Reinhold Stecher, die Nazis und der WeltkriegDas Grauen und der blaue Himmel

Nur wenige deutschsprachige Bischöfe sind Jahre nach ihrem Tod noch so wirkmächtig wie der 2013 gestorbene Reinhold Stecher. Der heiter-kritische, sprach- und schreibgewandte Tiroler Kirchenmann setzte sich zur Entspannung oft vor die Staffelei, um seine geliebte Tiroler Bergwelt in Aquarellen zu verewigen. Aus den Gemälden und seinen Büchern mit einer Gesamtauflage von rund 750000 Exemplaren fließt nach wie vor viel Kapital in gute Zwecke. Elf Versteigerungen seiner Bilder erbrachten bislang über eine Million Euro für Brunnenprojekte hauptsächlich in Mali. Die nächste Versteigerung folgt im März.

Wer den außergewöhnlichen Geistlichen von einer besonderen Seite kennenlernen will, lese das aus dem Nachlass herausgegebene Buch „Der blaue Himmel trügt“. Es versammelt Erinnerungen Stechers an die Zeit des Dritten Reichs, die auch die besondere Brutalität und Rechtlosigkeit unter den Nazis im Kirchenkampf in Tirol aufzeigen. Fast drei Monate saß Stecher als junger Seminarist wegen der Teilnahme an einer verbotenen Wallfahrt in Gestapo-Haft. Erst im letzten Moment wurde er von der Transportliste ins Konzentrationslager gestrichen. Was folgte, war der Krieg an der Front.

Als Funker bei den Gebirgsjägern war Reinhold Stecher vier Jahre an der Front in Nordrussland, dann im gefürchteten Waldkrieg in Karelien, bevor er im Trondheim-Fjord in Norwegen in britischer Gefangenschaft das Ende der Kämpfe erlebte. Das Grauen des alltäglichen Krieges sah Stecher auf Freundes- wie Feindesseite, etwa wenn er russische Kinder beobachtete, die tote Soldaten nach Brotresten durchsuchten. Bei klirrender Kälte trat ein Kamerad auf der Suche nach Holz auf eine russische Mine, die ihn in Stücke riss. Die mörderische Kesselschlacht von Demjansk am Karfreitag 1942 mit unvorstellbaren Verlusten verschaffte dem Frontsoldaten eine Auszeit: Mit einem glatten Armdurchschuss landete er in einem Lazarett in Litauen, wo es zu einer denkwürdigen Begegnung mit Alfred Rosenberg kam, dem rassenideologischen Vorkämpfer des Nationalsozialismus.

Mit jedem toten Kameraden stieg bei Stecher der Druck und stellte sich die Sinnfrage. In der Isolationshaft in Innsbruck lernte er das Rosenkranzgebet schätzen. An der Front in Russland und in Karelien – wo „der blaue Himmel trügt“, weil hinter jedem Baum der Tod lauert – war es die stille Übereinkunft Gleichgesinnter bei heimlich gefeierten Messen, die ihn aufrichtete. In einer ergreifenden Passage zitiert der Autor Strophen aus Ludwig Uhlands Lied „Der gute Kamerad“ parallel zu einem Kampfgeschehen, in dem Rudi, sein Freund und Kamerad, fiel. „Die Trommel schlug zum Streite“ und eine „Kugel kam geflogen, / gilt sie mir, oder gilt sie dir?“ Ihn, Rudi, „hat es weggerissen, / er liegt vor meinen Füßen, / als wär’s ein Stück von mir.“ Wenn die Erinnerung an solches Grauen kalt aufsteigt, stärkt allein die gläubige Hoffnung. „Alle sind in der Hand Gottes, ich glaube an die Existenz aller Lebenden, die bei Gott sind“, bekennt er.

Das Buch ist keine Heldensaga. Es liest sich erschütternd, tröstend und dann wieder erheiternd, wenn etwa Stecher seine Zeitgenossen im Stil einer Karikatur einfängt. Vor allem aber ist es politisch: Es zeigt auf Schritt und Tritt, wie zerbrechlich unsere Zivilisationsdecke ist – und was passiert, wenn sie dann tatsächlich zerbricht. Das ist hochaktuell in einer Zeit, in der selbst ein Bundestagsabgeordneter ungestraft den Nationalsozialismus als „Vogelschiss der Geschichte“ verharmlosen kann.

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