Gestresste ElternIn Balance bleiben

Das Phänomen sich ständig überfordert fühlender Eltern ist weit verbreitet. Warum es heute anstrengend ist, Eltern zu sein, und wie Familien trotz aller Belastungen ihr Gleichgewicht finden

Optimal ist anders? Machen Sie sich nichts draus…
Optimal ist anders? Machen Sie sich nichts draus…© Westend61 - Getty Images

Viele Eltern sehen sich im Alltag permanent gestresst und unter Druck gesetzt. Das ist keineswegs nur eine gefühlte Wahrnehmung, sondern auch das Ergebnis zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen wie der „Achtsamkeitsstudie“ der Universität Bielefeld. Dafür haben die Forscher um den Sozialpädagogen Holger Ziegler 1 100 Eltern nach ihrer Lebenszufriedenheit gefragt. 20 Prozent von ihnen gaben an, durch ihre Elternrolle gestresst zu sein, 32 Prozent leiden unter der Belastung durch beruflichen Ärger und 45 Prozent klagen über Probleme im Privatleben. Fast die Hälfte der Eltern berichtet zudem, sich häufig niedergeschlagen oder erschöpft zu fühlen. Woher kommt dieser massive und als bedrohlich erlebte Stress? Eigentlich ist der Alltag für moderne Familien doch einfacher geworden, oder? Dafür sorgen Haushaltshelfer wie vollautomatische Saugroboter oder Küchenmaschinen, 24 Stunden lang verfügbares Onlineshopping und Arbeitgeber, die Vätern und Müttern flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle anbieten.

Zusatzstress durch Optimierungwahn

Von solchen Bedingungen konnten vergangene Generationen nur träumen – und haben trotzdem nicht so viel wegen Überlastung geklagt. Allerdings blieben die Frauen damals auch zu Hause, wenn sie Kinder bekamen. War der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus, kehrten sie vielleicht zurück in den Job. Heute gibt es immer mehr Alleinerziehende, außerdem sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 80 Prozent aller Mütter berufstätig. Trotz aller Gleichberechtigung sind es vor allem sie, die Job und Kindererziehung, Haushalt und Hobbys, Partnerschaft und Freunde unter einen Hut bekommen wollen. Als ob das noch nicht genug wäre, sollen Mütter (und Väter) dazu noch nach dem Gesellschaftsideal der Selbstoptimierung den irritierten Körper und den verwirrten Geist wieder auf Kurs bringen. Was wiederum für neuen Stress sorgt: Wer weder Fitness-Tracker noch Kalorien- App hat, nicht zum Yoga oder ins Fitnessstudio geht, keinen Onlinekalender führt oder das sportgestählte Ich auf Instagram zeigt, ist selbst schuld, wenn er in Schieflage gerät!

Eltern in der Perfektionsfalle

Das Gefühl, die Mitte verloren zu haben, also aus der Balance gekommen zu sein, hat auch mit den hohen eigenen und gesellschaftlichen Ansprüchen zu tun, denen Mütter und Väter bei aller Anstrengung nicht gerecht werden können. Thema Zukunftsangst: Im Job heißt das, in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten zu müssen und gut zu performen. Wer weiß denn schon, ob es die Firma in Zeiten der Globalisierung und der Digitalen Revolution morgen noch gibt – oder wer bei der nächsten Personaleinsparung gehen muss? Thema Rollenbilder: Viele Mütter wollen im Beruf ihre Frau stehen und nach Feierabend mit derselben Energie ihre Kinder betreuen, fördern sowie optimal ernähren und versorgen. Väter sehen sich mit dem Bild des „neuen“ Mannes konfrontiert – tough im Job, engagiert bei der Kindererziehung und im Haushalt, dazu möglichst noch ein „Frauenversteher“. Thema Freizeit: Auch die Zeit nach Feierabend und am Wochenende soll pädagogisch wertvoll, ökologisch korrekt und von nachhaltiger Wirkung für Eltern und Kinder sein. Entspannt euch gefälligst, aber bitte schnell!

Wo bitte geht’s zum Flow?

