Die Anbetung der Könige im Schnee von Pieter Bruegel d. Ä.Drei Könige im Schnee

Pieter Bruegel der Ältere war Zeitkritiker, Moralist, Zyniker und Philosoph. In vielen Werken übertrug er das Neue Testament in die Welt Flanderns. Wegen seiner bäuerlich gestimmten Bilder wurde er auch „Bauernbruegel“ genannt. Es wäre jedoch angemessener, ihn „Weltenbruegel“ zu nennen.

© Foto: Katalog/Kunsthistorisches Museum Wien (1567, Öl auf Eichenholz, 35 cm × 55 cm, Sammlung Oskar Reinhart, Winterthur)

Ein dichtes Schneetreiben, wie es nie zuvor gemalt wurde, hüllt ein flämisches Dorf in weißes Licht. Die Bäume sind kahl. Die tief herabgezogenen Strohdächer und der Erdboden sind schneebedeckt. Ein Kind schlittert über das Eis des Dorfweihers. Vermummte Männer holen in Holzkübeln Wasser aus einem Loch im Eis. Andere schneiden Brennholz von umgestürzten Bäumen. Sechzehn Männer und Frauen mit Schnee auf ihren Schultern, Hüten und Kopftüchern drängen sich nach links. Zwei hochbeladene Esel folgen dem Zug. Dahinter sind im Schneetreiben weitere Männer, einige mit Waffen, zu erkennen.

Die hier abgebildete kleine Holztafel (35 cm × 55 cm) zeigt eine dicht verhüllte Frau mit einem Kind auf dem Schoß, die das Ziel der Menschen sind. Beide sitzen unter einem löchrigen Strohdach am linken Rand. Zwei Männer haben sich vor ihr auf den Boden geworfen: einer mit einem goldenen Mantel, ein anderer, weißhaarig, rot gekleidet. Ein Afrikaner, gelb gekleidet, steht dicht daneben. Von seinem schwarzen Kopf heben sich zwei weiße Schneeflocken deutlich ab. Leibwächter mit hautengen Hosen, Degen und Hellebarden sorgen für die Sicherheit der prominenten Besucher.

Die Holztafel aus Winterthur ist links unten bezeichnet mit MDLXIII B. Sie wird zu Recht „Die Anbetung der Könige im Schnee“ genannt. Im selben Jahr malte Pieter Bruegel der Ältere (1525–1569) in sommerlichem Grün eine „Flucht nach Ägypten“, die sich heute in London, in der Sammlung Courtauld befindet. Das Thema der Anbetung der Könige hat Pieter Bruegel noch einmal 1564 (London National Gallery) und zuvor, 1556, auf eine Leinwand (heute in Brüssel) gemalt. In beiden Versionen vermitteln die vielen Bewaffneten und die Mimik der Akteure einen unheimlichen Eindruck. Es ist wie ein Verweis auf den von Herodes angeordneten Mord an den Kindern von Bethlehem. Davon ist in unserem Bild aber noch nichts zu spüren. Die Könige üben den Kniefall vor dem Christkind, wie es seit Jahrhunderten in der Bildtradition üblich war. Das Steinhaus rechts ist halb zerfallen, mit Balken gestützt. Es erinnert an das Haus David. Hoch, groß und ruinös steht es dem kleinen Kind in der Ecke gegenüber.

Nachdem alle Gebäude, Bäume und Figuren gezeichnet und gemalt waren, hat Pieter Bruegel mit spitzem Pinsel die Schneeflocken gesetzt, kleine als weiße Tupfer mit der Pinselspitze, größere durch einen stärkeren Aufdruck. Dabei spreizten sich die Pinselhaare und hinterließen durchsichtige Flecken wie Schneekristalle. Gleichmäßig füllen die Flocken die Bildfläche vom grauen Himmel oben bis zu dem Dorfteich unten. Sie verdecken sorgfältig ausgemalte Einzelheiten. Wie eine Gardine schiebt sich ein Schneevorhang zwischen das Bild und seine Betrachter. So hatte noch nie jemand den Winter gemalt. Warum der Schnee? Warum hat der Maler Palästina mit Flandern vertauscht? Und die Akteure in zeitgenössische Kleider gesteckt? Die Heilige Schrift, hier das Matthäusevangelium (2,1–12), geht die Zeitgenossen an, überall, auch in Flandern. Wir wissen, dass dies keine fromme Deutung von heute ist, denn Bruegel hat in all seinen Zeichnungen, Kupferstichen und Gemälden das Hier und Heute seiner Zeit beobachtet und kritisiert. In großen vielfigurigen Zeichnungen, die als Kupferstiche veröffentlicht wurden, hat er die Tugenden und die Laster seiner Zeitgenossen beobachtet, karikiert und angeprangert. Die Bildtradition der Allegorie, zum Beispiel den Hochmut durch einen Pfau darzustellen, hat er durch Bilderzählungen erweitert, einen Barbierladen, eine Kröte, die sich im Spiegel bewundert, und durch Monster, die von Hieronymus Bosch angeregt sind. Die von der Theologie der Scholastik entwickelten und im Konfessionsstreit seit 1520 aktualisierten Kataloge von Tugenden und Lastern benutzte der Maler als Mikroskop der Zeitdiagnose.

