So lernen KinderKinder brauchen Freiheiten und Impulse

kizz sprach mit Martin Korte, Professor für Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig, über die Rolle des genetischen Programms für die kindliche Entwicklung

Martin Korte, Professor für Neurobiologie im Interview mit kizz
Martin Korte, Professor für Neurobiologie im Interview mit kizz© privat

Wie stark beeinflussen unsere Gene das Lernen?

Unser Gehirn ist zu komplex, um seine Struktur allein durch Gene vorzugeben. Genetisch angelegt sind deshalb vor allem Regeln, zum Beispiel, wie eine Sprache gelernt wird. Welche das ist, hängt von der Umwelt ab. Auch die Grundlagen des Laufens sind im Gehirn vorhanden. Doch erst durch Bewegungserfahrungen lernen Kinder, ihre Schritte zu koordinieren.

Wie lernen Kinder?

Auf ganz vielfältige Weise. Eine wichtige Form des kindlichen Lernens ist die Nachahmung. Eltern, ErzieherInnen und Alters genossen werden zu Vorbildern für Bewegungen, Sprache und Emotionen. Eng damit verknüpft sind eigene Erfahrungen. Sie sorgen für immer neue Verbindungen im Gehirn. Auch Gewohnheiten helfen beim Lernen. Kleine Kinder orientieren sich stark an Ritualen wie einem Morgenkreis in der Kita oder dem gemeinsamen Abendbrot. Diese Routinen helfen ihnen, den Alltag besser zu verstehen.

Welche Rolle spielt das soziale Lernen?

Kinder lernen viel von Gleichaltrigen. Gerade in der Kita finden sie zahlreiche Vorbilder. Von ihnen erfahren sie einiges über die Regeln des Miteinanders oder über Emotionen und schauen sich Dinge wie Dreirad fahren, klettern oder Türen öffnen ab. Natürlich übernehmen Kinder auch schlechte Angewohnheiten. Deshalb sollten ErzieherInnen auch das soziale Lernen begleiten und zum Beispiel deutlich machen, dass es nicht in Ordnung ist, Schimpfworte zu benutzen oder Spielzeug wegzunehmen.

Wie viel Begleitung brauchen Kinder beim Lernen?

Kinder wollen lernen. Sie sind neugierig und wissbegierig. Deshalb ist es wichtig, dass sie genug Platz für eigene Erfahrungen bekommen. Die Aufgabe der Erwachsenen ist es, die Interessen der Kinder zu unterstützen. Zum Beispiel können sie durch kleine Experimente Denkanstöße geben, auf die die Kinder von allein nicht gekommen wären. Wenn ihre Interessen dabei im Mittelpunkt stehen, schließen sich Anleitung und Freiheit nicht aus.

Wie wichtig ist Begeisterung beim Lernen?

Die kindliche Begeisterungsfähigkeit ist eine tolle Voraussetzung für das Lernen. Erwachsene sollten sie unbedingt nutzen. Das ist im Alltag eine Herausforderung. Wir müssen uns von der eigenen Agenda verabschieden und die Kinder öfter selbst entscheiden lassen, wann sie Energie, Wasser oder Pflanzen für sich entdecken. Übergeht man ständig die Interessen der Kinder, sorgt das für Lernfrust und das Gefühl, dass die eigene Meinung keine Rolle spielt.

Unterstützt diese Freiheit den Lernerfolg?

Freiheit hat positiven Einfluss auf den Lernerfolg. Dinge, die Kinder selbstständig entdecken und ausprobieren, merken sie sich besser als vorgegebene Inhalte. Diese Freiheit muss nicht grenzenlos sein. Wir sollten ihnen auch neue Perspektiven eröffnen, die zum Erleben und Entdecken passen. Zum Beispiel könnten die Kinder selbstständig auf Bäume klettern und eine Lichtung erkunden. Zum Abschluss erzählt man ihnen noch etwas über die Pflanzen und Bewohner des Waldes.

Wie schmal ist der Pfad zwischen Förderung und Überforderung?

Manche Eltern wünschen sich eine dreisprachige, musizierende und Ballett tanzende Pfadfinderin. Solche Vorstellungen führen schnell zu überladenen Nachmittagen randvoll mit Förderkursen und Sportangeboten. Doch Kinder sollten das Recht auf Langeweile und unverplante Freizeit haben. Gleichzeitig halte ich wenig davon, sich nur auf die Lernmotivation des Kindes zu verlassen. Eltern dürfen ihren Kindern ermöglichen, neue Sportarten oder Instrumente auszuprobieren. Auch eine Leidenschaft oder ein Talent zu fördern, ist sicher sinnvoll. Ein Interesse aber aufzuzwingen, nur weil es die Eltern für sinnvoll halten, kann nicht funktionieren.

Viele Eltern fürchten, ohne gezielte Förderung etwas zu verpassen. Ist diese Angst berechtigt?

Es gibt tatsächlich kritische Entwicklungsfenster. Allerdings sind diese für die meisten Familien nicht relevant. So erblinden Kinder endgültig, wenn sie in den ersten sechs Jahren nicht sehen. Bis zum vierten oder fünften Lebensjahr sollten wir außerdem bestimmte Emotionen erleben, um sie verstehen zu können. Auch hier besteht kein Grund zur Sorge. Kinder gehen mit offenen Augen durch die Welt und schauen sich viele Emotionen ab. Einzig beim Entwicklungsfenster für die Sprache ist es etwas anders. Die Muttersprache fällt uns zu. Eine zweite Sprache auf gleichem Niveau zu lernen, gelingt dagegen nur in den ersten sechs bis acht Lebensjahren. Aus meiner Sicht verschenken wir hier in Kindergärten und Grundschulen viel Potenzial für das Lernen von Fremdsprachen.  

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