharen in Hauptkirchen und Kathedralen. Selbst in ländlichen Gegenden haben die heiligen „Schmuckstücke“ zahlreiche Besucher angezogen, weit mehr als die Liturgien. Schauen – staunen – überwältigt werden. In einer durch die digitalen Medien neu erweckten inflationären Kultur der Bilder sehnen sich die Menschen noch mehr nach dem besonderen Besonderen, das sie nicht jeden Tag durch Allerweltsnachrichten und Allerweltsevents zu Gesicht bekommen. Eine touristisch imprägnierte Schaufrömmigkeit eigener Art hat sich herausgebildet, die ganz ohne Kult auskommt, aber auf das „Kultige“ keineswegs verzichten möchte: auf Größe, Schönheit, Macht.

Nach wie vor befriedigt die eigenwillige Atmosphäre sakraler Architektur diese Schaulust auf das Ungewöhnliche – sogar mehr noch als früher. Es sind vor allem die Bau-Zeugnisse einer einst das ganze Leben durchdringenden christlichen Epoche, die in nachchristlicher Zeit die Erinnerung an das ganz Andere des Göttlichen wachhalten, selbst wenn es in diffusen Anschauungen, im Vagen verschwimmt. Der Menschheit bleibt so das wahre Göttliche erhalten jenseits der irdischen Übertragungen auf Opernsängerinnen, Models und Showstars, denen als aus der Masse der Gewöhnlichen herausgehobenen Diven – Göttlichen – gehuldigt wurde und wird.

Das echte Göttliche leuchtet weiter hinein in diese Welt, in Maßwerk und Glas, in Skulptur und Bild, im farbigen Glanz wie im wundersam aufgetürmten Stein, in der Feinsinnigkeit einer himmelwärts strebenden filigranen Erhabenheit, die selbst im Gewölbe, in der Kuppel, in Turmspitzen nicht endet – wo das Auge oft nur noch mit Mühe hinreicht. Stille Anwesenheit des Entzogenen im unbewussten voyeuristischen Beten. Heiliger Schauer für die Minuten einer schweigsamen Prozession schweifenden Träumens durch Raum und Zeit. So ist Gott: einfach da, unauffällig, absichtslos, zufällig, ohne dass der pilgernde Mensch einen Gedanken an ihn, den Mitwandernden, hegen muss. Was die Ahnen des Glaubens über Jahrhunderte errichteten, spricht als Wunder selbst jene noch an, die deren Sprache verlernt haben. Was für eine Verpflichtung für heute: statt abzureißen oder zu entwidmen neue heilige Räume der Andersheit in jetziger Zeit-Geisteskraft zu schaffen für staunende Generationen in womöglich sehr ferner Zukunft. Mit Mut, Mut, Mut, der Größe, Schönheit und Macht nicht scheut. Zur größeren Ehre Gottes und zur Ehre des kreativen, nachdenklichen, neugierigen weisen Wesens Mensch.

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