Orthodoxe NationalkircheUkrainische Wünsche, russische Tragik, westliche Fehler

Die Gründung einer eigenen, unabhängigen orthodoxen Nationalkirche in der Ukraine, verbunden mit der endgültigen Abtrennung vom Moskauer Patriarchat, betrachtet der Wiener Kardinal Christoph Schönborn mit gemischten Gefühlen. Er verstehe zwar, dass es gemäß dem orthodoxen Kirchenverständnis bei der politischen Unabhängigkeit eines Staates auch eine eigenständige orthodoxe Landeskirche geben könne. So sei die Verleihung der Eigenständigkeit – Autokephalie – an Kiew durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel kirchenrechtlich völlig in Ordnung (vgl. CIG Nr. 51/2018, S. 564). Trotzdem beurteilt Schönborn den Kirchenstreit als „tragisch“: „Nicht dass ich es der Ukraine nicht gönnen würde“, aber das Geschehen „reißt tiefe Wunden in die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ukraine und Russland“.

Die Ukraine sei immer ein „Saatboden“ für das Leben der russischen Kirche gewesen. In der Ukraine befinden sich weiterhin sehr viele russische orthodoxe Pfarreien und Gläubige. Viele bedeutende Bischöfe stammen von dort. Kiew sei der Geburtsort der russischen Orthodoxie. „Mit der Ukraine verliert die russisch-orthodoxe Kirche ein Kernland.“ Daher war auch die politische Unabhängigkeit der Ukraine für Moskau von Anfang an nur schwer zu akzeptieren.

Kritisch äußerte sich Kardinal Schönborn ebenfalls zur Politik des Westens. Er habe die Ukraine zwar zur Unabhängigkeit ermutigt, Kiew aber nicht in gleicher Weise zur Bewahrung der historischen und kulturellen Verbundenheit mit Russland gedrängt. Das westliche Konzept einer „Ukraine als Bollwerk gegen Russland“ müsse von den Russen psychologisch und politisch als Aggression gedeutet werden. Dabei wäre es doch eigentlich die Aufgabe der Ukraine, eine „Brücke zwischen Russland und dem Westen“ zu bilden. Nun aber habe man einen „unseligen Konflikt“, und die Schuld daran liege auf allen Seiten.

Auch für die katholische Kirche sei die Situation sehr schwierig: „Wie soll der Vatikan mit der neuen autokephalen Kirche in der Ukraine umgehen? Wenn er sie anerkennt, kommt es zum Konflikt mit dem Moskauer Patriarchat. Tut er es nicht, gibt es einen Konflikt mit dem Ökumenischen Patriarchat.“ Der innerorthodoxe Streit belastet daher schwer auch die weitere Ökumene.

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