Was Eltern aber dringender brauchen als Smartwatches oder Termine zur Optimierung von Körper, Geist und Psyche, ist ein durchdachter Umgang mit der knappen Freizeit und die Rückbesinnung darauf, was für ihr individuelles (Familien-)Leben wichtig ist. Das gute alte Bauchgefühl, die Intuition, weist dabei den Weg, sich wieder mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren und in Balance zu kommen. Das geht nicht von jetzt auf gleich und braucht – ganz klar – Zeit, Selbstreflexion und manchmal auch die Perspektive von außen. Reden Sie mit Ihrem Partner, den Eltern oder Freunden darüber, wie andere Sie sehen. Erinnern Sie sich an Unternehmungen oder Beschäftigungen, die Ihnen gutgetan und Sie entspannt haben. Ein paar Leitfragen können Ihnen dabei helfen. Schreiben sie die Antworten auf eine Liste. Damit bekommen Sie ein Gespür dafür, was Sie in den „Flow“ bringt. So nennt die Psychologie das Wohlgefühl, völlig aufzugehen in einer Tätigkeit oder einer Situation, in der unser Fühlen, Wollen und Denken in Übereinstimmung sind. Das kann das Kraxeln in den Bergen sein, Toben mit den Kindern oder auch Backen zur Lieblingsmusik.
Auf dem Weg, ein besseres Gleichgewicht und neue Prioritäten für die Freizeit zu finden, können auch kreative Übungen wie diese helfen: Schreiben Sie ohne großes Nachdenken drei Wünsche für die Freizeit- und Wochenendgestaltung auf einen Zettel. Oft sind das Dinge, die fast nichts kosten, aber für das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Familie überaus wertvoll sind.

Weniger Ansprüche, mehr Gelassenheit

Neben Selbstreflexion und gelebter Achtsamkeit hilft es auch, die eigenen und vermeintlich gesellschaftlichen Erwartungen an die Familie zu überprüfen. Meist heißt das: runter mit den Ansprüchen und rauf mit der Gelassenheit. Zum Beispiel im Haushalt: Muss die Küche immer tipptopp aufgeräumt sein wie im Möbelhauskatalog? Können die Kinder nicht auch Aufgaben im Haushalt übernehmen, wie die Spülmaschine aus- und die Spielsachen wegzuräumen? Nebenbei macht sie das selbstständiger und selbstbewusster. Wenn es das Haushaltsbudget hergibt, kann der Einsatz einer Putzhilfe – zumindest in besonders turbulenten Zeiten – Wunder wirken. Beispiel Beziehungspflege: Ein Abend zu zweit oder ein Wochenende zum Entspannen gönnen sich viele Eltern erst, wenn es kriselt. Also versuchen Sie, dem Paarabend mindestens dieselbe Priorität zu geben wie dem Elternstammtisch oder dem Sportkurs. Auf die Kinder passt derweil ein Babysitter auf, vielleicht jemand aus der Nachbarschaft oder dem Familienumfeld.
Weniger ist also mehr. Manchmal müssen wir nur an einer kleinen Schraube im Familienmotor etwas verändern, und schon kommt das ganze System in Bewegung. Ein paar Ideen für eine bessere Balance zwischen Pflicht und Kür möchten wir Ihnen auf diesen und den folgenden Seiten mit auf den Weg geben.

Meine persönliche Flow-Liste:

  • Bei welcher Gelegenheit habe ich zuletzt lauthals gelacht?
  • Welches Wochenende war für mich warum besonders gelungen?
  • Welches Hobby / welche Beschäftigung / welcher Sport tut mir gut?
  • In welcher Atmosphäre war ich das letzte Mal entspannt?

Wunschzettel

  1. Mit dem Kleinen Kuchen backen
  2. Das neue Rennrad einfahren
  3. wandern

Zufrieden oder nicht? 4 Fragen für den Balance-Check

  • Arbeit: Haben Sie Spaß an Ihrer Arbeit und sind Sie den Anforderungen im Job gewachsen?
  • Gesundheit: Fühlen Sie sich gut und haben genug Bewegung?
  • Beziehungen: Pflegen Sie Ihre Partnerschaft und Kontakte zu Freunden?
  • Sinnfrage: Leben Sie nach Ihren Überzeugungen und Werten?

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