Welttheater mit Gewimmel

Seine Heimat, das reiche Brabant und Flandern, war, nachdem der Habsburger Kaiser Karl V. 1555 abgedankt hatte, zu einer Provinz Spaniens geworden, die 1713 österreichisch wurde. Pieter Bruegel erlebte noch den Aufstand der Niederlande und seine blutige Unterdrückung durch Herzog Alba 1567. Mit ihr begann ein Religionskrieg, der in den Niederlanden achtzig Jahre, in Deutschland von 1618 an dreißig Jahre dauerte.

Wie ein ferner Donner wird der Wahnsinn des Krieges in Pieter Bruegels späten Bildern vorausgeahnt. Im „Kampf zwischen Fasching und Fasten“, wie es in der großen Bruegel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien heißt, setzte er Völlerei, Mummenschanz, Tanz und Musik so gegen Hunger, Bettelei, Frömmelei, Krankheit und Tod ab, dass keine Partei recht behalten konnte. Im Bild der „Kinderspiele“ sieht man mehr als 230 Kinder bei rund neunzig verschiedenen Belustigungen: von Blinde Kuh über Huckepacktragen, Puppenspiele, „Messelesen“ bis hin zum Schwimmen, Ringen und Reifenrollen. Kindliche Freude, Stolz, Neid und aggressive Wut spiegeln sich in Gesichtern und Haltungen, ein Welttheater im Kinderspiel.

Ganz unheimlich wurden die letzten Bilder Bruegels, wenn etwa ein Zug von Blinden, die sich mit Stöcken tastend an der Hand führen, in einen Fluss stürzt (Neapel, nicht in der Ausstellung). Oder die Zeichnung der Imker, auf der dicht vermummte Männer hinter Strohmasken mit Bienenkörben hantieren, blind, gesichtslos – sinnlos?

Ihn den „Bauernbruegel“ zu nennen, mag der Unterscheidung von seinem Sohn Jan dienen, der auch „Blumenbruegel“ genannt wird. Das verengt aber den Horizont. Bauern hat Pieter der Ältere oft bei deren Arbeit im Jahreslauf gemalt. Drei seiner Jahreszeitenbilder sind in Wien versammelt. Man sieht die Bauern bei Hochzeit, Fest und Tanz, aber ebenso die Könige Saul und Nimrod, den Apostel Paulus und die Passion Christi. Immer muss man die Hauptfigur suchen im Gewimmel der vielen Reiter, Soldaten, Henker und Schergen, der Maurer, Knechte und Hirten, der Bäuerinnen und Kinder. Alle sind mit allem beschäftigt, mit dem, was Menschen tun, auch einander antun, im weiten Blickfeld flandrischer Dörfer und Städte, grüner Täler, blauer Berge unter einem hohen Himmel. Den „Weltenbruegel“ müsste man ihn eigentlich nennen.

Pieter Bruegel der Ältere ist zwischen 1525 und 1530 in Bree, Breda oder Breugel geboren, lernte die Malerei bei Pieter Coecke van Aelst und dessen Frau Mayken. Ab 1552 reiste er zwei Jahre lang nach und durch Italien, besuchte besonders Rom, Reggio Calabria und Venedig. Auf der Reise hat er die Berge und Felsen der Alpen verschluckt und sie dann später auf seine Leinwände gespuckt, wie Karel van Mander 1604 formulierte. Ab 1554 arbeitete Bruegel als Zeichner und Maler in Antwerpen. 1563 heiratete er die Tochter seines Lehrers und zog nach Brüssel, wo er 1569 starb. Seine Söhne Pieter Bruegel der Jüngere und Jan Bruegel wurden ebenfalls Maler und haben die Bilder ihres Vaters kopiert.

Die stets dicht gefüllte Wiener Ausstellung, die soeben wegen des großen Interesses bis 3. Februar verlängert wurde, heißt im Untertitel „Die Hand des Meisters“. Sie erschließt 87 Originale mit raumhohen Vergrößerungen, auf denen die unwahrscheinliche Fülle an Figuren, Geräten, Häusern, Städten, Bäumen und Bergen in Bruegels Bildern ausgebreitet wird. Ausführlich werden Maltechnik und Restaurierungsmethoden erklärt. Sogar die verschmutzten Wattebäusche, mit denen ein Bild gereinigt wurde, werden gezeigt. Damit reflektiert die Ausstellung einen Wandel der Kunstgeschichte, der von der Deutung zur Dokumentation führt, von der wissenschaftlich schwer zu objektivierenden Frage nach dem Sinn der Bilder hin zu deren Technik.

Der Katalog wird herausgegeben von Sabine Haag. Er hat 304 Seiten, mit 240 Abb.; im Buchhandel 49,90 €. Eine digitale Begleitpublikation, deren Link im Katalog mitgeteilt wird, enthält weitere Essays.

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