Slow-Food für KinderMehr als nur langsam

Je gesünder, desto unbeliebter? Kinder verschmähen oft, was Eltern ihnen vorsetzen. Wie soll man damit umgehen? Die Slow-Food-Bewegung liefert eine überraschende Antwort

Anbauen, ernten, zubereiten: Slow-Food bedeutet, das Essen nicht erst auf dem Teller zu erleben
Anbauen, ernten, zubereiten: Slow-Food bedeutet, das Essen nicht erst auf dem Teller zu erleben© Avalon_Studio - iStock

Der Lieblingsbrotaufstrich meines Sohnes ist rot, leicht säuerlich und voller Stückchen. Letzten Sommer haben wir die Johannisbeeren kiloweise gepflückt, das war lustig, aber auch viel Arbeit. Dann wurde die Ernte gewaschen und die kleinen grünen Stiele mussten abgezupft werden. Ab in den Topf, Zucker rein, aufkochen, herrlich! Was für ein Aroma. Stolz haben wir am Ende des Tages die Gläser durchgezählt und in den Vorratsschrank geräumt.

Obwohl ich mich bisher nie näher mit der Slow-Food-Bewegung beschäftigt habe, habe ich beim Marmeladekochen wohl einiges richtig gemacht. „Genau darum geht es: selbst Hand anlegen und sich daran erfreuen“, sagt jedenfalls Lotte Rose. Die Professorin für Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit an der Frankfurt University of Applied Science ist seit 20 Jahren ehrenamtlich im Verein Slow Food Deutschland engagiert. Gut, sauber und fair – so lautet die Philosophie. 1989 wurde die Bewegung in Norditalien gegründet; seit 1992 gibt es den deutschen Ableger, der rund 14 000 Mitglieder hat.

Aber ist Slow Food nicht einfach das Gegenteil von Fast Food? Langsam gekocht, gemütlich gegessen? In der Öffentlichkeit ist der Begriff längst in aller Munde. Mit den Zielen des Vereins hat das meist wenig zu tun. Während es den Slow-Food-Aktivisten in den ersten Jahren nach ihrer Gründung vor allem um lokale Esskultur ging, stehen mittlerweile politische Themen im Vordergrund. Slow Food fordert die Umgestaltung des Lebensmittelsystems hin zu mehr Nachhaltigkeit. Es geht nicht nur um Ökostandards, sondern darum, die regionale bäuerliche Landwirtschaft und das traditionelle Lebensmittelhandwerk zu erhalten. Auch Tierschutz und die faire Entlohnung der Erzeuger sind für die Slow-Food-Bewegung enorm wichtig.

Essen mit Überzeugung

Klingt gut – nur wie lässt sich das in den stressigen Familienalltag integrieren? Und wie vermeidet man, dass die Kinder das gute Essen boykottieren? Ganz einfach, erklärt Lotte Rose: „Entscheidend ist, dass die Erwachsenen bei sich selbst anfangen.“ Das Pflanzen, Ernten und Verarbeiten sollte keine pädagogische Maßnahme sein, die Eltern nur um ihrer Kinder willen durchführen. „Nach dem Motto: Das Kind muss endlich lernen, dass die Äpfel vom Baum und die Kartoffeln aus der Erde kommen. Wenn mich das selbst nicht interessiert, dann sollte ich es bleiben lassen.“ Auch das ständige Belehren zu gesundem Essen hält Rose für falsch. Das führe zu einer ernährungsmedizinischen Perspektive auf das Essen, bei der der Genuss zu kurz kommt. Diese Haltung wird mittlerweile sogar schon von kleinen Kindern übernommen.

So macht Essen natürlich keinen Spaß. Alles wird zur Pflicht – das Kochen, das Zubereiten, der Verzehr. Die Erwachsenen plagt ein chronisch schlechtes Gewissen, weil sie nicht ausreichend Biogemüse auf den Tisch bringen und manchmal sogar lieber zur Tiefkühlpizza greifen. Die Kinder spüren, dass ihre Eltern oft lustlos und nur nach einer inneren To-do-Liste handeln. „So bringt das überhaupt nichts“, sagt Rose. Im Gegenteil, eher verschärfen sich die Konflikte am Esstisch.

Den Genuss nicht vergessen

Sie rät Eltern, sich darüber klar zu werden, woran ihr eigenes Herz hängt. Was ist wichtig, womit möchte man seine wertvolle Familienzeit verbringen? Das kann ein Zoobesuch sein oder ein gemeinsam gebackener Apfelkuchen. Jede Familie soll und darf eigene Prioritäten setzen. „Es geht bei Slow Food überhaupt nicht darum, einen neuen Essenskatechismus durchzusetzen.“ Dogmatismus liegt der Bewegung fern. Das Bewusstsein für das, was täglich auf den Tellern landet, lässt sich auch anhand kleiner Maßnahmen schärfen. Getrocknete Kräuter vom eigenen Balkon zum Beispiel sind eine tolle Sache. Und gar nicht aufwendig.

Eltern sollten sich einfach überlegen, welche Werte ihnen beim Thema Essen wichtig sind und diese im Alltag umsetzen, meint Lotte Rose. „Und dann nimmt man seine Kinder, soweit das möglich ist, dabei mit.“ Übertriebene Rücksichtnahme auf kindliche Vorlieben hält sie für kontraproduktiv. Auch wenn sich am Geschmack einzelner Gerichte natürlich die Geister scheiden dürfen. Bei uns zu Hause jedenfalls herrscht auch nach Jahren des Marmeladenkochens keine Einigkeit, welches nun die bessere Sorte ist: die mit den roten oder die mit den schwarzen Johannisbeeren.

kizz Webtipp

www.slowfood.de

Früh übt sich

Obwohl das Angebot an frischen Lebensmitteln in Deutschland groß ist, essen bereits Kleinkinder zu wenig Gemüse, Obst und ballaststoffreiche Lebensmittel. Dafür „deutlich zu viel Süßigkeiten, Salz und tierische Lebensmittel wie Fleisch, Wurst und Käse“, erklärt Isabelle Keller, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Mit diesem Essverhalten weichen sie kaum von ihren Eltern und dem Rest der Bevölkerung ab. Die DGE plädiert daher für einen genussvollen und verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln. „Eltern haben Tag für Tag Gelegenheit, die Vielfalt zu entdecken und weiterzugeben: nicht nur bei Tisch, sondern auch während des Einkaufs, beim Spaziergang, beim Kaufl adenspiel oder beim gemeinsamen Rühren eines Heidelbeerquarks.“ Das Essen in der Kita hat ebenfalls Auswirkungen auf den Geschmack und das Essverhalten von Kindern. Wenn mehr frische und regionale Produkte zum Einsatz kommen, wachse laut Keller die Akzeptanz der Kinder für diese Lebensmittel.

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